Essen-Holsterhausen. Muss man dem Auto etwas wegnehmen, um den Radverkehr zu stärken? Das sagt Björn Ahaus, Manager des Stadtterrassen-Projekts in Holsterhausen dazu.
Das Projekt Stadtterrassen hat in den vergangenen Monaten die Gemüter erhitzt. Während sich die einen über Sitzmöbel und Fahrradstellplätze auf Autoparkplätzen freuten, beschwerten sich andere über nächtliche Ruhestörungen oder betonten, es habe fast nie jemand dort gesessen. Im Interview mit Redakteurin Katrin Böcker erklärt Projektleiter Björn Ahaus von der Grünen Hauptstadt Agentur der Stadt Essen, wie genau ermittelt wird, ob die Terrassen regelmäßig genutzt worden sind, und ob sie irgendwann dauerhaft in Holsterhausen stehen sollen.
Laut Stadt zieht die Grüne Hauptstadtagentur ein überwiegend positives Fazit des Stadtterrassen-Projektes. Heißt das, Sie wären dafür, es zu verstetigen?
Soweit sind wir noch lange nicht. Die Online-Umfrage zum Projekt ist ja am Sonntag (9. Oktober, Anm. d. Red.) erst zu Ende gegangen. Es haben fast 1300 Leute mitgemacht. Die Auswertung wird noch bis November dauern. Wir haben aber schon viele direkte Rückmeldungen bekommen. Natürlich gab es auch Kritik, die meisten Stimmen waren aber positiv.
Steht denn grundsätzlich zur Debatte, die Parklets an genau den gleichen Stellen wieder aufzustellen? Es gibt einige Anwohner und Geschäftsleute, die befürchten, dass die Parkplätze dauerhaft wegfallen.
Das ist aktuell nicht geplant. Es war eine temporäre Aktion, die Parklets waren vom Zukunftsnetz Mobilität des Landes NRW geliehen und stehen jetzt in Gelsenkirchen. Wir als Stadt und Grüne Hauptstadt Agentur haben auch nicht das Ziel, selbst Parklets zu betreiben. Es gibt keinen „geheimen Masterplan“, still und heimlich „einen Parkplatz nach dem anderen zu vernichten“ – wie manche das behaupten – oder eine Fußgängerzone aus der Gemarkenstraße zu machen.
Was genau war denn der Zweck des Projektes?
Es ging vor allem darum, den Leuten zu zeigen: Guckt mal, das hier ist öffentlicher Raum, der für Privatfahrzeuge kostenlos zur Verfügung gestellt wird – warum sollte man diese Fläche nicht auch mal anders nutzen können? Denn obwohl 80 Prozent der Haushalte in Essen ein Auto haben, gilt das nur für 40 bis 50 Prozent der Menschen. Kinder haben zum Beispiel von der aktuellen Flächenverteilung nicht so viel, im Gegenteil: Aufgrund des Autoverkehrs sind viele Schulwege nicht sicher.
Über die Auslastung der Stadtterrassen gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Während die Bezirksbürgermeisterin Doris Eisenmenger sagt, dort hätten oft Menschen gesessen, heißt es von der CDU Holsterhausen, jemanden dort anzutreffen, sei ein Ereignis mit Seltenheitswert gewesen. Wie ermitteln Sie konkret, wie intensiv die Parklets genutzt wurden?
Die Hauptauswertung wird von der Hochschule Bochum gemacht. Das Projektteam hat an den Standorten Kameras aufgehängt, die ausschließlich Bewegungen aufzeichnen. So kann man feststellen, wie oft die Terrassen genutzt wurden und an welchem Standort es besser oder schlechter gelaufen ist. Außerdem lässt sich zum Beispiel ermitteln, wo vor allem nachts Leute vor der Kneipe an dem Parklet saßen oder wo Leute während der Marktzeiten verweilten. Zusätzlich haben wir eine Zusammenarbeit mit der Uni Duisburg-Essen. Hier sind die Kollegen auch klassisch mit dem Klemmbrett rausgegangen und haben gezählt, wie viele Leute da waren.
Worum geht es den Kritikern des Projektes hauptsächlich?
Häufig um den Wegfall von Parkplätzen. Dazu muss man aber sagen: Zwischen Menzelstraße und Gemarkenplatz gibt es circa 150 Parkplätze für Autos, für die Stadtterrassen sind vier temporär weggefallen. Wenn man das mit den Stellplätzen für Fahrräder vergleicht, sieht man ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der Pkw. In unserem Projekt geht es ja vor allem darum, den Fuß- und Radverkehr zu stärken, weil sich die Stadt Essen das Ziel gesetzt hat, dass bis 2035 je ein Viertel der Wege zu Fuß, mit dem Rad, mit dem Auto und mit dem ÖPNV zurückgelegt werden soll. Essen ist aber noch eine sehr autodominierte Stadt.
Über dieses Ziel wird viel diskutiert: Erreicht man es, indem man auf Freiwilligkeit setzt, oder muss man dem Auto etwas wegnehmen – zum Beispiel, indem man Parkplätze streicht?
In anderen Städten, zum Beispiel Münster, sehen wir: Wo es bessere Angebote für Fahrradfahrer und Fußgänger gibt, wird mehr mit dem Rad gefahren und gelaufen. Die Stadt Essen ist aber aktuell auf Autofahrer ausgerichtet. Das heißt, wenn man Fuß- und Radverkehr und ÖPNV fördern will, wird man am Ende des Tages nicht umhin kommen, die Fläche anders zu verteilen. Damit will man aber nicht den „bösen Autofahrern“ etwas wegnehmen, sondern es geht einfach nicht anders. Stellen Sie sich die Holsterhauser Straße vor. Die ist an bestimmten Stellen so schmal, dass man nicht zusätzlich einen vernünftigen Fahrradstreifen platzieren könnte. Man müsste in diesem Fall Parkstreifen entfernen oder die Fahrbahn deutlich verengen.
