Essen. Die neue Essener Kulturamtsleiterin Anja Herzberg spricht über die Bedeutung von Kultur in Krisenzeiten und den Mut zur Veränderung.
Anja Herzberg hat in den vergangenen Jahren an vielen Stätten und Orten der Kultur im Ruhrgebiet gearbeitet. Die studierte Kulturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin war zuletzt Leiterin der Stadtbibliothek in Gelsenkirchen, hat im Museum Folkwang und der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW gewirkt, aber auch Erfahrungen im Bereich der kulturellen Bildung und der interdisziplinären Kulturarbeit mit der freien Kulturszene gesammelt, unter anderem in Bochum und Unna: Die Arbeit in einem Kulturamt habe sie aber schon immer besonders gereizt, erklärt die neue Essener Amtschefin. Hier will sie all das einbringen, was sie in den vergangenen 20 Jahren an Berufserfahrung in NRW gesammelt hat.
Mit dem Amtsantritt am 1. Juni hat sich für die aus Berlin stammende Herzberg somit ein Wunsch erfüllt. Die ersten 100 Tage sind mittlerweile rum und Anja Herzberg ist bereits mittendrin im Abgleich von Wunsch und Wirklichkeit. An Beschäftigung dürfte es Herzberg und ihrem Team derzeit nicht mangeln. Vorgängerin Margrit Lichtschlag hat das Amt nach nur einem Jahr Ende 2021 bereits wieder abgegeben, zuvor war der Posten lange Zeit unbesetzt. Zudem hat Herzberg auch die Leitung des Kulturzentrums Schloß Borbeck übernommen. Und die Pandemie hat im Kulturamt für neue Herausforderungen gesorgt.
„Ich weiß, unter welchen Bedingungen in der freien Szene gearbeitet wird“
Die langjährigen Erfahrungen mit der Kulturarbeit in den finanziell zumeist nicht auf Rosen gebetteten Ruhrgebiets-Kommunen dürften Herzberg dabei schon eine Ahnung davon vermittelt haben, wie schwer die kommende Zeit für viele Kulturschaffende der Stadt angesichts steigender Energiepreise und einer weiterhin höchst unsicheren Corona-Lage werden wird. „Ich kenne die Realitäten in vielen Kommunen und weiß auch, unter welchen Bedingungen in der freien Szene gearbeitet wird“, sagt Herzberg. Nun gelte es, diese kommunale Kultur-Vielfalt so gut wie möglich zu stärken und weiterzuentwickeln.
Der Corona-Sonderfonds, den das Kulturamt bereits zum dritten Mal auflegt, sei dabei auch im interkommunalen Vergleich „herausragend“. Langfristig abzufangen sein dürften die Auswirkungen der fortwährenden Krisen auf die Kultur aber nicht nur mit städtischen Mitteln. „Wir müssen auch schauen, welche passenden landes- und bundesweiten Förderkulissen wir für Essen abrufen können, damit die Basic stabil bleiben.“
„Mein Kulturfeuer lodert, ich gebe nicht auf, auch wenn’s schwer wird“
Denn Kultur, davon ist Herzberg überzeugt, sei nicht das berühmte Sahnehäubchen, sondern „die Basis für vieles, für demokratische Prozesse in der Gesellschaft und den urbanen Wandel“, betont die neue Amtsleiterin: „Kultur um ihrer selbst willen muss es weitergeben“. Gleichwohl sei Kultur im kommunalen Aufgabenpaket eben immer noch eine „freiwillige Aufgabe“, weiß auch Herzberg. Eine Aufgabe, die wohl mehr denn je den breiten politischen Rückhalt benötigt, um sich in Verteilungskämpfen um knapper werdende Haushaltsmittel auch künftig behaupten zu können.
Herzberg kennt dabei die Mühen der politischen Ebene und will sich davon nicht entmutigen lassen. „Mein Kulturfeuer lodert, ich gebe nicht auf, auch wenn’s schwer wird“, versichert sie. In gewisser Weise versteht sich die neue Kulturamtsleiterin dabei auch als „Diplomatin“, deren Aufgabe es ist, verschiedene Partikularinteressen zusammenzubringen.
„Sind das noch die Impulsgeber, die wir uns als Kulturstadt wünschen?“
Die Vermittlerrolle wird gefragt sein, wenn es beispielsweise darum geht, über Jahre eingespielte Förderkriterien neu zu hinterfragen. Um Essen als Kulturstadt weiter zu stärken, brauche es auch „einen gewissen Wandel, Offenheit zum Gespräch und den Mut zur Veränderung“, zeigt sich Herzberg überzeugt. Dazu gehöre bisweilen auch, „alte Zöpfe abzuschneiden“. Nicht „um einzelne Akteure auzubooten, sondern um zu fragen: Sind das noch die Impulsgeber, die wir uns als Kulturstadt wünschen? Diese Frage muss offen gestellt werden dürfen“, sagt Herzberg.
An kreativem Potenzial, an der Vielfalt der Angebote und Akteure mangele es dabei nicht. „Die Landschaft ist bunt und breit, das hat mich auch sehr gelockt an Essen“, sagt Herzberg. Es gehe ihr deshalb nicht unbedingt darum, das Rad neu zu erfinden, sondern „das, was da ist, vielleicht noch einmal neu zu akzentuieren, in neue Bezüge zu setzen und manches noch stärker sichtbar zu machen“. Geschehen soll das „nicht am grünen Tisch, sondern im Dialog mit den Akteuren“, verspricht Herzberg.
„Wie können wir junge Leute über kulturelle Bildung wieder in die Häuser holen?“
Das Kulturamt versteht die neue Amtschefin dabei als „Impulsgeber, Förderer und Möglichmacher“, der mit guten Förderstrukturen und Konzepten die soliden Grundlagen für die Kulturarbeit in der Stadt schaffe. Neben den „Leuchttürmen“ der Essener Kulturlandschaft wie dem Museum Folkwang und der Theater und Philharmonie (TUP) will Herzberg auch ein besonderes Augenmerk auf die Kultur in den Quartieren legen. Das alte Hilmar-Hoffmann-Schlagwort von der „Kultur für alle“ erfahre wieder eine Renaissance, glaubt die Kulturamtsleiterin. Es sei gerade wieder sehr wichtig, auf die Menschen zugehen und Angebote vor Ort zu machen, „um ihnen nahezubringen, welches Potenzial Kultur für ihr unmittelbares Leben hat“.
Nicht zuletzt angesichts des aktuellen Besucherschwunds an vielen Bühnen stellt sich nämlich auch für Herzberg die Frage: „Wie können wir junge Leute über kulturelle Bildung wieder in die Häuser holen?“ Auch Institute wie etwa die Folkwang Musikschule sollen dabei Vermittlungshilfe leisten. Sie sind Teil der neuen Folkwang-Dekade, deren Ausgestaltung bislang noch in Planung ist. Gemeinsam mit den Institutsleitern wolle man nun zu zukunftsträchtigen Lösungen kommen, versichert Herzberg: „Kultur ist mir eine Herzensangelegenheit!“