Essen-Bergerhausen. Wegen der Krise stoppt Gewobau den Abriss und Neubau einer Siedlung in Essen. Warum der Vorstand eine seriöse Planung derzeit für unmöglich hält.
- Gewobau will eine Siedlung in Essen-Bergerhausen abreißen und neu bauen.
- Das Projekt wurde vor wenigen Tagen gestoppt.
- Der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft erklärt die Hintergründe.
Die Wohnungsgenossenschaft Gewobau hat ihr Großprojekt in Essen-Bergerhausen in der Nähe der Ruhrallee vorerst gestoppt. Der Neubau von 116 Wohnungen, darunter 22 Sozialwohnungen, elf Häusern zur Miete und einer Kita liegt auf Eis. Jetzt äußert sich der Vorstand detailliert zu den Gründen.
„Eine seriöse Planung ist angesichts der allgemeinen Lage derzeit nicht möglich“, erklärt der Vorstandsvorsitzende Stephan Klotz. Als Genossenschaft mit 116-jähriger Geschichte und einem Bestand von rund 5500 Wohnungen in Essen habe man eine soziale Verantwortung gegenüber den Mitgliedern. „Wir haben uns verpflichtet, faire Mietpreise aufzurufen“, so Klotz. Mit einer monatlichen Netto-Kaltmiete von 5,83 Euro pro Quadratmeter in 2021 sei das bisher gelungen.
Gewobau stoppt Bauprojekt in Essen wegen erwarteter Kostensteigerung
Angesichts rapide steigender Material-, Energie- und Handwerkerkosten seien bei einem Großprojekt wie am Maßmannweg/Guts-Muths-Weg enorme Kostensteigerungen zu erwarten, die man so nicht an die Mieter weitergeben könne und wolle. „Das ist nicht im Sinne unseres Unternehmens, irgendwann ist die Belastungsgrenze bei den Menschen erreicht“, sagt Klotz. Schon 2021 seien die Baukosten deutlich gestiegen. „Und da war vom Ukraine-Krieg noch keine Rede.“ Es sei unklar, ob Lieferketten weiter funktionierten, deshalb sei ein normaler Bauablauf nicht zu gewährleisten.
Gewobau plant, die gesamte Siedlung in Bergerhausen, die früher unter dem Namen „Schutzmannshausen“ bekannt war, weil dort viele Polizisten und Mitarbeiter der Essener Verkehrs AG (heute Ruhrbahn) wohnten, abzureißen, neu zu bauen und im Bestand der Genossenschaft zu halten. Das Projekt umfasst drei Bauabschnitte, die 2028 abgeschlossen sein sollten. Der Abriss von 45 Wohnungen für den ersten Bauabschnitt ist vor gut einem Jahr bereits erfolgt. Die Gebäude standen in dem Teil der Siedlung, der direkt an die Ruhrallee angrenzt.
„Diese Häuser sind weg, der Boden ist eingeebnet und inzwischen schon wieder zur Grünfläche geworden, auf die die Menschen dort jetzt blicken“, sagt Gewobau-Sprecherin Sandra Kesseboom. Als der Aufschub des Projekts bei einer Mieterversammlung verkündet worden sei, hätten viele das mit Gleichmut zur Kenntnis genommen. Besonders ältere Menschen hätten sich zum Teil sogar gefreut, dass ihnen ein Umzug vorerst erspart bleibe. Bereits die Ankündigung, dass die Siedlung abgerissen und neu gebaut werden soll, war 2017 eher geräuschlos über die Bühne gegangen. Langjährige Mieter schwankten zwischen Wehmut und Vorfreude, Proteste blieben aus.
Die Menschen leben teils 50 Jahre und länger in der Siedlung
„Für uns stehen die Menschen im Mittelpunkt. Bei aller Notwendigkeit, die 1953/54 entstandene Siedlung zu erneuern und zukunftsfähig zu machen, haben wir uns von Anfang an vergegenwärtigt, dass wir den Menschen dort das Zuhause nehmen. Uns war immer klar, dass wir dementsprechend sensibel vorgehen müssen“, sagt Gewobau-Vorstand Alfred Krausenbaum. Viele der Mieter hätten einen Großteil ihres Lebens dort verbracht, ihre Geschichte sei mit der Siedlung verbunden.
Man habe versucht, die Mieter, die als Mitglieder der Genossenschaft lebenslanges Wohnrecht besitzen, partnerschaftlich bei den Planungen mitzunehmen, ihnen viel Zeit zu lassen und sie bei der Suche nach einer neuen Wohnung zu unterstützen.
Eine Sozialarbeiterin hatte in persönlichen Gesprächen abgefragt, welche Anforderungen es an eine neue Wohnung gebe, Gewobau übernimmt die Umzugskosten. Dieses Angebot haben laut Krausenbaum im mittleren Siedlungsbereich, der für den zweiten Bauabschnitt vorgesehen sei, bereits ungefähr die Hälfte der Mieter angenommen. Dort stünden inzwischen 25 Wohnungen leer, aber keineswegs ganze Straßenzüge. „Im Bereich des dritten Bauabschnitts sind bisher nur wenige Wohnungen freigezogen, weil die Mieter in der Zwischenzeit schon etwas Geeignetes, meist in unserem Bestand, gefunden haben“, so Krausenbaum.
Die leerstehenden Wohnungen sollen angesichts des Projektaufschubs instandgehalten und temporär neu vermietet werden: an Studenten, an junge Leute als erste, preiswerte Wohnung, an Menschen aus der Ukraine, die vorübergehend eine neue Bleibe in Essen suchten. Über ein Spendenprojekt habe man bereits dafür gesorgt, dass 50 Kriegsflüchtlinge ein Zuhause gefunden hätten. Die Wohnungen am Maßmannweg/Guts-Muths-Weg sind mit rund 55 Quadratmetern eher klein und nach heutigem Standard für Familien nicht geeignet. „Als die Siedlung in den 1950er Jahren entstand, haben da natürlich ganze Familien gewohnt“, erklärt Alfred Krausenbaum.
Unsicherheit auch bei den energetischen Anforderungen
„In den Neubauten sollen zum Teil größere Wohnungen für Familien entstehen, zum Teil aber weiterhin kleine Wohnungen, auch für ältere Menschen“, kündigt Stephan Klotz an. Das Neubauprojekt, derzeit das einzige von Gewobau in Essen, soll weiterhin realisiert werden. Man versuche weiter, Baugenehmigungen für die geplante Kita und den ersten Bauabschnitt zu erhalten. Unsicherheit herrsche aber derzeit auch in Bezug auf die energetischen Anforderungen an Gebäude. Während die alten Wohnungen mit Nachtspeicher- oder Gasheizung ausgestattet seien, plane man für die Neubauten mit Fernwärme.
„Den Baubeginn können wir derzeit nicht seriös vorhersagen. Aber Tatsache ist: In Essen gibt es weiter großen Bedarf an Wohnungen“, betont Klotz. Diesen unter den gegebenen Umständen zu decken, sei eine Mammutaufgabe für die gesamte Wohnungswirtschaft. Gewobau werde die Zeit für die Sanierungsarbeiten im Bestand nutzen. Allein 2021 habe das Unternehmen 13,8 Millionen Euro in die Modernisierung und Instandhaltung seiner Wohnungen gesteckt.