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Erstmalig ist über den Vorsitzenden der Kruppstiftung, Berthold Beitz, eine umfangreiche Biografie erschienen. Sie wirft ein Licht auf ein äußerst ungewöhnliches Leben.
Biografien leben meist von Gegensätzen: von Scheitern und Aufrappeln, Versuch und Irrtum, Gut und Böse, das alles vereint in einem Menschen. Wie aber schreibt man über einen Mann, der in seinem langen, turbulenten Leben alles Wesentliche richtig gemacht hat? Berthold Beitz nicht faszinierend zu finden, das sei tatsächlich schwer, räumt Joachim Käppner ein, der jetzt die erste große Biografie über den 97-Jährigen vorgelegt hat. Trotz der großen Sympathie für seinen „Helden“ gelang dem Journalisten ein eindrucksvolles, dichtes Buch.
Blutjunger Ölmanager
„Liebling der Götter“ – so hat der Bankier Hermann-Josef Abs Berthold Beitz einmal genannt. Ein Wort, in dem Neid auf vermeintlich unverdientes Glück mitschwingt. Dass Beitz es sich gerade nicht leicht gemacht hat, wird im Kapitel über die Kriegszeit deutlich. Beitz’ Tätigkeit als blutjunger Öl-Manager im ostpolnischen Galizien, seine Rettungsaktionen für Hunderte von Juden sind noch nie so ausführlich und so eindringlich beschrieben worden.
Dass Beitz auf dem Bahnhof der Ölstadt Boryslaw die dem Tod geweihten jüdischen Arbeiter der SS buchstäblich in letzter Sekunde entwinden konnte, ist vor allem seinem Selbstbewusstsein zu verdanken. Furchtlos, ganz kühl sei er dabei gewesen, berichtet er, und kann das heute angesichts des Risikos kaum fassen. Gemessen an seinem Alter – er war keine 30 – besaß er bereits eine erstaunliche Menschenkenntnis. In vielen Fällen schob Beitz erkennbar nur vor, dass die von ihm Geretteten für die Kriegswirtschaft wichtig seien. Doch weil sich die düpierten SS-Männer sein Auftreten nur mit allerhöchsten Beziehungen erklären konnten, wagten sie selten Widerspruch.
„Ich kenne die Deutschen“, sagte Beitz seinem Biografen, „wenn man fest, klar und bestimmt auftritt, respektieren sie einen. Wenn man weich ist und verzweifelt, bringen sie einen um.“ Bittere Worte, leider für die damalige Mentalität oft zutreffend.
„Als ob ein Engel in die Hölle kam“
Seine Schützlinge konnten nicht fassen, was ihnen geschah. „Als ob ein Engel in die Hölle kam“, schildert Zygmunt Spiegel, den Beitz viel später wiedertrifft, seine Gefühle. Unter den im Osten in der NS-Zeit exponiert tätigen Deutschen behält jedenfalls Beitz als einer der ganz wenigen eine weiße Weste. Und doch hat der „Schlachthof Boryslaw“ ihn für immer verändert. Zu Recht führt Käppner das später legendäre Misstrauen auf Erlebnisse zurück, die Beitz bis heute ratlos machen: „Mit welcher Selbstverständlichkeit sie auf ihre Opfer schossen, mit welcher Leichtigkeit – wie beim Tontaubenschießen.“
Wer solche Bilder sah, dessen Menschenbild wird nie mehr von viel Vertrauen geprägt sein. Die damals entstandenen Familienfotos lassen erahnen, unter welchem Druck er und seine Frau standen. Mit viel Glück entging der Familienvater nach einer Denunziation den Fängen der Gestapo: Der Vernehmungsbeamte entpuppte sich als alter Schulfreund. Liebling der Götter – hier stimmte es wirklich.
Viele, die damals litten, haben den Weg zurück in die Normalität nicht mehr gefunden. Anders Beitz, der nach 1945 äußerlich ungebrochen durchstartet. Beitz, schreibt Käppner, „baut sich eine neue Welt mit der Kraft eines Mannes, der entschlossen ist, nicht zum Gefangenen der Vergangenheit zu werden“. Die Stationen sind bekannt und oft erzählt: Der gebürtige Pommer macht rasch Karriere als Versicherungsmanager in Hamburg. 1953 wird er Generalbevollmächtigter bei Krupp, verantwortlich nur dem letzten Alleineigentümer Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, den er tief verehrt und dessen Lebenswerk er als Vorsitzender der Krupp-Stiftung bis heute fortsetzt. Noch immer geschieht nichts Wichtiges bei Thyssen-Krupp, ohne dass Beitz sein Plazet gibt, kein Projekt der Stiftung, ohne dass der Patriarch nickt.
Was hat Beitz motiviert, ins reizlose Nachkriegs-Essen zu kommen? Es ist die von Alfried Krupp versprochene „Freiheit des Handelns“ – der alles überwölbende Schlüsselbegriff in seinem Leben, wie Käppner überzeugend herausarbeitet. Beitz wird sich solche Freiheit noch öfter nehmen, etwa als er sich im Osten Europas und in der Sowjetunion schon in den 1950er Jahren als Eisbrecher für das aufschwingt, was viel später Entspannungspolitik heißen wird.
Ungewöhnliches Leben
Sein Biograf zeigt, auf welch schmalem Grat Beitz dabei wandelte. Beitz verweigert sich der Logik des Kalten Krieges, bahnt Geschäfte an und führt politische Gespräche auf höchster Ebene — sehr zum Verdruss des alten Kanzlers Konrad Adenauer. Von Beitz’ erster Polen-Reise 1958, dem Empfang beim sowjetischen Staatschef Chruschtschow 1963 führt ein gerader Weg zum Besuch des SED-Chefs Erich Honecker in der Villa Hügel 1987. Andererseits ist Beitz geschickt genug, sich nicht tapsig für das „Friedenslager“ vereinnahmen zu lassen, von dem man heute weiß, wie sehr es von der Stasi ferngesteuert war.
Beitz war stets ein Einzelgänger, der die konservative Kameraderie im Unternehmerlager ebenso ablehnte wie ein allzu liberales Verständnis von Marktwirtschaft. Seine Herkunft aus kleinen Verhältnissen hat es ihm leicht gemacht, in pragmatischen Gewerkschaftern Partner und nicht Gegner zu sehen. Seine Konsens-Orientierung, seine Fähigkeit, Menschen zu beeindrucken, seine Empathie und sein Instinkt haben sich noch jüngst bei der Bewältigung der Finanzkrise bewährt. Es sind dies die Eigenschaften – kombiniert mit einem seltenen Mut zur Freiheit –, die Joachim Käppner als Schlüssel für das Verständnis dieses ungewöhnlichen Lebens betrachtet. Berthold Beitz hat dieses hymnische Buch redlich verdient.
Joachim Käppner: Berthold Beitz - die Biografie. Berlin-Verlag, 2010,688 Seiten, 36 Euro, Erscheinungstermin: 27. November