Essen. Das Benefizkonzert für die Ukraine auf dem Essener Kennedyplatz rührte Geflüchtete zu tränen. So war der Auftritt der ESC-Gewinnerin Ruslana.

Eine Mutter nimmt ihren Sohn in den Arm, eine ältere Frau wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. Der Kennedyplatz in der Essener Innenstadt ist an diesem Dienstagabend, 7. Juni, in gelb-blau getaucht. Fast alle der versammelten Menschen halten kleine Fähnchen in die Luft, einige hüllen sich ganz in die ukrainische Flagge.

Sie kommen aus Odessa, Kiew oder Mariupol – und sollen sich für einige Stunden von ihren Ängsten, den traumatischen Erlebnissen und der Zerstörung ihrer Heimat ablenken können. Das zumindest ist das Ziel von Ruslana Lyschytschko, dem Star des Abends. „Es soll eine schöne Zeit für die Menschen werden“, sagt die Sängerin, die 2004 mit ihrem Song „Wild Dances“den Eurovision Song Contest (ESC) für die Ukraine gewann.

Nun steht sie beim Benefizkonzert, das unter dem Motto „Stand with Ukraine“ stattfindet, auf der Bühne in Essen. Als sie ihren ersten Song performt, laufen bei vielen der laut Polizei insgesamt 700 Zuschauerinnen und Zuschauern die Tränen.

Sängerin Ruslana in Essen: „Die Ukraine wird nie aufgeben“

Ruslana will mit ihrem Auftritt nicht nur für die Geflüchteten da sein, ihnen Mut machen, sondern auch dafür sorgen, dass der Krieg nicht in Vergessenheit gerät. Daher läuft, bevor sie die Bühne betritt, zunächst ein Video auf der großen Leinwand.

Es zeigt, wie sie in einer Schutzweste gekleidet vorbei an zerbombten Gebäuden läuft und ukrainische Soldaten trifft. Ihre Botschaft: „Die Ukraine wird nie aufgeben.“

Rund 500 Menschen – darunter vor allem ukrainische Geflüchtete – besuchten das Benefizkonzert auf dem Essener Kennedyplatz.
Rund 500 Menschen – darunter vor allem ukrainische Geflüchtete – besuchten das Benefizkonzert auf dem Essener Kennedyplatz. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ukrainische Sängerin ist Gesicht des Protests

Ruslana ist in ihrer Heimat nicht nur eine bekannte Musikerin, sondern auch ein Gesicht des Protests. 2013 trat sie jeden Tag auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew auf, demonstrierte gegen den russlandfreundlichen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch.

Acht Jahre später scheint sich dieser Einsatz zu wiederholen. „Ich bin so stolz, dass Ruslana heute hier ist und für uns singt. Es hilft, dass sie uns so nah ist. Sie hätte ja auch in einer größeren Stadt auftreten können“, sagt Katharina. Sie ist kurz nach dem Ausbruch des Krieges aus Kiew geflohen, lebt seitdem in Essen.

Bekannter Violinist aus der Ukraine tritt in Essen auf

Dass die Sängerin ausgerechnet hier auftritt, dafür hat ihre Bekannte Irina Jastreb, Vorsitzende des Düsseldorfer Vereins „Ukrainisches Haus“, gesorgt. Gemeinsam mit dem Bürgermeister Rolf Fliß hat sie die Veranstaltung mit Unterstützung der Essen Marketing Gesellschaft (EMG) initiiert. Neben der ehemaligen ESC-Gewinnerin stand am Dienstagabend auch der ukrainischen Violinisten Vasyl Popadiuk auf der Bühne.

„Er ist sehr bekannt in der Ukraine. Ich habe mir seine Videos schon oft im Internet angeguckt“, sagt Marat Hrinshtein. Gemeinsam mit einigen Freunden ist er extra aus Dortmund angereist, um die Stars seines Heimatlandes live zu sehen. Der 41-Jährige hat die Ukraine bereits vor drei Jahren verlassen – freiwillig. Nun kümmert er sich um die Ukrainerinnen und Ukrainer, die – anders als er – keine Wahl hatten.

Viele der Besucherinnen und Besucher der Kundgebung auf dem Kennedyplatz in der Essener Innenstadt waren in ukrainische Flaggen gehüllt.
Viele der Besucherinnen und Besucher der Kundgebung auf dem Kennedyplatz in der Essener Innenstadt waren in ukrainische Flaggen gehüllt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Mehr als 6000 ukrainische Geflüchtete in Essen

6041 ukrainische Geflüchtete leben nach Angaben der Stadt derzeit in Essen, rund ein Drittel von ihnen ist minderjährig. Viele der Kinder und Jugendlichen rennen aufgeregt über den Kennedyplatz, lachen mit ihren Familien – und filmen die Auftritte, um sie auf Instagram und TikTok mit ihren Freundinnen und Freunden zu teilen, die nach der Flucht in ganz Europa verteilt sind oder die sie in der Ukraine zurückgelassen haben.

Über die Menschen, die in der Ukraine geblieben sind, spricht auch Oberbürgermeister Thomas Kufen während seiner kurzen Ansprache. „Ich bin sehr beeindruckt von dem Mut und der Entschlossenheit der Menschen in der Ukraine, die ihr Land und ihre Freiheit verteidigen“, sagt er und erntet dafür großen Applaus vom Publikum, das hauptsächlich aus Ukrainerinnen und Ukrainern besteht.

Essener Familie: „Wir wollen uns solidarisch zeigen“

Als eine der wenigen Essenerinnen und Essener ist Familie Reichert vor Ort. „Wir wollen uns solidarisch zeigen. Wir hatten auch gehofft, dass mehr los ist. Aber wahrscheinlich geht der Krieg schon zu lange, die Menschen hier haben sich daran gewöhnt“, kritisieren sie.

Ruslana zeigt sich hingegen dankbar dafür, dass Deutschland „sein Herz geöffnet“ hat, die Ukraine unterstützt. „Wir wissen, dass es einfacher ist, die Augen zu schließen“, sagt sie. So endet ihr 1,5-stündiger Auftritt nicht nur mit „Slawa Ukraini“-Rufen (dt.: Ruhm der Ukraine), sondern auch mit Danke-Rufen – gerichtet an die Essenerinnen und Essener.