Essen. Bald kommen neue iPads für Schüler. Digitalisierung der Schulen – was ist sinnvoll und was nicht? Eine Debatte darüber gibt es nur im Flüsterton.

Die flächendeckende Ausstattung der Schülerinnen und Schüler in Essen mit Tablet-Computern schreitet voran. Nach den Sommerferien, kündigt die Stadtverwaltung auf Anfrage an, sollen alle Kinder und Jugendlichen der Essener Schulen, die noch kein Gerät erhalten haben, ein iPad ausgehändigt bekommen. Die Vorbereitungen laufen. Es geht um rund 46.000 Geräte.

Der Stand der Digitalisierung an Essener Schulen ist sehr unterschiedlich – und eine Debatte findet nur im Flüsterton hinter vorgehaltener Hand statt: Was ist nützlich und sinnvoll, was ist schädlicher Aktionismus?

Mehr als 20.000 iPads sind bereits ab Herbst 2020 an bedürftige Schülerinnen und Schüler ausgeteilt worden – das machte damals ein Sofortprogramm von Bund und Ländern möglich, als Antwort auf die Corona-Pandemie, die deutlich machte, wie schlecht viele Haushalte mit elektronischen Geräten ausgestattet sind.

Städtische Laptops sind unattraktiv für Diebe

Ein EU-Programm sorgt jetzt dafür, dass sämtliche Schülerinnen und Schüler ein iPad dauerhaft ausgeliehen bekommen. Die Geräte werden von der Stadt Essen gesteuert – das bedeutet, es sind keine unkontrollierten Downloads möglich. Außerdem kann man die Geräte orten und mit weiteren Mitteln unattraktiv für Diebe machen.

Die Ausstattung von Schülerinnen, Schülern sowie Pädagogen mit iPads fällt in eine Zeit, in der die Schulen in unterschiedlichem Tempo den Pfad der Digitalisierung beschreiten. Die Digitalisierung wird, soweit das überhaupt erkennbar ist, kaum breit diskutiert, sondern höchstens hinter vorgehaltener Hand. Vielfach sind es Schülerinnen und Schüler, die Fakten schaffen: An vielen Gymnasien bringen die Jugendlichen spätestens ab den Oberstufen-Jahrgängen selbst die Geräte mit, zunächst als Ersatz für einen Notizblock.

Plakative Beispiele gibt es viele. Das Helmholtz-Gymnasium in Rüttenscheid hat zum Beispiel erstmals einen kompletten fünften Jahrgang zum „iPad-Jahrgang“ erklärt, das benachbarte Maria-Wächtler-Gymnasium verfuhr ähnlich mit einem siebten Jahrgang. Das BMV-Gymnasium in Holsterhausen hat jetzt eine Auszeichnung des Online-Nachhilfeanbieters „Sofatutor“ erhalten: Mitten im Lockdown gelang es der Schule, die Arbeit der Chöre und Orchester digital fortzusetzen – und auf dem Schulhof einen einstündigen Konzertfilm zu drehen, trotz strengster Corona-Regeln, die Präsenzproben in jahrgangsgemischten Gruppen undenkbar machten.

Konzept am BMV-Gymnasium und an anderen Schulen: Neues und Bewährtes sollen sich ergänzen

„Nur die Einbindung von Schülerinnen und Schülern, die teilweise die Schnitt- und andere Arbeiten erledigten, machten dieses Projekt überhaupt denkbar“, sagt Thomas Püttmann, Informatiklehrer am BMV-Gymnasium und Leiter der Technik-AG. Lehrerin Susanne Bürger ergänzt: „Unsere Schule will die Digitalisierung vor allem dazu nutzen, Menschen zusammenzuführen.“ Altes, Bewährtes solle nicht blindlings gegen moderne Technik ausgetauscht werden, aber: „Altes und Neues sollen sich sinnvoll ergänzen.“ So verfährt die Schule zum Beispiel bei der Ausstattung der Klassenzimmer mit Beamer-Geräten: Solche modernen Präsentationsmittel werden an-, aber die traditionelle, grüne Kreidetafel nicht abgeschafft. „Die Tafel hat weiterhin ihre Daseinsberechtigung“, unterstreicht Susanne Bürger.

Experten – auch jene in Essen – warnen seit Jahren davor, Schulen einfach mit digitalen Endgeräten auszustatten – und fertig. Es bräuchte immer ein kohärentes, pädagogisches Konzept, heißt es. Und kundige Pädagogen, die willens und in der Lage sind, digitale Mittel sinnvoll in den Unterricht einzubinden.

Wie sinnvoll ist zum Beispiel eine digitale Tafel? Viele schwärmen von den Möglichkeiten, digitale Medien einzubinden, die Kinder und Jugendlichen zu Recherche mit eigenen Geräten zu ermuntern, und nicht zuletzt sei der Daten-Austausch über „Air Drop“ kinderleicht.

Kritik nur hinter vorgehaltener Hand: Irgendwann kommt die Rolle rückwärts

Doch die Leiterin einer großen, weiterführenden Schule sagt hinter vorgehaltener Hand: „Ich sehe die Digitaltafeln kritisch, aber man kommt gegen den vorherrschenden Elternwillen nicht an. Und derzeit stehen die Zeichen auf Digitalisierung, ehe wir in zehn oder 15 Jahren wieder alle Räder zurückdrehen werden.“ Denn schon jetzt sei längst bekannt, dass Tippen nicht die gleiche Funktion fürs Gehirn hat wie das Schreiben mit der Hand, der Lerneffekt beim Schreiben auf Papier der denkbar größte ist, und nicht zuletzt: „Das Geschriebene auf einer Kreidetafel können Sie einfach mal einen Tag stehen lassen. Versuchen Sie das mal ohne viel Aufwand mit einer Digitaltafel.“ Ein erfahrener Naturwissenschaftslehrer eines Gymnasiums findet noch viel deutlichere Worte: „Die Tablet-Computer sorgen bald dafür, dass unsere Schüler nicht mehr richtig Schreiben und Lesen können.“

Und während die Digitalisierung voranschreitet, hapert es noch an vielen anderen Ecken und Enden. So wurden an einer Grundschule im Essener Norden kürzlich die altmodischen Overheadprojektoren abgeschafft, doch die modernen Dokumenten-Kameras, die Live-Bilder an die Wand projizieren, konnten nur deshalb eingesetzt werden, weil ein Sponsor die zusätzlich notwendigen Beamer bezahlte.

Es gibt längst ganze Schulen, die ihren Unterricht auf digitale „White-Boards“ umgestellt haben, welche nur mit einem Computer funktionieren. Es mag polemisch klingeln, aber nicht wenige Praktiker verweisen regelmäßig darauf, dass die Schulen gleichzeitig noch nicht mal funktionierende Kopierer besitzen. Geschweige denn Farbkopierer – davon träumt man noch in Essens Lehrerzimmern.