Essen. Wenn Nachbarn auf der Ruhrhalbinsel sich wegen Hecken und Lärm streiten, schlichtet Martin Hallebach (90). Nach 30 Jahren legt er das Amt nieder.
Als Martin Hallebach Schiedsmann in Heisingen wurde, kannte er im Stadtteil viele per Du. Inzwischen sitzen an seinem Wohnzimmertisch auch Streitende aus Kupferdreh, Burgaltendorf, Byfang oder Überruhr, denn sein Bezirk ist im Laufe der Zeit größer geworden. Geblieben sind die Gründe für den Zwist. Ein Klassiker: „Äste, die ihr Laub auf Nachbars Grundstück abwerfen“, sagt Martin Hallebach, der bald aus seinem Amt ausscheidet – mit 90 Jahren als der älteste Schiedsmann Essens. Auch bundesweit ist er einer der ältesten unter den Kollegen.
Martin Hallebach blickt auf 30 Dienstjahre in dem Ehrenamt und zahllose Begegnungen in seinen vier Wänden, bei denen die Wäsche auf dem Gartenzaun oder das laute Liebesleben der Nachbarn nach 22 Uhr die Gemüter erregte. Kopfschütteln hilft in dem Amt nicht weiter, vielmehr muss er die Parteien dazu bewegen, miteinander zu sprechen. Und wundert sich manches Mal, wie beharrlich einige sind, wie unerschütterlich sie an Prinzipien festhalten und wie heftig vor allem Frauen streiten.
Ein offizielles Verfahren mit Rechtsverbindlichkeit
„Schlimmstenfalls sitzen hier sechs Leute am Tisch“, beschreibt der Schiedsmann Situationen, bei denen Ehepaare samt Rechtsanwalt erscheinen. Der Austausch ist mitunter rege, denn was wie ein Nachbarschaftstreffen wirken könne, sei ein offizielles Verfahren mit Rechtsverbindlichkeit. So ist Martin Hallebach zuständig für Fälle des bürgerlichen Rechts sowie für Strafrechtsfälle. Stellt die Staatsanwaltschaft Anzeigen ein, landen auch Körperverletzungen oder Beleidigungen bei dem Heisinger. Diese seien jedoch auf der Ruhrhalbinsel rapide zurückgegangen. Zählte früher der Streit an der Theke samt Backpfeife durchaus zu seinen Verfahren, liege für 2018 gerade mal eine Strafsache vor: Jemand soll Unwahrheiten verbreitet haben.
Allen gesteht Martin Hallebach zu: „Sie dürfen durchaus laut werden.“ Nach fünf Minuten greife er dann doch ein, um Temperamente zu zügeln und auch auf seine Nachbarn hinzuweisen, sagt der Heisinger, der 1948 als gelernter Elektriker aus Hessen von der Bergstraße mit ihrem Weinbaugebiet nach Essen zog. Auf Carl Funke begann er als Lehrhauer, arbeitete als Elektrohauer auf der Heisinger Zeche, später auch auf Zollverein.
Dem Berufsleben folgt Schöffenamt
Mit 52 Jahren endete dieses Berufsleben, und er wurde zunächst Schöffe am Land- und Verwaltungsgericht, brachte dafür Interesse und Menschenkenntnis mit. Als seine Partei, die SPD, ihn schließlich 1989 als Schiedsmann vorschlug, war er bereit. Inzwischen hat er für seinen Einsatz als Schöffe und Schiedsmann das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.
Eine gewisse Gelassenheit und sein Durchsetzungsvermögen helfen ihm in seinem Amt. Wichtig ist zudem der Rückhalt seiner Frau Anneliese (82). Sie bringt regelmäßig Ladungen zur Post, verlässt aber für die Dauer des Verfahrens stets die Wohnung. „Alle kommen freundlich her“, beschreibt Martin Hallebach. Hat er Platz auf dem Hocker genommen und Couch wie Sessel den beiden Parteien überlassen, geht es eben doch oftmals ans Eingemachte. Das betrifft inhaltlich in vielen Fällen die Grundstücksgrenze, die hinüberwuchernde Hecke oder den bedrohlich schräg stehenden Nadelbaum.
Bescheinigung von Erfolglosigkeit
In den vergangenen fünf Jahren lief die Hälfte der Fälle auf einen Vergleich hinaus, sagt der Schiedsmann zur Bilanz. Die Gesamtzahl der Verfahren sei im Laufe von etwa zehn Jahren von 25 Fällen pro Jahr auf etwa 17 zurückgegangen. Jedes einzelne bedeutet für Martin Hallebach immer Schreibarbeit, denn er dokumentiert alles, übergibt die Unterlagen auch ans zuständige Amtsgericht. Er hält jeden Vergleich mit allen Details fest oder bescheinigt die Erfolglosigkeit, wenn der Geladene nicht erscheint oder die Parteien ergebnislos auseinandergehen – erst dann ist für diese der Weg zum Gericht offen.
Der Weg für Martin Hallebach als Schiedsmann endet im Dezember. Er legt sein Amt nieder, das er vor drei Jahrzehnten übernahm, weil er gebraucht wurde und weil es ihm lag.
>>EIN SCHIEDSAMTSBEZIRK VON 18 IST UNBESETZT
In Essen gibt es 18 Schiedsamtsbezirke. Derzeit sind 14 Schiedspersonen im Dienst: vier Frauen und zehn Männer. Zwei Bezirke werden aktuell bis auf weiteres intern vertreten. Gesucht wird eine Person für den Bezirk 8 (Bochold/Bergeborbeck). Für den Bezirk von Martin Hallebach liegt eine Bewerbung vor. Weitere sind willkommen.
Voraussetzungen für ein Schiedsamt: wohnhaft im Bezirk, keine Vorstrafen, 30 bis 69 Jahre alt. Gewählt werden Schiedsleute von der zuständigen Bezirksvertretung für fünf Jahre. Die zuständige Dienstaufsichtsbehörde ist das Amtsgericht, das die Schiedsleute vereidigt.
Kontakt: Rechtsamt Stadt Essen, Fr. Luczak, 88 30 201, Formular auf www.bds-essen.de oder Stefan Hagemann, Krayer Schiedsmann und Vorsitzender der Bezirksvereinigung Essen im Bund Deutscher Schiedsleute: 0176 233 50 952.