Essen-Stoppenberg. Acht Tote innerhalb von neun Monaten gab es 1973 an einem Essener Bahnübergang. Anwohner starteten eine bundesweit einmalige Protestaktion.

In Essen war der Stoppenberger Bahnübergang an der Rahmstraße, unweit der Josef-Hoeren-Straße einst bekannt als die „Todesschranke“. Acht Todesopfer in neun Monaten, diverse Beinahe-Unfälle und Schulbus eingeklemmt zwischen zwei geschlossenen Schranken zeugten in den 1970er-Jahren von diesem Namen. Nach einem bundesweit einzigartigen Protest wurde die Stelle für den motorisierten Verkehr gesperrt und zwei Fußgängerbrücken gebaut. Eine davon hielt rund 50 Jahre und soll jetzt ersetzt werden.

Unfall mit zwei Frauen und vier Kindern an Essener Bahnübergang

Ein Blick ins Archiv dieser Zeitung lässt die Dramatik in den Jahren 1972/1973 erkennen. Der erste Unfall ereignete sich am 19. Dezember 1972. Eine 74-jährige Frau fuhr mit ihrem Auto, in dem auch ihre 48-jährige Tochter saß, über die Schienen und wurde von einem Zug erfasst. 300 Meter weiter kam das Auto zum Stehen, beide Insassen waren tot. Die Schranken waren zum Unfallzeitpunkt nicht geschlossen.

Am 14. September 1973 waren dann zwei Frauen und vier Kinder der „Ruhrländischen Narrenzunft“ auf dem Rückweg von einem Auftritt. Der Opel Kadett, in dem sie saßen, wurde an der selben Stelle von einem Personenzug erfasst, die Insassen herausgeschleudert. Alle waren sofort tot. Die Zeitung berichtet, dass Trümmerteile und Leichen über hunderte Meter zerstreut lagen.

Bahnübergang zählte zu den gefährlichsten in Essen

Der Schrankenwärter hatte die Schranken für den vorher durchfahrenden Eilzug von Köln nach Hamm geschlossen und dann wieder geöffnet. An den Personenzug von Dortmund nach Oberhausen hatte er nicht mehr gedacht – ein schreckliches Verhängnis. Der 49-Jährige erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste auf der Intensivstation behandelt werden.

Schon damals passierten den Streckenabschnitt rund 270 Züge am Tag, anders als heute aber zusätzlich auch 460 Autos pro Stunde. Der Übergang zählte zu den gefährlichsten Bahnübergängen in Essen. Der Altenessener Bürgerausschuss hatte laut Zeitungsarchiv schon seit Jahren einen Tunnel oder eine Brücke gefordert. Jetzt wurden auch die Bürger und Bürgerinnen aktiv.

Kinder zündeten nach den Unfällen an dem Essener Bahnübergang im Jahr 1973 Kerzen an der Unglücksstelle an.
Kinder zündeten nach den Unfällen an dem Essener Bahnübergang im Jahr 1973 Kerzen an der Unglücksstelle an. © WAZ-Archiv

Zur gleichen Zeit, als die Beerdigung mit 800 Trauergästen stattfand, sammelten sich hunderte Menschen auf den Schienen an genau dieser Stelle und stoppten den Zugverkehr. Es gründete sich die Initiative „Weg mit der Todesschranke“, die eine Entschärfung des Bahnübergangs forderte. Über 30 Stunden harrten die Demonstranten auf den Schienen aus, über 200 Züge mussten umgeleitet werden. Die Menschen wurden vom angrenzenden Bäcker mit Brötchen versorgt, Anwohner brachten Tee und Frikadellen. Ein Leitungsmast und zwei Autos sorgten für die Absperrung. Es wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Auf einem der Transparente stand „Hier werden Engel gemacht“.

Schulweg führte jeden Tag über gefährlichen Bahnübergang in Essen

Die Essener brachten zu der Demonstration ihre Kinder mit, die auf den Schienen spielten und machten deutlich, dass auch die Kinder der angrenzenden Rahmschule in Gefahr seien. Ihr Schulweg führe jeden Tag über die Schienen. Ein Schulbus sei schonmal zwischen zwei geschlossenen Schranken eingesperrt gewesen, die Kinder hätten in Panik geschrien, bis der Schrankenwärter das Dilemma realisierte und die Schranken wieder öffnete – laut Anwohner einer von vielen Beinahe-Unfällen.

Die Fußgängerbrücke an der Rahmstraße in Essen-Stoppenberg.
Die Fußgängerbrücke an der Rahmstraße in Essen-Stoppenberg. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Laut Zeitungsarchiv war die Protestaktion damals „bundesweit einmalig“. Die Essener und Essenerinnen trotzten dem Regen, bauten Zelte auf und forderten, dass Oberbürgermeister Horst Katzor vorbeikommen sollte.

Als dieser das tatsächlich tat und zusicherte, dass ab sofort eine zweite Person im Schrankenwärterhäuschen im Einsatz sein soll und, dass eine Ampel für die Züge errichtet werden soll, räumten die Demonstranten den Übergang. Sie blieben aber auch in der Zeit danach aktiv, sammelten Unterschriften und veranstalteten Bürgerversammlungen.

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Einige Zeit später wurde der Bahnübergang schließlich für den motorisierten Verkehr komplett gesperrt und es wurden zwei Fußgängerbrücken über die Köln-Mindener-Eisenbahn in dem Bereich gebaut. Eine an der Rahmstraße und eine wenige hundert Meter weiter an der Josef-Hoeren-Straße. Letztere war zuletzt marode, soll jetzt einem Neubau weichen und musste 2019 abgerissen werden.