Essen-Frohnhausen. Der Bahnhof Essen-West schneidet beim aktuellen Stationstest des Verkehrsbundes Rhein-Ruhr nur mäßig ab. Warum das untertrieben ist.

Die Fassade ist mit Graffiti beschmiert, ein Fenster im Obergeschoss ist zersprungen. Keine Frage: Der Bahnhof Essen-West hat seine besten Zeiten hinter sich. Schon 1880 wurde der Bahnhof eröffnet, damals mit dem Namen „Altendorf“. Zu Fuß war es nicht mehr weit zur kruppschen Gussstahlfabrik und den Steinkohlebergwerken ganz in der Nähe.

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Heute wirkt das aktuelle Bahnhofsgebäude – errichtet wurde es 1968 – überdimensioniert. Die DHL-Packstation in der geräumigen Eingangshalle hat ihre eigene Ästhetik. Die Bahnhofsgaststätte gibt es schon lange nicht mehr und auch im „Café Cuba“ hat es sich ausgetanzt. Der „Anmach-Schuppen“ hat vor ein paar Jahren dicht gemacht. Zu dieser Zeit dürfte jemand das letzte Telefonat am Münzfernsprecher geführt haben, der – obwohl hörerlos – in der Empfangshalle hängt, warum auch immer.

Das Bahnhofsgebäude ist für heutige Zwecke überdimensioniert.
Das Bahnhofsgebäude ist für heutige Zwecke überdimensioniert. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Das Relikt aus handylosen Zeiten passt ins Bild. Der Durchgang zu den Gleisen sieht aus, als würde jemand Graffitis hinschmieren, ohne sich dabei allzu große Mühe zu geben. Am Hinterausgang klafft ein Loch in der Holzverkleidung des Vordachs, notdürftig „gestopft“ mit einem Netz. An einer Lampe fehlt die Neonröhre, am Schriftzug „S-Bahnhof Essen-West“ sind gleich die beiden letzten Buchstaben abhanden gekommen; sie wurden stattdessen lieblos mit grauer Farbe hingepinselt. Alles in allem sieht der Bahnhof Essen-West so aus, als würde die Bahn nur das Allernotwendigste tun.

Zugverbindungen und Anschlüsse: sechs Linien und zwei Straßenbahnen vor der Tür

Immerhin: Essen-West verdient die Bezeichnung Bahnhof, halten hier doch Züge mehrerer Linien. Neben den S-Bahnen der Linien S1 von Dortmund nach Solingen, S3 von Hattingen nach Oberhausen und S9 von Hagen nach Recklinghausen/Haltern am See sind dies der Emscher-Münsterland-Express RE14 von Essen-Steele nach Borken und der Regionalexpress RE49 von Wuppertal nach Wesel. Seit 2020 stoppt auch die Rhein-Niers-Bahn RB33 von Essen nach Aachen in Essen-West. Wer ins Rheinland will oder an den Niederrhein, wird also gut bedient.

Am Bahnhof Essen-West halten neben drei S-Bahnlinien, zwei Regionalexpress-Linien und eine Regionalbahn.
Am Bahnhof Essen-West halten neben drei S-Bahnlinien, zwei Regionalexpress-Linien und eine Regionalbahn. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Umsteigen können Fahrgäste zudem in die Straßenbahnlinien 101 und 106 der Ruhrbahn. Vor dem Bahnhof gibt es zudem einen Taxistand. Am Mittwochvormittag (27.4.), unserem Ortsbesuch, wartete dort allerdings kein Wagen. Dafür stehen ein paar Schritte entfernt gleich ein Duzend Elektro-Leihroller auf dem Bürgersteig, auch das Fahrrad-Leihsystem Metropolrad Ruhr unterhält am Bahnhof Essen-West eine Station.

Sauberkeit und Komfort: Auf den Bahnsteigen sieht es aufgeräumt aus

„Immerhin sieht es sauber aus“, sagt eine ältere Dame, die auf die S-Bahn in Richtung Essen-Hauptbahnhof wartet. Stimmt. Abgesehen von ein paar Zigarettenkippen liegt an diesem Mittwoch kein Abfall herum. Die Mülleimer sind geleert. Nach Angaben der Deutschen Bahn sind Mitarbeiter vier Mal pro Woche vor Ort, um den Bahnhof zu reinigen.

