Essen. Margrit Lichtschlag ist neue Chefin des Essener Kulturamtes. Corona hat den Start erschwert. Vielfalt des Kulturangebots soll erhalten bleiben.
Seit dem 1. September ist Margrit Lichtschlag neue Leiterin des Essener Kulturamtes. Unter dem 2018 ins Amt gewählten Kulturdezernenten Muchtar Al Ghusain war die Position zuletzt lange kommissarisch besetzt. Mit der 47-jährigen zweifachen Mutter, die zuletzt als geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Rates für Kulturelle Bildung e.V. in Essen tätig war, übernimmt nun eine Frau, die in den Bereichen Kultur, Bildung und kulturelle Bildung Berufserfahrung gesammelt hat. „Der Perspektivwechsel hat mich gereizt“, sagt Margrit Lichtschlag. „Ich wollte sehen, wie sich das, was Forschende und Kunstschaffende im Rat für Kulturelle Bildung an klugen Gedanken und Empfehlungen zusammengetragen haben, in der Praxis verwirklichen lässt.“
Frau Lichtschlag, nach knapp einem halben Jahr an der Spitze des Essener Kulturamtes können Sie das Essener Kulturleben coronabedingt bislang weitestgehend nur aus der Distanz verfolgen. Wie schwer macht das den Austausch mit den vielen verschiedenen Akteuren?
Natürlich freue ich mich, wenn ich den Institutionen und Personen endlich wieder persönlich begegnen kann. Zumal mich die unglaubliche Vielfalt an Einrichtungen, Akteuren und Prozessen doch überrascht hat, obwohl ich bereits seit einigen Jahre in Essen lebe. Hinzu kommt, dass der im Sommer 2020 aufgelegte Corona Sonderfonds Kultur uns gezeigt hat, dass die Vielfalt der Szene viel größer ist als dies durch Förder-Anträge im Kulturamt bislang bekannt war. Durch eine andere Form der Förderungen sind, wenn auch aus einer Notsituation heraus, noch einmal ganz andere Institutionen und Personen sichtbar geworden. Und nun stellt sich die Frage, was wir als Lehre aus der Krise mitnehmen und wie wir vielleicht durch gezielte Veränderungen der Förder-Impulse nachhaltige Akzente auch für die Zukunft setzen können.
„Der Corona-Sonderfonds war ein wichtiges Zeichen der Stadt Essen“
Wie viel Gestaltungsspielraum wird es angesichts der dramatischen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kulturinstitutionen überhaupt noch geben?
Der 2020 aufgelegte Corona-Sonderfonds war ein wichtiges Zeichen der Stadt Essen. Das damit verbundene Bekenntnis, dass man die Kultur auch in Krisenzeiten für wichtig hält und unterstützt, hat mich sehr überzeugt und war natürlich auch Teil meines Einstellungsgesprächs. In einen Aufgabenbereich hineinzuwachsen, der sich dann als „verzichtbar“ entpuppt, wäre ja wenig erfreulich gewesen. Ich finde es wichtig, Kultur auch als Teil der gesellschaftlichen Grundversorgung zu betrachten, obwohl sie eine freiwillige Aufgabe ist.
Wird die Essener Kulturszene durch die Corona-Krise trotzdem Schaden nehmen?
Es besteht natürlich die Gefahr, dass erprobte Strukturen wegbrechen, wenn der Lockdown noch lange anhält. Wenn das Publikum die Haupteinnahmequelle ist und die Leute nicht kommen dürfen, dann ist das für viele Häuser und Kulturschaffende fatal. Ich hoffe, dass wir gegensteuern können. Durch eine Neuauflage des Corona Sonderfonds Kultur in diesem Jahr oder andere Maßnahmen, die wir entwickeln können. Und natürlich sind auch die vielen Hilfsprogramme von Bund und Land ganz wesentlich.
Austausch mit der Freien Szene
Erleben Sie die Essener Kulturszene in der Krise eher als Einzelkämpfer oder als gut vernetzt?
Meinem ersten Eindruck nach sind die Szenen untereinander jeweils sehr gut vernetzt, aber die Repräsentanz ist für Außenstehende nicht immer so klar. Wer spricht für wen? Da kann sich sicherlich noch einiges entwickeln – um die einzelnen Szenen noch sichtbarer zu machen und auf Ansprechpartner schneller zugehen zu können. Der Kulturbeirat hat mit einer Tagung auf der Zeche Carl im Jahr 2019 diesbezüglich ja schon Vorarbeit geleistet. Der Austausch mit der Freien Szene soll von unserer Seite aus jedenfalls nicht nur in Corona-Zeiten intensiviert und fortgesetzt werden.
