Essen. Bei der Theater und Philharmonie Essen stauen sich die Sanierungsvorhaben. Es fehlt nicht nur Probenraum. Bald fällt auch noch eine Bühne weg.

„Raum ist in der kleinsten Hütte“, heißt es gerne verkürzt zitiert bei Friedrich Schiller. Der Nachsatz nämlich lautet: „Für ein glücklich liebend Paar.“ Zu zweit sind sie aber eben nur selten, wenn die Kollektive der Essener Theater und Philharmonie bei der Arbeit zusammenkommen. Aalto-Ballett, Opernchor und die Essener Philharmoniker müssen sich deshalb seit Jahren mit zu kleinen Proberäumen arrangieren und sich den knapp bemessenen Übungsraum nicht selten gegenseitig streitig machen.

Doch nicht nur im Tanz- und Musikbereich gibt es dringenden Handlungsbedarf. Auch das Schauspiel Essen steht vor einem folgenreichen Einschnitt. Durch den geplanten Verkauf der Theaterpassage fehlt mit der Casa ab Ende 2023 eine wichtige zweite Spielstätte. Sollte die Politik nicht bald Ersatz-Lösungen finden, ist ein zwangsläufiges Zurückfahren des kulturellen Angebots zu befürchten. Denn ein von CDU und Grünen im vergangenen Mai gefordertes tragfähigen Konzept für die Zukunft der Theater und Philharmonie ist noch nicht in Sicht. Im Kulturausschuss werden die Ergebnisse einer ersten Bestandsaufnahme am kommenden Mittwoch zunächst als Zwischenbericht vorgestellt.

Die Situation bei den Probenräumen und Werkstätten gilt teilweise als prekär

Das Papier listet dabei eine To-do-Liste auf, die nicht nur die städtische Immobilienwirtschaft für eine Weile in Atem halten dürfte. Dringenden Sanierungsbedarf attestiert das Papier nämlich nicht nur dem maroden Kulissenhaus vis-à-vis des Grillo-Theaters. Während die Bühnen und Zuschauerflächen in Aalto, Grillo und Philharmonie laut Vorlage glücklicherweise „in gutem bzw. sehr gutem Zustand“ sind, stelle sich die Situation vor allem bei den Probenräumen und den Werkstätten „als ungenügend und teilweise als prekär dar“, heißt es in dem Verwaltungspapier.

Ziemlich eng kann es im Ballett-Probesaal werden. Um die Arbeit auch in Zeiten der Pandemie mit Abstand absolvieren zu können, wurden Proben unter anderem in den RWE-Pavillon der Philharmonie verlegt.
Ziemlich eng kann es im Ballett-Probesaal werden. Um die Arbeit auch in Zeiten der Pandemie mit Abstand absolvieren zu können, wurden Proben unter anderem in den RWE-Pavillon der Philharmonie verlegt. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Während der Pandemie wurde das Problem dringlicher denn je, weil beispielsweise Abstandhalten für die Tänzer in dem schlauchartigen, fensterlosen Proberaum unmöglich wurde. Alternativen konnten bislang in der Philharmonie gefunden werden, ab Herbst könnten die Tänzer dann vor Neuproduktionen die hauseigene große Probebühne des Musiktheaters besiedeln, Opernproben wiederum müssten ausgelagert werden. Nicht nur aus künstlerischer Sicht ein wenig glücklicher Zustand. „Unzureichende Probenräume“, so heißt es in der Ausschuss-Vorlage, „bedeuten eine Beeinträchtigung der Wirtschaftlichkeit des Theaterbetriebes insgesamt“.

Auch der „kulturpolitische Auftrag an die TuP“ soll aktualisiert werden

Das Verschiebeprinzip könnte weitergehen. Indem man beispielsweise einzelne Werkstätten wie die Schreinerei im Aalto ausgliedern würde, um sie zu einem Probesaal umzufunktionieren. Doch wohin mit den notwendigen Theater-Gewerken? Passende Lager- und Werkstattflächen seien in Innenstädten nun mal schwer zu finden oder zu teuer, heißt es in dem Papier. Gleichzeitig gelten die Werkstätten der TuP an der Hafenstraße in Vogelheim wegen der langen Anfahrtszeiten und dem ebenfalls schlechten baulichen Zustand als kostspieliges Auslaufmodell. Gilt es schließlich nicht nur die Kosten, sondern auch die Klimabilanz im Auge zu behalten.

Doch nicht nur aus baulicher Sicht gibt es viel zu tun, auch der „kulturpolitische Auftrag an die TUP“ müsse aktualisiert werden, heißt es in der Vorlage: Will heißen: Das Fünf-Sparten-Haus mit seinen sechs Bühnen und rund 720 Mitarbeitern soll noch stärker in die Stadt hineinwirken und am besten auch tagsüber Bildungs-und Begegnungsangebote machen, um so weitere „Teile der Gesellschaft zu erreichen, die nicht bereits traditionell zum Kulturpublikum zählen“.

Düsseldorf plant unter dieser Vorgabe gerade ein 750-Millionen-Euro teures, multifunktionales „Opernhaus der Zukunft“. In einem Gebäude wie der Aalto-Oper, die bereits mit der Fertigstellung 1988 für alle erkennbar zu klein geplant war, dürfte dies allerdings schwierig werden. Aus finanziellen Gründen hat man sich damals für eine kleinere Lösung entschieden. Eine Entscheidung, für die man nun in vielerlei Hinsicht teuer büßt. Denn solange der Alfried-Krupp-Saal in der benachbarten Philharmonie an 95 Tagen im Jahr als Probenraum von den Philharmonikern genutzt wird, kann er auch nicht extern für Kongresse oder andere Veranstaltungen vermarktet werden.

Eine Verlagerung in die Stadtteile könnte neue Zielgruppen erreichen

Doch wie lässt sich Ausgleich schaffen? Ist ein „großer Wurf“ in Form eines multifunktionalen Gebäudes für Proben sowie Bildungs- und Begegnungsangebote in der aktuellen Situation überhaupt realistisch oder läuft es auf kleine Lösungen hinaus? Baut man weiter auf die innerstädtische Nähe der Kulturorte oder will man in die Stadtteile gehen? „Je nach Ausrichtung kann etwa die Neusortierung des Probenbetriebs Impulse für die Belebung der Essener Innenstadt, die Stärkung der nördlichen Stadtteile oder die Entwicklung neuer Quartiere setzen“, heißt es in der Vorlage vage. Zuletzt hatte eine Initiative der Essener Philharmoniker für ein „Klanghaus“ auf der Zeche Zollverein geworben, mit Platz für Proben, aber auch für Bildungsangebote und Projekte Dritter.

Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain wirbt generell für eine „größere Flexibilität in der Ausnutzung von Raummöglichkeiten“. So habe es Operninszenierungen früher auch im Grillo-Theater gegeben, erinnert der Dezernent, daran könne man wieder anknüpfen und beispielsweise Musikprogramme für ein Sparten-Publikum ins Schauspiel verlegen. Generell hält er eine weitere kleinere Spielstätte wie die Casa für unabdingbar, um ein breiteres künstlerisches Angebot und einen stärkeren Austausch zwischen den Sparten zu ermöglichen Dabei müssten allerdings auch das Personal, nicht zuletzt die Intendantinnen und Intendanten der verschiedenen Sparten mitspielen. Doch auch in diesem Bereich stehen noch wichtige Entscheidungen aus.