Viele Händler machen sich aber Sorgen, dass ihre Kundschaft ausbleibt, wenn die Geschäfte nicht mehr so leicht mit dem Auto erreichbar sind.
Die Attraktivität einer Einkaufsstraße misst sich nicht daran, ob die Leute mit dem Auto dorthin kommen können. Ein gutes Beispiel ist Barcelona. Dort gibt es die sogenannten Superblocks, ganze Häuserblöcke im Stil der Stadtterrassen. Anfangs hat das viel Protest ausgelöst, nach kurzer Zeit aber dann große Freude, weil es zu wirtschaftlichem Erfolg geführt hat. Denn wenn sich die Menschen in einem Stadtteil gerne aufhalten, dann geben sie dort auch ihr Geld in den Geschäften und Kneipen aus. Für das Thema Parken muss man aber auch eine Lösung finden. Wir denken zum Beispiel an Quartiersparkhäuser, in denen man Autos und Fahrräder statt an der Straße abstellen könnte.
Einige Anwohnerinnen und Anwohner haben sich im Zusammenhang mit den Stadtterrassen über nächtliche Ruhestörungen beschwert. Wie groß war dieses Problem Ihrer Einschätzung nach?
Hier stellt sich eine grundsätzliche Frage: Will ich Leben im Stadtteil haben oder will ich es nicht? Natürlich gibt es Regeln, insofern ist es auch gut, dass die Polizei kommt, wenn jemand über die Stränge schlägt. Nach allem, was ich mitbekommen habe, haben die allermeisten Leute aber ganz gesittet an den Terrassen gesessen, ihr Bier getrunken oder eine Pizza gegessen. Auch Rückmeldungen der Polizei zeigen, dass die Probleme durchaus überschaubar waren.
Ein weiterer Kritikpunkt: Einige Menschen aus dem Stadtteil fühlten sich nicht genug eingebunden und beschwerten sich, dass die Parklets aus heiterem Himmel vor ihrer Haustür gestanden hätten.
Wir haben über Pressemitteilungen und Soziale Medien ausführlich kommuniziert. Mehr geht immer, grundsätzlich plädiere ich aber dafür, bei diesem Projekt entspannt zu bleiben. Es geht ja schließlich um öffentlichen Raum. Wenn ich dort morgen mein Auto parke, muss ich auch niemanden informieren.
Es gab auch die Möglichkeit, im Rahmen von Workshops über die Stadtterrassen zu diskutieren. Dabei entstand jedoch manchmal der Eindruck, dass hauptsächlich Leute vor Ort waren, die dem Projekt positiv gegenüberstanden – weil sie sich politisch engagieren, zum Beispiel beim Radentscheid. Sehen Sie die Gefahr, bei solchen Beteiligungsprozessen immer nur mit der gleichen Interessengruppe zu diskutieren?
Zur Person
Björn Ahaus stammt gebürtig aus Essen und hat den Radentscheid mitinitiiert. Seit einem Jahr arbeitet er bei der Grünen Hauptstadtagentur der Stadt.
Dort ist er als Projektmanager für das Stadtentwicklungsprojekt Be-Move eingestellt. Ziel des Projektes ist es, öffentliche Räume und Verkehrsinfrastrukturen neu zu gestalten, um die Aufenthaltsqualität und Mobilität zu verbessern.
Zuvor hat er an der Ruhr-Universität Bochum und am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen gearbeitet und dort auch Stadtentwicklungsprojekte betreut.
Natürlich ist es so: Wenn man mit einer offenen Tür einlädt, dann kommen erstmal die Leute, die kommen wollen. Das liegt nicht daran, dass andere nicht informiert wurden. Wir haben zum Beispiel die Rückmeldung einer Kritikerin erhalten, die sagte: Ich komme nicht, denn da bin ich ja in der Minderheit. Letztlich ging es aber ja auch nicht in erster Linie um die Workshops, sondern darum, Dinge auf die Straße bringen und dort ausprobieren. Die Stadtterrassen selbst sollten zum Diskussionsangebot werden – und das hat auch funktioniert, denn es wurde ja rege diskutiert.
Bei der Auswertung des Projektes spielt die Online-Umfrage eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang kritisieren einige – darunter die CDU Holsterhausen – dass theoretisch Menschen aus der ganzen Welt daran teilnehmen und vorgeben können, sie wären Bürger aus Holsterhausen. Sehen auch Sie die Gefahr der Manipulierbarkeit?
Diese Erhebung wird von der Hochschule Bochum durchgeführt. Man hätte auch eine repräsentative Umfrage machen können, dafür gab es jedoch nicht die Mittel. Bei einem ähnlichen Projekt, an dem ich gearbeitet habe, kostete eine solche Umfrage 17.000 Euro. Außerdem hätte man gezielt Anwohner anschreiben können. Das ist allerdings sehr aufwendig und man würde Leute ausschließen, die zwar nicht in Holsterhausen wohnen, sich aber hier aufgehalten und die Stadtterrassen genutzt haben. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Menschen bei der Umfrage falsche Angaben machen. Wir gehen aber erst einmal davon aus, dass die große Mehrheit wahrheitsgemäß antwortet.