Essen. Frühere Autozubehör-Halle in Essen wird zum Dunkel-Parcours. In Themenräumen können Sehende erleben, was für Blinde und Sehbehinderte Alltag ist.

Mit seinem Essener Dunkel-Restaurant „Finster“ war Thorsten Haneke einer der Vorläufer im Land. Nun erweitert der Gastro-Unternehmer das Spektrum. Mit dem „Stockfinster“ soll an der Münchner Straße ein Ort entstehen, wo Sehende erleben können, was für Blinde und Sehbehinderte Alltag ist. Dafür hat Haneke in einer alten Autozubehörhalle mitten im Industriegebiet einen Parcours eingerichtet, wo Normalsehende Alltagssituationen im Dunkeln nachempfinden können. Vor allem auch Schulklassen will Haneke mit dem besonderen „lichtlosen“ Inklusionsangebot ansprechen. In Führungen werden sie von blinden Guides an die Hand genommen.

Einer dieser Guides ist Jan-Patrick Wilhelm. Der 28-Jährige leidet seit 15 Jahren unter nachlassender Sehkraft, mittlerweile liege sie bei nur noch zwei Prozent, so Wilhelm. Die genaue Ursache sei bis heute unbekannt, erzählt der Essener. Auch die fehlende Diagnose erschwert dem gelernten Bürokaufmann, einen passenden Arbeitsplatz zu finden. Mit Hilfe des Jobcenters ist Wilhelm nun für das „Stockfinster“ vermittelt worden, dort will er auch im Social-Media-Bereich mitarbeiten. Wilhelm freut sich über die unkomplizierte Jobeinstieg und hofft nun, auch viele junge Menschen für die Problematik von Sehbehinderten zu sensibilisieren. „Wir können hier einen Anstoß geben, aber es braucht auch eine Nachbereitung im Unterricht“, findet er.

Essener Jobcenter dreht ein Video im „Stockfinster“

Vier Festangestellte und je nach Bedarf weitere Mitarbeiter will Thorsten Haneke für den neuen Betrieb zunächst einstellen. Dabei steht der 54-Jährige in engem Austausch mit dem Essener JobCenter und profitiert so auch von den Eingliederungszuschüssen, die beim Wiedereinstieg in den Job helfen sollen. In diesen Tagen hat das JobCenter im „Stockfinster“ sogar ein Werbevideo gedreht, um mehr Arbeitgeber zu ermutigen, Menschen mit Handicap in die Arbeitswelt zu integrieren. „Es gibt unglaublich interessante Kandidaten“, sagt Pressesprecherin Heike Schupetta, die auch auf die intensive und passgenaue Betreuung durch das von Jessica Schlichte geleitete Team Rehabilitation und Schwerbehinderte im Jobcenter hinweist.

Auch Haneke gesteht, dass er am Anfang „unsicher war, wie man mit Nichtsehenden umgeht“. Im Dunkelrestaurant habe er aber „nur gute Erfahrungen gemacht“. Das Restaurant führt mittlerweile seine Frau. Nachdem sich private und berufliche Wege des Paares getrennt haben, wagt Haneke mit dem „Stockfinster“ nun einen Neuanfang. Der genaue Eröffnungstermin steht allerdings noch aus. Der Betreiber wartet noch auf die Genehmigung zur Nutzungsänderung.

Themenräume ohne Licht laden zum Sporttreiben ein

Die Vorbereitungen laufen an der Münchner Straße 65 derweil auf Hochtouren. In den einstigen Gewerberäumen für Autozubehör-Logistik hat Haneke verschiedene Themenräume eingebaut, wo vermeintlich alltägliche Situationen in vollkommener Dunkelheit zum Abenteuer werden; darunter ein Sportraum mit Airhockey und Basketball-Korb sowie ein Raum, in dem Verkehrssituationen nachempfunden werden können. Es gibt auch ein Ruhrgebiets-Zimmer, in dem die Bergbau-Vergangenheit der Region in diesem Fall sehr fühlbar wird. Am Ende jedes rund 60-minütigen Rundgangs, bei dem auch die Sehenden mit einem Langstock ausgerüstet sind, führt der Weg dann ins Dunkelcafé, wo noch Zeit für ein Gespräch mit den Guides bleibt. Jeder Besucher habe schließlich Fragen an die Führer, weiß Haneke, „wie man den Alltag bewältigt oder ob man spüren kann, wenn die Sonne aufgeht“.

Mehr Infos und Tickets

Das „Stockfinster“ liegt an der Münchener Str. 65. Geplante Öffnungszeiten: Mi. – So. 10 – 19 Uhr (letzte Führung um 18 Uhr). Der Eröffnungstermin ist noch nicht offiziell. Die Tickets sollen 16,50 und ermäßigt 11,50 Euro kosten. Infos und Reservierungen unter www.stockfinster.de

Das im „Stockfinster“ gedrehte Video des JobCenters wird beim 82. Deutschen Fürsorgetag präsentiert, der vom 10. bis 12. Mai im Congress-Centrum der Messe Essen stattfindet. Erwartet wird dort unter anderem auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus.

Als Vorbild für das Essener „Stockfinster“ nennt Haneke Entdeckungsorte wie den „Dialog im Dunkeln“. „Eine Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren“ nennen sie das Angebot in der Hamburger Speicherstadt. Haneke will diese besondere Erfahrung für Sehende und Nichtsehende nun auch im Ruhrgebiet möglich machen: „In dem Moment, wo das Licht ausgeht, kehrt die Umkehr ein.“