Die beiden Bahnsteige bieten Reisenden funktionalen Bahn-Standard.
Die beiden Bahnsteige bieten Reisenden funktionalen Bahn-Standard. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Abfallbehälter, Sitzgelegenheiten, Fahrpläne: Das Mobiliar ist Bahn-Standard. An einer der Sitzbänke fehlt allerdings ein gläserner Windfang. War es Vandalismus? Insgesamt wirkt das Erscheinungsbild auf den Bahnsteigen aber funktional und besser in Schuss als der übrige Bahnhof.

Mangelnde Barrierefreiheit: keine Aufzüge und eine Rolltreppe, die steht

In puncto Barrierefreiheit attestiert der VRR dem Bahnhof Essen-West „sehr hohen Handlungsbedarf“. Wir können das nur unterstreichen. Zu den beiden Bahnsteigen führen keine Aufzüge, sondern Treppen und jeweils eine Rolltreppe. Bei unserem Besuch funktionierte die Rolltreppe zu den Gleisen 3 und 4 nicht. Ein älterer Herr, der sein E-Bike auf der funktionierenden Rolltreppe hinauf zu den Gleisen 1 und 2 wuchtet, nimmt’s gelassen: „Es gibt Bahnhöfe, die sind in einem viel schlechteren Zustand.“ Nun denn.

Aufzüge zu den Bahnsteigen gibt es nicht. Bei unserem Besuch funktionierte nur eine von zwei vorhandenen Rolltreppen.
Aufzüge zu den Bahnsteigen gibt es nicht. Bei unserem Besuch funktionierte nur eine von zwei vorhandenen Rolltreppen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Auch beim Einstieg in die Züge lauern Hürden. Die Bahnsteige sind noch 96 Zentimeter hoch, dadurch ist nur der Ein- und Ausstieg in die älteren S-Bahnen der Linie S1 stufenlos. Für die moderneren Züge der anderen Linien, die ebenfalls in Essen-West halten, gilt dies nicht. Erforderlich wäre eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern. Nicht nur in Essen-West ist das ein Problem.

Das subjektive Sicherheitsgefühl sagt: Es ist kein Wohlfühlbahnhof

„Essen-West ist kein Wohlfühlbahnhof“, sagt Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn. In unseren Ohren klingt das maßlos untertrieben. Graffitis und das vernachlässigte Erscheinungsbild stärken das subjektive Sicherheitsgefühl sicher nicht.

Der Durchgang zu den Bahnsteigen ist hell gestrichen, wirkt aber nicht wirklich einladend.
Der Durchgang zu den Bahnsteigen ist hell gestrichen, wirkt aber nicht wirklich einladend. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Auch der hell gestrichene, aber niedrige Durchgang von der Bahnhofsvorhalle zum Hinterausgang wirkt alles andere als einladend. Vor dem Eingang steht der Rasen kniehoch, das Gebüsch ist dicht, das nächste Haus ca. 100 Meter entfernt.

Ein Kiosk, soziale Kontrolle und Überwachungskameras

Für ein wenig soziale Kontrolle sorgt ein Kiosk am Haupteingang. Ab 4.30 Uhr gibt’s unter der Woche Kaffee, belegte Brötchen und alles andere für den kleinen Hunger zwischendurch. Fahrgäste fragen häufig auch nach einer öffentlichen Toilette, berichtet Verkäuferin Khalidia Baluch. Doch damit dienen kann Essen-West nicht.

In der Eingangshalle bietet ein Kiosk Kaffee und belegte Brötchen – und sorgt nebenbei für soziale Kontrolle.
In der Eingangshalle bietet ein Kiosk Kaffee und belegte Brötchen – und sorgt nebenbei für soziale Kontrolle. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Massive Gitter schützen Eingangstür und Fenster des Büdchens. Die habe der Besitzer anbringen lassen, nachdem mehrmals eingebrochen worden sei. Im Bahnhof gehe es aber ruhig zu. Neulich hätten sich allerdings ein paar Schüler in der Bahnhofshalle geschlagen, erzählt Khalidia Baluch. Da sei ihr doch mulmig geworden.

