Essen. Das Museum Folkwang macht sich und den Kunstfans zum 100. ein weiteres Geschenk: Aufstieg, Fall und neuer Glanz der Expressionisten.

So viel Folkwang war wohl nie im Folkwang: Für die große Expressionisten-Ausstellung, mit der das Museum sich und Kunstfans nun das zweite große Geschenk zum 100-Jährigen in Essen macht, reisten Dutzende ehemaliger Folkwang-Gemälde und -Grafiken aus ganz Deutschland, Österreich, Spanien und der Schweiz an, zu sehen sind rund 250 Werke überwiegend allererster Qualität.

Ebenfalls zu sehen und viel mehr noch zu ahnen ist allerdings der immense Schaden, den die Nationalsozialisten dem Museum zufügten, als sie ihm mit der Beschlagnahme-Aktion „Entartete Kunst“ 1273 Werke entrissen, deren Auflistung 31 eng beschriebene Seiten umfasst. Zum Teil sind diese Seiten nun vergrößert auf eine Wand der neuen Ausstellung projiziert, und man liest mit Entsetzen, dass da Kandinskys für 0,2 Dollar verkauft wurden oder ein Nolde für 0,5 Franken. In einer Spalte steht „T“ für Tausch, „V“ für Verkauf und „X“ für Vernichtung. Das Meiste aber ging an vier deutsche Kunsthändler, darum taucht der Name Dr. Gurlitt sehr oft auf, der so ganz andere Summen für die Bilder erhandelt haben dürfte.

Der Millionenerbe Karl Ernst Osthaus und die Maler

Und dass der Expressionismus, bei allem revolutionären Gebaren, doch nicht ganz vom Himmel fiel, das ist im Folkwang nun auch zu sehen: Das großartige Blumen-Stillleben von Matisse, die Strandszene von Gauguin, der wilde „Ungdom“ von Munch und das immer noch bildschön pointillistisch Sommerflirren auf Signacs „Seine bei Saint-Cloud“, das nur allzu ersichtlich abgefärbt hat auf Erich Heckels „Elbe bei Dresden“. Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus und die Expressionisten waren nicht nur aus derselben Generation, sie hatten auch einen sehr ähnlichen, eben sehr modernen Geschmack, mit dem Osthaus das gesamte Leben der Industriestadt Hagen lebenswerte machen wollte. Und als der Millionenerbe dort 1902 sein Folkwang-Museum gründete, fanden die Expressionisten, die noch nicht so hießen, darin „ein Vorbild unseres Gedankenganges“, wie es Franz Marc formulierte.

Das Folkwang wurde in der Folge zu einem echten Zuhause für die Expressionisten, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, aber auch die Wiener Egon Schiele und Oskar Kokoschka hatten hier ihre ersten Einzelausstellungen in einem Museum. Zu einigen Kokoschka-Werken kam das Museum übrigens, als sich die Komponistenwitwe Alma Mahler nach einer drei Jahre währenden Liaison mit dem Maler so gründlich von ihm trennt, dass sie seine Werke aus ihrem Besitz 1916 dem Folkwang schenkt, darunter eine Zeichnung, die ahnen lässt, wie diese Frau dann auch noch dem Architekten Walter Gropius und dem Schriftsteller Franz Werfel den Kopf verdrehen konnte.

Ernst Ludwig Kirchners „Farbentanz“ fürs Folkwang

Weil Karl Ernst Osthaus sowohl der „Brücke“ als auch dem „Blauen Reiter“ ab 1907 die Türen weit öffnete, können wir im Folkwang nun Franz Marcs „Akten unter Bäumen“ beim Träumen zusehen und die kraftvolle Freude genießen, mit der Erich Heckel seinen „Putto“ hart an die Grenze zur Abstraktion trieb. Ernst Ludwig Kirchner, den Osthaus nach dessen Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg vor dem gesundheitlichen wie finanziellen Ruin rettete, ist in dieser Ausstellung ein eigenes Kapitel gewidmet, weil er ursprünglich im neu eröffneten Folkwang Museum in Essen die Wände des Festsaals mit einem „Farbentanz“ ausmalen sollte – wozu es am Ende nie kam, weil der damalige Museumsleiter Ernst Gosebruch bald merkte, dass er den Festsaal besser als Ausstellungsraum mit nackten Wänden gebrauchen konnte. Dass aber Kirchners „Doris mit Halskrause“ für ein paar Monate aus dem Museo Thyssen-Bornemisza aus Madrid ins Folkwang zurückkehren konnte, bedeutet ein Fest der Farben, das ein spektakulär gutes Porträt zugleich bildet.

Ebenfalls ein eigenes Kapitel widmet die Ausstellung Emil Nolde, der sich im Lichte neuerer Forschungsergebnisse mehr denn je zu einem Problemfall entwickelt hat, weil er auch dann noch ein glühender Nationalsozialist blieb, nachdem seine Werke als „Entartete Kunst“ verfemt wurden. Er und seine Frau Ada waren allerdings auch so eng mit Karl Ernst und Gertrud Osthaus befreundet wie kein anderes Paar der Expressionisten.

Der Problemfall Emil Nolde und seine Südsee-Expedition

Nolde gehörte früh zu den Leitsternen der Sammlung, auch mit seinen Südsee-Motiven. Dass Nolde 1913/14 mit der „medizinisch-demographischen Deutsch-Guinea-Expedition“ des Berliner Reichskolonialamtes auf Reisen gegangen war, thematisiert die Ausstellung genauso wie die Tatsache, dass Nolde in seinen Notizen den brutalen, ausbeuterischen Charakter der weißen Ausbeutung von Ureinwohnern glasklar festhielt. Seine Aquarelle aber zeichnen ein Idyll von Freiheit, Natur und Schönheit. Wie gern sähe man dies wieder unbefangen, und das gewaltig tosende „Meer mit Roten Wolken“ nicht minder!

Die Nachkriegszeit betrieb schon mit der Documenta eine Wiedergutmachung an den zwölf Jahre lang verfemten Expressionisten – und das Folkwang vorneweg, das 1958 seinen Neubau mit einer Retrospektive zur „Brücke“ eröffnet. Und die Versuche, die gewaltigen Lücken der Sammlung wieder zu schließen, begannen 1949, brachten Publikumslieblinge wie Mackes „Frau mit Sonnenschirm vor Hutladen“ zurück – und noch im vergangenen Jahr einen Zuwachs wie den großartigen Farbholzschnitt „Zwei ruhende Frauen“ von Erich Heckel. So bietet diese Ausstellung Pracht für die Augen und eine höchst sinnliche Geschichte des Museums zugleich.