Essen. Gottesdienstgäste müssen sich warm anziehen. Gemeinden sollen die Heizungen abstellen. Die Temperatur könnte im Extremfall auf fünf Grad fallen.

Treue Kirchgänger hat die Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren schon abgehärtet. Es wurde viel gelüftet, bisweilen wurden auch Gottesdienste ins Freie verlegt. Nun aber könnte das Frösteln bei Gottesdiensten zum Dauerzustand werden. In den Kirchenräumen soll die Grundtemperatur in den kommenden Monaten bis auf fünf Grad sinken können, so steht es zumindest in den Handlungsempfehlungen, die die deutschen Diözesen an ihre Pfarrgemeinden weitergegeben haben. Nicht überall dürfte der Vorschlag so rigoros umgesetzt werden. Doch die aktuelle Energiekrise zwingt auch das Bistum Essen und den Evangelischen Kirchenkreis Essen zu drastischen Einsparungen.

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Außenbeleuchtungen wurden längst abgestellt, Energieeinspareffekte wo immer möglich optimiert, nun soll auch die Temperatur in den Innenräumen gedrosselt werden. Die Fünf-Grad-Vorgabe soll gewährleisten, dass die Räume frostfrei bleiben, Schimmel vermieden wird und keine Leitungen einfrieren können, heißt es in dem mehrseitigen Papier der Diözesen.

Viele Gemeinden beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Energiesparen

Doch ob es überhaupt so kalt wird, hängt auch davon ab, wie frostig der Winter sich zeigt. Schon in den vergangenen Corona-Wintern sei die Heizung im Essener Dom abgestellt worden, die Temperatur aber nicht unter neun Grad gefallen, berichtet Dombaumeister Ralf Meyers. Die Zeiten, in denen man den Raum noch auf 13,5 Grad beheizt habe, seien ohnehin „schon lange vorbei“. Und manches sakrale Gebäude wie der Kölner Dom sei schließlich generell nicht beheizbar, sagt Meyers.

Gleichwohl sorgen die Handlungsempfehlungen der deutschen Bistümer für Gesprächsstoff in den Gemeinden. „Viele fangen gerade erst an zu überlegen, wie sie damit umgehen“, sagt Bistums-Sprecher Ulrich Lota. Andere beschäftigen sich bereits seit langem mit dem Thema Energiesparen und haben schon erste Beschlüsse gefasst.

Wolldecken und heiße Getränke: Gemeinden wollen es Besuchern behaglicher machen

In der Pfarrei St. Lambertus mit den vier Kirchen will man beispielsweise zunächst einmal an einer Grundtemperatur von acht Grad festhalten, die zu den Gottesdiensten auf 13 Grad angehoben werden soll. In Nachbargemeinden wie St. Josef in Bottrop denkt man über den Ausschank von Heißgetränken nach, um es den Gottesdienstgästen behaglicher zu machen. Nach Corona soll die Kälte den ohnehin schon besorgniserregenden Mitgliederschwund der Kirchen schließlich nicht noch weiter beschleunigen.

Andere folgen dem Vorschlag, Gottesdienste und Andachten während der kalten Jahreszeit zu verlegen – in ohnehin beheizte Gemeinderäume, eine kleinere Krypta oder Nachbarschaftsorte. So wird die evangelische Emmaus-Gemeinde (Margarethenhöhe, Bredeney) ihre Gottesdienste ab November von der Kirche Am Brandenbusch und dem Gustav-Adolf Haus in die Kirche Am Heierbusch verlegen, die während dieser Zeit auf 17 Grad beheizt werden soll.

Gottesdienste sollen auch in kleineren, heizbaren Räumen stattfinden

Auch die Evangelischen Kirche im Rheinland hat mittlerweile ihre Empfehlungen zum „Verantwortungsbewussten Temperieren von Kirchen im Winter 2022/2023“ ausgegeben: „Reduzieren Sie die Temperaturen im Kirchenraum soweit wie möglich!“ Am Ende würde man es schon begrüßen, „wenn jede Gemeinde versucht, sich an der ja auch durch die Politik geforderten Einsparung in Höhe von 20 Prozent des Energieverbrauchs zu orientieren und einen Kompromiss zwischen Mindesttemperatur und den in früheren Jahren vielfach üblichen 18 Grad findet“, heißt es aus dem Kirchenkreis Essen. Wo die Mittellinie verlaufe, hänge zu oft von der konkreten Nutzung des Kirchengebäudes ab. „Aber das Bemühen, Energie zu sparen, ist in jeder Gemeinde spürbar“, sagt Pressesprecher Stefan Koppelmann.

Schließlich gehe es nicht nur um Kosten, sondern um die Rettung des Klimas, also um die Bewahrung der Schöpfung. „Wir nehmen das Thema sehr ernst“, sagt der Kirchenkreis-Sprecher. Schon im August habe man sich zu einer Klimasynode getroffen. Beschlossen wurde unter anderem, einen Klimabeauftragten einzustellen. Auch alle Gemeinden sollen in den kommenden Wochen einen Ansprechpartner für Energie- und Klimafragen abstellen. Koppelmann spricht von „einer großen Anstrengung“, personell wie finanziell.

Von Topfpflanzen und vom „feuchten Durchwischen“ wird abgeraten

Was da konkret an Kosten auf die Kirchen zukommt, mag noch niemand so richtig absehen. Denn dass die meisten Gotteshäuser mit ihrer jahrhundertealten Bausubstanz energetisch schwer zu optimieren sind, dürfte auf der Hand liegen. Der Energiespardruck wird auf Sicht vermutlich kaum schwinden.

Vorerst bleibt es bei Hinweisen zum richtigen Stoßlüften und sonstigen Empfehlungen zum sparsamen Umgang mit Energie. Vor allem die relative Luftfeuchtigkeit müsse im Auge behalten werden. Die Grenze liege bei maximal 70 Prozent relativer Luftfeuchte, um Schäden an Gebäuden und Kunstwerken vorzubeugen, so die Experten. Das regelmäßige Kontrollmessen wird empfohlen, vom „feuchten Durchwischen“ und Topfpflanzen in den nächsten Monaten abgeraten.

Wenn die Finger unbeweglich werden: Domorganist sorgt sich auch um die Kirchenmusik

Dafür könnten in den Kirchenbänken bald Wolldecken ausgelegt werden und Extra-Veranstaltungen wie Konzerte zur Attraktivitäts-Steigerung beitragen. Musiker wie Domorganist Sebastian Küchler-Blessing sehen allerdings auch die Qualität der Kirchenmusik in Gefahr. Orgeln hielten Kälte zwar mechanisch aus, sie reagierten aber besonders empfindlich auf Temperaturschwankungen und hohe Luftfeuchtigkeit.

Heizlüfter seien nicht einsetzbar, sie trocknen das Holz der Instrumente aus. Bei frostigen Temperaturen könnten andererseits die Finger der Kirchenmusiker unbeweglich werden. Die Anschaffung von Infrarot-Paravents, so Küchler-Blessing, könnte zumindest etwas Abhilfe schaffen. Denn irgendwann mit Fingerhandschuh, Schal und Mütze zu spielen, das schließt sich für den Essener Domorganist angesichts der Würde des Gotteshauses einfach aus.