Essen-Südviertel. Die neue Schiedsfrau im Essener Bezirk I kommt aus dem Südviertel. Wie Claudia Dübbert künftig Streithähnen bei der Einigung helfen will.
Wenn der Ast zu weit aufs Nachbargrundstück hängt und sich zwei Menschen darüber so sehr in die Haare kriegen, dass sie vor Gericht ziehen wollen, dann ist das ab sofort ein Fall für Claudia Dübbert. Die 56-Jährige aus dem Südviertel ist die neue Schiedsfrau für den Bezirk I. Das Ehrenamt ist ihr gewissermaßen auf den Leib geschnitten. Denn schon jetzt hilft sie als selbstständige Mediatorin Menschen dabei, ihre Streitigkeiten miteinander zu lösen. Auf die Erfahrungen aus ihrem Beruf will sie nun auch bei der Ausübung ihres Ehrenamtes zurückgreifen.
Schiedsfrauen und -männer sind ehrenamtlich für das sogenannte Schiedsamt tätig. Ihre Aufgabe ist es, bei Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Parteien zu schlichten, um eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen. Sie befassen sich beispielsweise mit Nachbarschaftsstreitigkeiten und Privatklagedelikten wie Hausfriedensbruch, Beleidigung, leichter Körperverletzung und Sachbeschädigung.
In bestimmten Fällen – das gilt in NRW zum Beispiel für Nachbarschaftsstreits – ist das Schlichtungsverfahren sogar gesetzlich vorgeschrieben. Eine Zivilklage am Gericht ist erst zulässig, wenn der Schlichtungsversuch erfolglos war.
Neue Schiedsfrau meldete sich selbst bei der Stadt Essen für das Ehrenamt
Ab sofort wird Claudia Dübbert beim Schlichten helfen. Die 56-Jährige, geboren in Kray, lebt seit 13 Jahren im Südviertel. Den Stadtteil mag sie besonders, „weil man dort irgendwie jeden kennt.“ Zuvor habe sie lange sehr anonym gewohnt. „Gerade deshalb finde ich es hier so schön“, erzählt sie – und fügt lachend hinzu: „Wenn dieser Artikel erscheint, werden bestimmt einige denken: ‘Ach, die Claudia.“
Dübbert hat sich eigeninitiativ bei der Stadt Essen für das Ehrenamt gemeldet. Für Peter Valerius (CDU), Bezirksbürgermeister im Bezirk I, ein Glücksfall: „Wir sind sehr froh, dass die Stelle endlich wieder besetzt ist.“ Denn zuvor hatte es dort sechs Jahre lang keinen Schiedsmann und keine Schiedsfrau gegeben. Es hatten sich schlicht keine Bewerberinnen und Bewerber für das Ehrenamt interessiert, bei Streitigkeiten musste eine Vertretung ran. Vielleicht, weil es doch vielen nicht geheuer sei, so nah an teils unangenehmen Streits zu sein, vermutet Valerius.
Essener Schiedsfrau: Bei Streitigkeiten steckt fast immer etwas anderes dahinter
Als Schiedsfrau möchte Claudia Dübbert Gesprächstechniken einsetzen, die sie auch als selbstständige Mediatorin verwendet. Häufig hat sie es in ihrem Job mit familiären Streitigkeiten zu tun – zum Beispiel darüber, wer wie viel Unterhalt zahlt und wer sich wann um die Kinder kümmert. Doch auch den klassischen Nachbarschaftsstreit hat sie schon geschlichtet. So kümmerte sie sich zum Beispiel um folgenden Fall: Ein neuer Nachbar wollte eine Terrasse bauen. Das gefiel der Partei links daneben nicht, und so verweigerte sie die nötige Unterschrift.
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Dübberts Erfahrung als Mediatorin: Fast immer geht es beim Streit um etwas anderes, das tiefer unter der Oberfläche liegt. „Nehmen wir ein Paar, das sich streitet, weil einer immer die Zahnpastatube offen lässt“, nennt sie ein Beispiel. „Da ist der eigentlich wichtige Punkt nicht ‘Du lässt die Tube offen’, sondern ‘Du respektierst meine Wünsche nicht.“ So war es auch bei der Terrasse. „Da stellte sich heraus, dass sich die Nachbarn schon seit Einzug der Neulinge über Baulärm geärgert hatten, und darüber, dass sie über nichts informiert wurden“, berichtet Dübbert.
Erfahrung der Essenerin: Bei Nachbarschaftsstreit geht es meist um Grenzen
Helfen könne es zum Beispiel, die hinter der negativen Äußerung liegende Emotion direkt anzusprechen: „Nehmen wir an, jemand nennt Sie ‘blöde Ziege’. Da frage ich dann: Dieser Mensch ist sehr aufgebracht, was glauben Sie, woran das liegt?“. Dübbert hat die Erfahrung gemacht, dass es bei Streitigkeiten unter Nachbarn meist um Grenzen geht – etwa, wenn einer der Meinung ist, dass sich der Zaun des anderen schon auf dem eigenen Grund und Boden befindet. „Für viele Menschen ist es wichtig, dass sie in ihrem Revier der Chef sind.“
Obwohl die Fronten oftmals verhärtet sind, sagt Dübbert dennoch: „In geschütztem Rahmen passieren Wunder.“ Und zwar eben deshalb, weil beide Parteien einmal gezwungen seien, sich gegenseitig zuzuhören. In ihrem neuen Ehrenamt freut sie sich deshalb am meisten darauf, zerrüttete Menschen wieder miteinander in Verbindung zu bringen. Für sie bedeutet das auch dem Südviertel, in dem sie sich so wohl fühlt, etwas zurückzugeben.