Essen-Werden. Die Zechenhäuser in der Huffmannstraße in Essen-Werden wurden vor 100 Jahren errichtet. Die Bewohner erzählen aus dem Leben der Bergarbeiter.
Wie es genau vor 100 Jahren am Ende der Huffmannstraße aussah, wissen die Nachbarn natürlich nicht. Aber Herbert Pörting –„wie die Zeche nur ohne Siepen“ – ist mit 82 Jahren der Anwohner mit der längsten Erinnerung an die zwölf einfachen Siedlungshäuser 86 bis 106 a. Sie wurden 1922 für die Arbeiter im Verbundbergwerk Pörtingssiepen/Carl Funke errichtet.
Pörtings Großvater und Vater Paul waren Hauer auf der 1973 stillgelegten Zeche. Natürlich haben sich die Gebäude in 100 Jahren verändert. „Es wurde fleißig ausgebaut“, sagt Gerd Haehnel. Er zog 1997 in die Huffmannstraße 102 und möchte die Geschichte der Siedlung näher erforschen.
Einst war die Straße eine Allee und hieß Lindenbeckerstraße
„Wer hier wohnte, musste auf der Zeche arbeiten“, weiß Dieter Filzen. Der 68-Jährige stammt aus einer Bergarbeiterfamilie, lebte bis vor Kurzem über sechs Jahrzehnte in Haus Nummer 92. Tür an Tür mit Kollegen von Vater Heinz Filzen, Jahrgang 1912. „Er war über Tage Schweißer, Schlosser und Sprengmeister.“ 1970 erlitt er tragischerweise auf Pörtingssiepen einen tödlichen Herzinfarkt. „Da war ich gerade 16. Als Junge habe ich ihn oft mit dem Rad abgeholt. Sogar in die Weißkaue mit den Körben für die saubere Kleidung durfte ich, da mich alle kannten“, so Filzen.
Haehnel: „Ehemals war diese Straße eine Allee und hieß Lindenbeckerstraße.“ Als die schmalen, verputzten Reihenhäuser entstanden, war der Baldeneysee noch Zukunft. Dessen Bau begann erst im Frühjahr 1931. Dafür hatte Werden einen Hafen am natürlichen Verlauf der Ruhr.
Sprengung der Zeche noch in guter Erinnerung
Während am Nordufer des Sees der denkmalgeschützte Förderturm von Carl Funke bis heute die Bergbau-Ära lebendig hält, wurde der Stahlbeton-Turm von Pörtingssiepen vor 40 Jahren gesprengt. Den 24. Juni 1982 hat Filzen nicht vergessen: 20 Kilo Sprengstoff in 100 Bohrlöchern zwangen das 60 Meter hohe Zechenwahrzeichen im Hespertal in Sekunden in die Knie. Beim Anblick von Staub und Trümmern seien Tränen geflossen. „Die Touristen klatschten, die Kumpel weinten.“
Auf dem Smartphone zeigt Gerd Haehnel ein Youtube-Video von der Sprengung. Längst ist das Areal komplett begrünt. An die Kohleförderung in Fischlaken erinnert am Rundwanderweg die alte Ablenkscheibe samt Gedenktafel. Eine gute halbe Stunde Fußweg habe es sein Vater bis zur Arbeit gehabt, fügt Herbert Pörting an. Der Vater sei als Elfjähriger in das Haus gezogen. „Er musste nicht zum Militär. Wie viele Bergleute war er vom Dienst an der Waffe freigestellt. Man brauchte die Kumpel, um die Stahlproduktion aufrecht zu erhalten.“
Gemüseanbau hinterm Haus war üblich
Im dunklen Strickanzug lehnt Herbert Pörting auf einem alten Foto lässig an einem abgerundeten Zierstein vor dem Haus Nummer 104. Der stand neben dem Treppenaufgang. Da sei er etwa drei Jahre alt gewesen. Alle hatten noch hölzerne Schlagläden vor den Fenstern.
Den Zweiten Weltkrieg erlebte Pörting daheim, während viele Kinder aus Schutz vor den Fliegerangriffen teils weit entfernt aufs Land verschickt wurden. „In unserer Straße fielen auch Bomben.“ Aus einem Haus riss eine Detonation die Eingangstür heraus, sie flog weit in einen Garten. Schlimmeres sei wohl nicht passiert.
Die langen, schmalen Grünflächen nutzen die Familien zum Gemüseanbau. „Kartoffeln, Möhren, Rot- und Weißkohl, Salat und Stangenbohnen wuchsen in den Beeten. Wir hatten das ganze Jahr Frisches zu essen.“ Der Rentner zeigt ein weiteres Schwarz-Weiß-Bild vom Vater neben den Kartoffelpflanzen. Für den Herbst und Winter legten die Hausfrauen Vorräte an. Aus Kappes (Weißkohl) in Salzlake wurde Sauerkraut. An die sauren Schnippelbohnen aus den Steintöpfen kann sich auch Dieter Filzen lebhaft erinnern: ein Klassiker aus Omas Vorratskeller.
Wohnküche war der größte Raum im Zechenhaus
Von den Siedlungshäusern hat Haehnel die Original-Grundrisse der drei Viererblocks verwahrt. In den Eckhäusern war mit rund 14,8 Quadratmetern die „Wohnküche“ größter Raum im Erdgeschoss. Die Frauen kochten am Gusseisenherd. Der wurde wie die Stubenöfen mit Deputat-Kohle betrieben, ein Zusatzlohn im Bergbau. Das Wohnzimmer nutzte man sonn- und feiertags. Auf rund 69 qm Gesamtfläche hatte dieser Haustyp im ersten Stock zwei Kinderzimmer à sieben sowie ein Schlafzimmer von knapp 14 qm. Eingerechnet in die Fläche war zudem der Stall für Ziegen, Hühner oder Kaninchen.
Unterlagen gesucht
Gerd Haehnel aus der Huffmannstraße 102 in Essen-Werden sucht nach weiteren historischen Fotos sowie historischen Unterlagen über die Geschichte der Zechensiedlung und den Steinkohlebergbau auf Pörtingsiepen/Carl Funke.
Wer Informationen hat, kann ihn per E-Mail kontaktieren unter der Adresse info@gerd-haehnel.de und per Telefon unter 0201 83 96 498.
Samstags saß er als Junge zum Baden in der Zinkwanne, weiß Filzen. Das heiße Wasser floss aus keinem Kran, sondern musste im Kessel auf dem Ofen erhitzt werden. Auch Vergangenheit: Für die Hinterlassenschaften der Nutztiere hatten die Häuser Sickergruben. Herbert Pörting wird nie vergessen, wie eine Nachbarin in die „Aalskuhle“ fiel, weil der Boden über der Jauche plötzlich nachgab.
Die Anwohner sind sich sicher: Die Feier zum 100-Jährigen schrieb Siedlungsgeschichte. Zwar ähnelten sich die Gebäude heute weniger, doch der Geist der Siedlung sei lebendig. „Diesen Gemeinschaftssinn der Bergleute“, wie Haehnel das nennt, will man demnächst beim Wintergrillen vertiefen.