Aus dem Essener Kulturbüro ist wieder ein Kulturamt geworden, was heißt das für Sie?
Es bedeutet eine weitere Stärkung der Kultur in Essen, weil zwei Teil-Teams zusammengewachsen sind. Auf der einen Seite das ehemalige Kulturbüro, das als klassischer Projektentwickler eigene Kulturveranstaltungen kreiert und die Kulturszene fördert. Auf der anderen Seite das Team der zentralen Verwaltung, welches die kleineren städtischen Kulturinstitutionen, wie z. B. das Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv oder die Alte Synagoge Essen, organisatorisch unterstützt. Dieser Zusammenschluss hat für mich eine innere Logik, weil man sich mit den eigenen Kultureinrichtungen stärker verbunden fühlt und gleichzeitig besser nach außen wirken kann. Jeder hat seine Aufgaben, aber es gibt vielfältige Bezüge und die Möglichkeit, schneller zu Entscheidungen zu kommen.
Straßenkunstfestival in der Innenstadt steht wegen Corona auf der Kippe
Wo will das Kulturamt in Zukunft neue Akzente setzen und mehr als Förderpartner sein?
Ich würde die Frage so stellen: An welcher Stelle kann das Kulturamt etwas tun, was ansonsten keiner tun würde oder kann? Wo ist die Stärke des generalistisch ausgelegten Kulturamts gefragt, um verschiedene Bereich oder Perspektiven zusammenzubringen oder Orte zu bespielen, die nicht von allein durch die Gegenwart von Kulturinstitutionen geprägt sind? Neben dem Corona Sonderfonds Kultur ist einer unserer Schwerpunkte in diesem Jahr die Entwicklung eines Straßenkunstfestivals in der Innenstadt. Angesichts der aktuellen Corona-Situation wird eine Durchführung des Festivals als Tagesveranstaltung derzeit allerdings unwahrscheinlicher; ggfs. werden die Künstlerinnen und Künstler über den Sommer verteilt an verschiedenen Orten der Stadt auftreten.
Zur Person
Seit 2013 war Margrit Lichtschlag geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Rates für Kulturelle Bildung e.V. und leitet die hauptamtliche Geschäftsstelle mit Sitz in Essen.
Zuvor war sie zehn Jahre lang bei der Studienstiftung des deutschen Volkes e.V. tätig,
Nach dem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft führte sie die erste berufliche Station als Disponentin zum WDR Sinfonieorchester Köln.
Zu den künftigen Aufgaben Lichtschlags gehört auch die Leitung des Kulturzentrums Schloss Borbeck sowie alle Aufgaben der städtischen Kulturförderung.
Angesichts der Corona-Situation haben Open-Air-Auftritte in diesem Sommer vermutlich Konjunktur. Was kann ein einzelnes Straßenkunstfestival ausrichten?
Es hat natürlich Vor-und Nachteile, eine große Veranstaltung zu planen, die dann ja auch eine gewisse Außenwirkung hat und etwas Dauerhaftes anstoßen soll. Es geht darum, Bilder zu entwickeln, vielleicht auch eine neue Marke. Was verbindet man mit Essen? Ist es die Einkaufsstadt, die Folkwang-Stadt oder vielleicht die Kulturstadt mit niederschwelligem Angebot? Das Straßenkunstfestival ist der Versuch, für die Innenstadt mehr Sichtbarkeit und Zugänglichkeit zu erzielen.
„Wir wollen stärkere kulturelle Bezüge zwischen den Stadtteilen herstellen“
Braucht Essen so ein neues Leitmotiv?
Aus Marketinggesichtspunkten würde ich sagen: ja. Aber ein Label würde der Stadt nicht gerecht werden. Weil sie von einer unglaublichen Vielfalt geprägt ist.
Dafür sorgen nicht zuletzt die ganz unterschiedlich geprägten Stadtteile mit ihren Kultureinrichtungen und Akteuren.
Das ist unser zweites großes Thema: Wir wollen stärkere kulturelle Bezüge zwischen den Stadtteilen sichtbar machen und herstellen. Die Impulse für die jeweiligen Projekte sollen dabei aus den einzelnen Vereinen, Gruppierungen und der Bürgerschaft kommen. Das ist vor allem eine starke Vernetzungsaufgabe, die wir uns da vorgenommen haben.
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