Essen. Direkt am Hügelpark sollte der weltberühmte Architekt Ludwig Mies van der Rohe 1963 eine neue Krupp-Zentrale bauen. Warum das Projekt scheiterte.
Groß gedacht wurde bei Krupp schon immer, und das galt auch in architektonischer Hinsicht: Zur Villa Hügel muss man nicht viele Worte verlieren, auch die 1976 leider abgerissene Hauptverwaltung an der Altendorfer Straße, das „Turmhaus“, verdeutlichte auch dem Laien einen ausgeprägten Willen zur Repräsentation. Nach 1945 setzte sich dieser Ehrgeiz fort, sobald Krupp wieder handlungsfähig war. Wie das Unternehmen für eine neue Zentrale direkt am Hügelpark den weltberühmten Architekten Ludwig Mies van der Rohe verpflichtete und warum das Projekt scheiterte, ist Gegenstand eines neuen Essay-Bandes im Rahmen einer Publikationsreihe des Historischen Archivs Krupp.
Treiber der auch baulichen Modernisierung bei Krupp war Berthold Beitz
Treiber der neuen Krupp-Zentrale war der Generalbevollmächtigte Berthold Beitz, der nach seinem Eintritt in das Traditions-Unternehmen im Jahre 1953 vieles als verstaubt, rückwärtsgewandt und beamtenhaft empfand. Das begann mit den verknöcherten Arbeitsabläufen in der Verwaltung und hörte bei Details wie den seiner Meinung nach zu gemächlich fahrenden Fahrstühlen noch lange nicht auf. Beim Alleininhaber Alfried Krupp von Bohlen und Halbach traf Beitz mit seinem Modernisierungskurs prinzipiell auf offene Ohren, wenn dieser auch manches Altehrwürdige erhalten wissen wollte.
Krupp wollte jedenfalls weg vom Image der „Waffenschmiede“, sich als modernes Unternehmen neu erfinden und am Geist des Aufbruchs der jungen Bundesrepublik teilhaben – in den Grenzen, die einem Montankonzern im noch lange strukturkonservativen Ruhrgebiet gesetzt waren. Eine Firmenzentrale entworfen vom deutschstämmigen Amerikaner Mies van der Rohe, neben Walter Gropius die wohl berühmteste Leitfigur der modernen Architektur, passte da perfekt. Die neue Krupp-Hauptverwaltung „sollte das äußere Zeichen dieses gewandelten Selbstverständnisses werden“, schreibt der Kunsthistoriker Thorsten Scheer, der den Essay für das Krupp-Archiv verfasst hat.
Die vorübergehend bei Krupp wieder sprudelnden Gewinne schienen dazu die finanziellen Voraussetzungen zu bieten. Nach mehreren Besprechungen mit Beitz im Jahr 1960 machte sich Mies ans Werk und lieferte bereits ein halbes Jahr später die ersten Entwürfe. Und auch Beitz blieb in Essen nicht untätig. So ließ er ohne große Sentimentalität mehrere Häuser der malerischen Krupp-Siedlung Brandenbusch entmieten und abreißen, die dem Bau im Wege gestanden hätten, was im Essay allerdings keine Erwähnung findet.
Ein Entwurf wie aus dem Lehrbuch: Streng, schnörkellos und mit kühler Eleganz
Mehrfach weilte der in Chicago ansässige Star-Architekt noch in Essen, um die Dinge voranzutreiben, ganze Delegationen des Unternehmens reisten umgekehrt in die USA. Im Jahr 1963 war das Projekt schließlich baureif, die Baugenehmigung durch die Stadt Essen stellte selbstredend kein Problem dar.
Die Pläne und Modelle zeigen einen gleichmäßigen, auf Betonstelzen ruhenden Flachbau mit zwei großen Lichthöfen. Ludwig Mies van der Rohe bot die für ihn typische Architektursprache der klassischen Moderne wie aus dem Lehrbuch auf: streng und schnörkellos, dabei mit jener kühlen und grazilen Eleganz, die den besten Bauten dieser Ära längst zur Denkmalwürde verholfen haben, auch wenn sie außerhalb von Fachkreisen kaum noch geschätzt werden.
Als es dann losgehen sollte, erzwangen jedoch steigende Baukosten und die einbrechende Stahlkonjunktur den Tritt auf die Bremse. Krupp geriet langsam in den Sog einer Finanzkrise, weil die Ausgaben die Einnahmen ständig überstiegen. Zudem bekam Beitz offenbar die Beharrungskraft des Apparates zu spüren, und zwar in Form eines „nicht unwesentlichen Widerstands unter den Angestellten des Unternehmens, da die neue Zentrale lediglich 400 der insgesamt 2000 Verwaltungsmitarbeiter hätte aufnehmen können“, wie Thorsten Scheer schreibt.
