Essen. Vom Kino auf die Bühne: Karsten Dahlem inszeniert am Schauspiel Essen „Das Fest“. In dem Familienmelodram werden auch Tote wieder lebendig.
Geburtstagsfeste können etwas Heiteres haben. Aber sie können auch ganz schrecklich verlaufen. Wenn statt Schwarzwälder Kirsch und Käsesahne auf einmal die Wahrheit auf den Tisch kommt: Papa Helge hat sich jahrelang an zweien seiner vier Kinder vergriffen. Nun ist eine Tochter, Linda, tot, Selbstmord. Und für ihren Zwillingsbruder Christian ist die Zeit ist gekommen, das Ungeheure anzusprechen. „Das Fest“ zum 60. Geburtstag des Familienoberhaupts steht an und der Vater am Pranger. Aus dem fatalen Mechanismus des Verschweigens und Verdrängens hat der dänische Filmemacher Thomas Vinterberg Ende der 90er einen fulminanten Film gemacht. Die Bühnenfassung hat am Freitag, 26. August, im Essener Grillo-Theater in der Regie von Karsten Dahlem Premiere.
„Das Fest“ war 1998 das erste Werk, mit dem der Begriff „Dogma“ in die Filmwelt einzog und auf Festivals von Cannes bis London für Furore sorgte. Die mit nervöser Handkamera aufgenommenen Bilder entsprachen damals den puristischen Regeln des Kino-Manifests, das beispielsweise weder künstliches Licht, noch Spezialeffekte oder extra herbeigeschaffte Requisiten erlaubte. Verbote, die auf der Bühne schlechterdings nicht umzusetzen sind. Insofern ist Dogma auf Essens „Fest“nur noch eine Randerscheinung. „Davon habe ich mich befreit, ich muss eine neue Erzählweise finden“, sagt Dahlem, der ja selber nicht nur Regisseur ist und als Schauspieler gearbeitet hat, sondern auch als Filmemacher schon Preise eingesammelt hat. Sein neuer Film „Crash“ mit Anna Maria Mühe in der Hauptrolle soll im Herbst Festivalpremiere haben.
Dahlem weiß, wie man Menschen, vor allem auch junge Zuschauer, erreichen kann – auch für die abgründigen Themen. „Das Fest“ ist seine mittlerweile neunte Arbeit in Essen, zuletzt hat er Albees Ehekrieger in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ aufeinander losgelassen und Ibsens „Peer Gynt“ auf die Erkenntnisreise geschickt. Sein furioser „Werther“ mit rockender Bühnen-Band wurde zu einem der größten Essener Publikumserfolge. Beim personell groß besetzten „Fest“-Abend auf der Grillo-Bühne kommt auch wieder Live-Musik zum Einsatz. Schließlich feiern sie eine rauschende Geburtstags-Party, die sich nach einer Weile zum Familien-Tribunal auswächst.
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Dahlem nennt es eine „Achterbahn der Gefühle“, die da in Gang gesetzt wird. Schonungslos direkt und mit scharfer Ironie hat Thomas Vinterberg sein „Fest“ angelegt, das grausam angriffslustig, aber auch brutal komisch sein kann. Und manch einem wird der provokante Sound dieses Sippen-Zusammenkommens vielleicht sogar aus eigener Erfahrung bekannt vorkommen.
Wie viel Grauen lässt sich hinter der Fassade der heilen Familie verbergen?
Das Thema Familie ist für Regisseur und Filmemacher Karsten Dahlem ohnehin seit Jahren ein wichtiger Bestandteil seiner Bühnen-Arbeit. „Der Ursprung von allem“, sagt der 47-Jährige Seit er selber Vater sei, hätten familiäre Abgründe wie die im Stück beschriebene sexualisierte Gewalt gegen Kinder für ihn aber einen besonderen Schrecken bekommen. Mit Blick auf die bedrückenden Statistik-Zahlen, die Tatsache, dass sexuelle Gewalt vor allem in den Familien stattfindet – und nicht zuletzt angesichts die vielen Missbrauchs-Vorfälle in der katholischen Kirche –, sei es aber extrem wichtig, das Thema auf der Bühne zu behandeln. Vor allem, weil „Das Fest“ den Missbrauch an Kindern nicht bestimmten Tätergruppen zuschreibt, sondern in einem wohlsituierten familiären Umfeld ansiedele.
Mehr Infos zum Fest
„Das Fest“ hat am Freitag, 26. August, 19.30 Uhr im Grillo-Theater Premiere. Weitere Termine: 31. August, 17., 18. und 29. September, 28. Oktober. Karten unter Tel. 0201-8122-200 und www.theater-essen.de
Der gleichnamige Film nach dem Drehbuch von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov stammt aus dem Jahr 1998. Bei den Filmfestspielen von Cannes erhielt „Das Fest“ unter anderem den Spezialpreis der Jury.
Wie viel Grauen lässt sich hinter der Fassade der heilen Familie verbergen? Dahlem und das Ensemble haben nicht nur die Vorlage von Thomas Vinterberg befragt, sondern auch die Caritas in Bochum, die eine eigene Kinderschutzambulanz anbietet. Der Austausch bei den Proben sei intensiv gewesen und habe beim Ensemble für Betroffenheit gesorgt, erzählt Dahlem. Bewegen einen doch viele Fragen, wenn man sich mit dem Thema Kindesmissbrauch auseinandersetzt. Warum schweigen so viele Opfer, bleiben bis ins hohe Alter stumm? Warum schreiten Mütter teilweise nicht ein, werden zu Mittätern? Und wie funktionieren die Verdrängungsmechanismen einer Familie, damit Missbrauch überhaupt stattfinden kann?
Tote werden auf der Bühne noch einmal sehr lebendig
Das Prinzip „Augen zu und Weitermachen“ sei auch im wahren Leben eher die Regel als die Ausnahme, haben die Experten von der Bochumer Caritas dem Theaterteam erklärt. Auf der Bühne reihen sich die Party-Gäste lieber erst mal in die Polonaise ein, anstatt in das Klagelied des Sohnes gegen den Familienpatriarchen anzustimmen. Den Schrecken der Vergangenheit aber kann man in Essen nicht entkommen, denn die Toten werden noch einmal sehr lebendig an diesem Abend.