Essen/Duisburg/Düsseldorf. Wegen eines Strafbefehls für Kinderpornos hat das Bistum Essen einem Lehrer gekündigt. Vor dem Landesarbeitsgericht kam es jetzt zum Vergleich.
Im Verfahren um einen vom Bistum Essen gekündigten Gymnasiallehrer wegen Kinderpornografie hat es am Freitag vor dem Landesarbeitsgericht NRW in Düsseldorf eine Einigung gegeben: Es kam zu einem Vergleich zwischen Lehrer und Bistum. Demnach bleibe es bei der vom Bistum ausgesprochenen Kündigung, jedoch werde das Kündigungsdatum um drei Monate verschoben.
Damit erhalte der gekündigte Gymnasiallehrer drei weitere Monatsgehälter, also insgesamt etwa 15.000 Euro vom Bistum. Das Bistum hatte dem Lehrer zum 27. Januar 2021 die fristlose Kündigung ausgesprochen. Vor Gericht einigte man sich nun auf dem 30. April 2021.
Es ging um einen skandalträchtigen Fall. Weil das Medieninteresse enorm war, fand die Verhandlung im größten Saal des Gerichts statt. Jahrelang hatte der Lehrer in Diensten des Bistums Essen gestanden und Unterricht an einer bischöflichen Schule in Duisburg erteilt. Dann aber wurde bei ihm kinderpornographisches Material entdeckt, zudem sei er offenbar von der gefährlichen Droge Crystal Meth abhängig gewesen. Dennoch habe er Kinder noch mehrere Jahre nachdem er schon wegen Kinderpornografie-Besitzes verurteilt gewesen war, unterrichten dürfen.
Crystal Meth: Es geht nicht nur um Kinderpornographie, sondern auch um Drogensucht
In punkto Kinderpornographie, so viel steht fest, lag ein schweres Versäumnis der Staatsanwaltschaft Bochum vor. Sie hätte bereits unmittelbar nach der Verurteilung im Jahr 2016 Mitteilung an die Schulaufsicht machen müssen, tat es aber erst mit großer Verspätung: nämlich Ende 2020. Wegen der schweren Rauschgiftabhängigkeit hätte das Generalvikariat in Essen nach Informationen dieser Zeitung schon wohl ein Jahr früher die Reißleine ziehen und fristlos kündigen können. Doch die Schuldezernentin des Bistums Essen soll die von der Leitung der Schulverwaltung beabsichtigte Kündigung persönlich verhindert haben. Das Bistum streitet dies ab.
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Der verstörende Fall des mutmaßlichen „Junkie-Lehrers“ mit krimineller Vergangenheit rückt nicht nur die Justiz in ein schlechtes Licht, sondern auch die Leitung des Schuldezernats: eines Schlüsselressorts des Generalvikariats, das an sieben Schulen in Essen, Gladbeck und Duisburg (siehe Infobox ganz unten) verantwortlich ist für mehrere Hundert Lehrerinnen und Lehrer sowie Tausende Schülerinnen und Schüler. Für ein katholisches Schulsystem, dem ein exzellenter Ruf vorauseilt.
Ob die erst vor gut einem Jahr erfolgte fristlose Kündigung des Lehrers wegen Kinderpornografie rechtmäßig war, ist juristisch weiterhin nicht entschieden. Denn der Rauswurf beschäftigt noch immer die Arbeitsgerichtsbarkeit. Zwar hat das Arbeitsgericht Essen die Kündigung für rechtens erklärt, doch der Lehrer ist in Berufung gegangen, klagt auf Rücknahme der Kündigung.
Schon 2016 erfolgt der Strafbefehl, aber das Generalvikariat erfährt davon nichts
Es ist ein Fall, der ins Jahr 2013 zurückreicht. In jenem Jahr erwirbt der Lehrer kinder- und jugendpornografische Dateien, die in kriminellen Netzwerken verkauft werden. Der Lieferant fliegt am 17. September 2015 auf und somit auch der Adressat aus dem Ruhrgebiet. Anhand des Chatverlaufs vom 12. bis 18. Juni 2013 zwischen Lieferant und Empfänger kommen die Ermittler dem Lehrer auf die Spur. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bochum zeigt das auf seinem Rechner sichergestellte Material Sexualakte zwischen gleichaltrigen männlichen Jugendlichen sowie einen Sexualakt mit einem Kind unter 14 Jahren. Kurzum: der Lehrer hatte offenbar eine Vorliebe für Knaben.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird der Lehrer zu einem Strafbefehl von 60 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt, das Urteil vom 30. Juli 2016 ist rechtskräftig. Er ist vorbestraft und seine Straftat wird dem Bundeszentralregister mitgeteilt.