Beitz unternahm noch Versuche, den Faden wieder aufzugreifen, doch irgendwann in den mittleren 1960er Jahren ist das Projekt dann still zu den Akten gelegt worden, was vermutlich keine leichte Entscheidung war. Zwar erfahren wir in dem Büchlein nichts über die Planungskosten, doch ist anzunehmen, dass sie nicht gering waren. Viele Menschen waren mit dem Neubau befasst, und der Meister selbst dürfte kaum zum Sonderpreis zum Zeichenstift gegriffen haben.
Essen hätte eine Architektur-Ikone von internationalem Rang erhalten
Ist das Scheitern zu bedauern? Einerseits schon. Essen hätte eine Architektur-Ikone von internationalem Rang erhalten, die vermutlich bis heute fachlich Interessierte anziehen würde. Das Hügel-Ensemble mit seinem neoklassizistischen Bombast wäre auf denkbar kontrastreiche Weise bereichert worden.
Allerdings war der vorgesehene Bauplatz schon wegen seiner Beengtheit nicht gerade ideal, das gesamte Areal zwischen der Frankenstraße und dem Eingang zum Hügelpark hätte radikal verändert werden müssen. Von der entrückt wirkenden Ruhe rund um den Hügelpark und der idyllischen Anmutung der Siedlung Brandenbusch, in der einst die Hügel-Bediensteten lebten, wäre wohl über kurz oder lang nicht viel übrig geblieben.
So aber ist der Bauplatz eine grüne Wiese geblieben, neuerdings mit noch mehr jungen Bäumen bepflanzt. Und das ist ja auch ganz schön.
INFORMATION ZUR REIHE „Essay und Archiv“:
Neben dem Titel „Mies an der Ruhr“ hat das Historische Archiv Krupp im Rahmen der Reihe „Essay und Archiv“ folgende Bändchen herausgebracht, wobei man keine Scheu vor Themen hat, die auf den ersten Blick „abgelegen“ wirken und nur indirekt mit Krupp zu tun haben. Ziel ist es laut Krupp-Stiftung, dem Fachpublikum wie auch historisch Interessierten eine mit Quellen unterfütterte, unterhaltsame Lektüre zu bieten.
Der Fotografie-Experte Rolf Sachsse schreibt unter dem Titel „Leuchtende Farben“ über die ausgestorbene Gattung der handkolorierten Dias. Krupp nutzte Lichtbildreihen zur plakativen Präsentation ihrer Betriebe und ließ hohe Stückzahlen anfertigen. Die Dia-Serien zeigen einzelne Arbeitsschritte wie das Gießen oder Walzen von Stahl, in Summe „die große Aufführung eines industriellen Theaters“.
Über die Beziehung zwischen Alfred Krupp und dem Ausnahmewissenschaftler Alexander von Humboldt hat Ralf Stremmel, Leiter des Krupp-Archivs, Neues zusammengetragen Über die von gegenseitiger Achtung geprägte Korrespondenz war bisher wenig bekannt. Stremmels Spurensuche hatte einen unscheinbaren Zettelfund als Ursprung, in „Humboldt und Krupp“ zeichnet er anhand von Briefen den Beginn und die Entwicklung einer Beziehung zwischen den ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten nach: dem weltberühmten Naturwissenschaftler und dem aufstrebenden Industriellen.
Der Tourismusforscher Hasso Spode beschreibt in „Die Krupps im Orient“ eine Ägyptenreise der Familie im Jahr 1926 und verknüpft diese mit dem Orienttourismus jener Jahre: Details wie gecharterte Privatdampfer, Reiserouten, Unternehmungen wie Nil-Fahrten oder die Besteigung der Cheopspyramide vermitteln den Luxus des Reisens in der Oberschicht. Unveröffentlichte Fotografien aus den Alben der Krupps geben Einblicke in private Momente der Familie.
Der Autor Wolfgang Ullrich nimmt ein monumentales Gruppenporträt des Malerfürsten Hubert von Herkomer in Augenschein, der 1913 die 18-köpfige Führungsspitze der Firma Krupp malte. Ullrich zeichnet mithilfe von Korrespondenzen, Skizzen und Fotografien in seinem Essay „Kunst als Diplomatie“ die Meisterleistung des Künstlers nach, 18 Individuen als homogene Gruppe zu inszenieren. Er schlägt dabei den Bogen zur heutigen Praxis von Gruppenfotografien von Vorständen.
In „Das Sauerland als Lebensform“ hat der Historiker Ulrich Raulff, eine Typologie des Sauerlandes, gespickt mit Anekdoten und Erinnerungen verfasst. Natur- und Mentalitätsbeschreibungen wechseln sich mit den historischen Bezügen zu Krupp ab. Das Unternehmen nutzte die Region ökonomisch ebenso wie als Naherholungsgebiet für die Arbeiter im Rahmen der betrieblichen Sozialpolitik.
Die sechs Bücher sind zwischen 34 und 48 Seiten stark, sind im Aschendorff-Verlag erschienen und kosten jeweils 9,95 Euro.