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Immerhin sind die Bahnhofshalle und der Durchgang zu den Gleisen von Kameras überwacht. Gleiches gilt für die beiden Bahnsteige. Wer Übles im Sinn hat, lässt sich davon hoffentlich abschrecken. Hilfe lässt sich sonst per Knopfdruck an eine Notrufsäule in der Bahnhofsunterführung herbeirufen.

Parken: viele Parkplätze, aber nur wenige Fahrradboxen

Parkplätze gibt es reichlich am Bahnhof Essen-West. Schließlich liegt die Eissporthalle nur einen Steinwurf weit entfernt. Da viele Schüler des nahe gelegenen Berufskollegs aber offensichtlich mit dem eigenen Auto zur Schule fahren, sind freie Stellplätze zumindest bis mittags knapp. Danach leeren sich die Reihen.

An den Fahrradständern vor dem Bahnhof Essen-West stehen angekettete Fahrräder – oder was davon übrig blieb.
An den Fahrradständern vor dem Bahnhof Essen-West stehen angekettete Fahrräder – oder was davon übrig blieb. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Wer sein Fahrrad am Bahnhof sicher abstellen möchte, findet dort sechs abschließbare Fahrradboxen der Ruhrbahn vor und muss, sofern vergeben, sonst mit den Fahrradständern vor dem Bahnhofsgebäude vorlieb nehmen. Was Fahrraddiebe von dort angeketteten Drahteseln übrig gelassen haben, wirkt jedoch alles andere als vertrauenserweckend. Wem sein Rad lieb und teuer ist, der lässt es dort lieber nicht stehen.

Das sagt die Deutsche Bahn

Nach Angaben eines Sprechers laufen derzeit Planungen, den Bahnhof Essen West im Rahmen der sogenannten „Modernisierungsoffensive 3“ barrierefrei umzubauen. Landesweit gilt dies laut DB für mehr als 50 kleinere Bahnhöfe, sie sollen bis etwa 2023 modernisiert werden. Aktuell befänden sich die Planungen jedoch noch in einem frühen Stadium, so dass die Deutsche Bahn noch keine Zeiträume oder Investitionssummen nennt.

So bewertet der VRR den Bahnhof Essen-West

Im aktuellen Stationstest des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) schneidet der Bahnhof Essen-West bescheiden ab. Der VRR stuft ihn als „entwicklungsbedürftig“ ein. Das ist die vorletzte von insgesamt vier Kategorien. Das Informationsangebot für Fahrgäste bewerteten die Tester als „zufriedenstellen“, die Aufenthaltsqualität als „verbesserungswürdig“. Hinsichtlich der Barrierefreiheit attestiert der VRR dem Bahnhof Essen-West „sehr hohen Handlungsbedarf“, was die schlechteste von vier Kategorien darstellt. Insgesamt erkannten die Tester im Auftrag des Verkehrsverbundes an 19 der 26 Essener Bahnhöfe Handlungsbedarf.

Nur soviel: Geplant sei, die Bahnsteige auf 220 Meter zu verlängern und auf eine Höhe von 76 Zentimeter abzusenken, um einen stufenfreien Zugang in die Züge zu ermöglichen. Die Rolltreppen sollen zurückgebaut, Aufzüge eingebaut werden. Die Beleuchtung und die Ausstattung der Bahnsteige sollen ebenso erneuert werden wie das Blindenleitsystem.

Unser Fazit

Die von der Deutschen Bahn angekündigte Modernisierung ist überfällig, denn die mangelnde Barrierefreiheit ist für Fahrgäste eine Zumutung. Rollstuhlfahrer können den Bahnhof de facto gar nicht nutzen. Sonst erfüllt der Bahnhof seinen Zweck, die Ausstattung ist funktional und war bei unserem Besuch mit Ausnahme einer Rolltreppe in Takt. Aus dem Bahnhofsgebäude ließe sich mit gutem Willen und genügend Geld viel mehr machen. So teilt Essen-West das Schicksal anderer kleinerer Bahnhöfe mit eigenem Bahnhofsgebäude, das für den Bahntrieb nicht mehr benötigt wird. Das Gebäude wirkt vernachlässigt und stellenweise unansehnlich. Schade. Essen-West hätte einen besseren Bahnhof verdient als diesen. Beim Hinausgehen fällt der Blick auf ein Wahlplakat einer selbst ernannten Satirepartei: „Immerhin schönes Wetter.“