Als das bischöfliche Generalvikariat Essen den Gymnasiallehrer im Jahr 2014 einstellt, hat er noch eine weiße Weste. Die Einstellung geht problemlos über die Bühne. Auch weil das „Erweiterte Führungszeugnis“, das er vorlegen muss, zu diesem Zeitpunkt keinerlei Hinweise auf den kriminellen Besitz kinderpornografischer Dateien enthält.
Staatsanwaltschaft meldet Schulaufsicht erst Ende 2020 die Verurteilung des Lehrers
Beschäftigt ist der Lehrer, der beamtenrechtlich den gleichen Status hat wie der Lehrer einer staatlichen Schule, beim Generalvikariat. Die obere Schulaufsichtsbehörde ist die Bezirksregierung in Düsseldorf. Genau diese hätte schon im Sommer 2016 über den Strafbefehl informiert werden müssen. Dass die Staatsanwaltschaft Bochum die Akte des Lehrers liegen lässt, bezeichnet der Behördensprecher Oberstaatsanwalt Paul Jansen als „Versäumnis“. Erst am 17. Dezember 2020, also viereinhalb Jahre nach dem Strafbefehl, teilen die Bochumer der Bezirksregierung mit: „Der oben Genannte wurde zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen wegen des Besitzes von kinderpornografischen Schriften verurteilt.“ Düsseldorf informiert daraufhin den Schulträger, das Bistum Essen, das Anfang 2021 die fristlose Kündigung ausspricht.
Dass der Lehrer beim Schulträger trotz der Justizpanne mit dem nicht gemeldeten Kinderporno-Strafbefehl unangenehm auffällt, hat einen anderen, ebenfalls schwerwiegenden Grund: seine offenbar schwere Rauschgiftsucht. Nach Informationen dieser Zeitung kommt es immer häufiger zu Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit. Die bischöfliche Schulverwaltung in Essen legt ihm deshalb im Frühjahr 2019 auf, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen. Schon die ersten Befunde lassen die Alarmglocken schrillen, denn man entdeckt Spuren von Amphetaminen im Blut.
Drogensucht: Hat die Schuldezernentin persönlich die fristlose Kündigung verhindert?
Weitere Tests bestätigen den schlimmen Verdacht: der Lehrer ist schwer drogenabhängig, ganz offenbar auch von der synthetischen Droge Crystal Meth, die zu den gefährlichsten überhaupt gehört. Das Kristall führt zu starken Rauscherlebnissen, macht aber auch stark abhängig. Wer einmal mit Crystal Meth anfängt, so Suchtexperten, schaffe nur selten den Ausstieg.
Darf man den Lehrer angesichts dieses schlimmen Drogenproblems noch vor eine Klasse stellen? Die Leitung der bischöflichen Schulverwaltung will ihm Anfang 2020 sofort fristlos kündigen, scheitert dem Vernehmen nach jedoch an der Vorgesetzten, der Schuldezernentin. Sie persönlich soll die Kündigung mit dem Hinweis verhindert haben, es bestehe auch eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Lehrer. Das Bistum widerspricht dieser Darstellung. „Der Vorwurf, eine Mitarbeiterin hätte die vorzeitige Kündigung verhindert, entspricht nicht den Tatsachen“, erklärt ein Bistumssprecher. Zu weiteren Fragen dieser Zeitung im Zusammenhang mit dem gekündigten Lehrer erwidert das Bistum: „Zu laufenden Gerichtsverfahren äußern wir uns grundsätzlich nicht.“
Der Problem-Lehrer, das bischöfliche Schuldezernat und seine Leiterin – wer hinter die Kulissen dieser Abteilung schaut, dem drängt sich der Eindruck auf, dass der Haussegen schief hängt unterm Dach der Bischofsverwaltung. Ist das Schuldezernat eine Baustelle? Eine, die nur nicht so sehr auffällt, weil die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals etwa um pädokriminelle Geistliche alles andere in den Schatten stellt?
Generalvikar spricht in Rundmail von Verletzungen, Konflikten und Unsicherheiten
Nach Informationen dieser Zeitung sollen in der Ära der Dezernentin (seit 1. Juli 2018) 13 Mitarbeiter des Dezernats von sich aus gegangen oder gegangen worden sein. Gekündigt wurden der Leiter der Schulverwaltung und auch sein Stellvertreter. Mit dem Leiter liegt das Bistum aktuell juristisch im Clinch, das Verfahren ist anhängig beim Arbeitsgericht Essen. De facto ist die Verwaltung der bischöflichen Schulen im Bistum Essen somit aktuell führungslos.
Schon im September 2019 soll es auf einer Versammlung des Schuldezernats im Beisein des Generalvikars Klaus Pfeffer und des Hauptabteilungsleiters Markus Potthoff hoch hergegangen sein. Beschäftigte hätten massive Kritik an der Arbeit der Schuldezernentin geäußert, auch der Vorwurf der Inkompetenz sei gefallen, heißt es.
Einen tiefen Einblick in das Dezernat gewährt eine E-Mail („Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Schuldezernat“) des Generalvikars vom Februar 2020, die dieser Zeitung vorliegt. Anlass war ein anonymes Schreiben, in dem die Dezernentin und drei weitere Mitarbeiterinnen vulgär beleidigt worden sein sollen. Der Generalvikar spricht von „anonymem Gift“ und warnt eindringlich davor, sich zu „gegenseitigem Misstrauen“ verleiten zu lassen. Gleichzeitig räumt der Verwaltungschef des Bistums ein: „Die Situation in Ihrem Dezernat ist derzeit nicht einfach.“ Und er fügt an, „dass es uns bislang nicht gelungen ist, bestehende Konflikte, Verletzungen und Unsicherheiten hinreichend zu klären“.
Bischöfliche Pressestelle räumt ein: „Es gab und gibt Konflikte im Schuldezernat“
Auf Anfrage hat sich das Bistum jüngst zur Situation im Schuldezernat geäußert. In der Stellungnahme heißt es: „Wir können bestätigen, dass es innerhalb des Schuldezernates Konflikte gab und gibt, die auch mit Hilfe externer BeraterInnen bearbeitet werden.“ Ferner treffe zu, dass es in dem angefragten Zeitraum, also seit 2018, Personalwechsel gegeben habe. Die Gründe dafür seien aber sehr unterschiedlich: interne Stellenwechsel, Vertragsbeendigungen und Eintritt in den Ruhestand.
Zurück zum Fall des Lehrers: Kinderpornos und Drogen – mit diesem Hintergrund dürfte er nicht die geringste Chance haben, jemals wieder minderjährige Schülerinnen und Schüler unterrichten zu können. Sein Anwalt, der Essener Strafverteidiger und Arbeitsrechtler Andreas Wieser, war vor dem Prozess dennoch zuversichtlich, die Rücknahme der fristlosen Kündigung vor dem Landesarbeitsgericht erreichen zu können. „Mein Mandant hat sich über einen langen Zeitraum bewährt, er war als Lehrer beliebt und hat keine weiteren Straftaten begangen, erst recht keine einschlägigen.“
Nach Auskunft von Wieser am Freitag, habe sein Mandant das Vergleichsangebot des Bistums "mit Bauchschmerzen" angenommen. Er wolle sich nach eigenen Angaben nun eine neue berufliche Existenz aufbauen, außerhalb des schulischen Bereichs.
Essen und Duisburg geben Bistumsschulen Millionen
Das Schuldezernat des Bistums Essen ist zuständig für sieben bischöfliche Schulen in Essen, Duisburg und Gladbeck.
Hier die Schulen im Überblick: Mariengymnasium Werden, Bischöfliches Gymnasium am Stoppenberg, Sekundarschule am Stoppenberg und Nikolaus-Groß-Abendgymnasium (alle Essen), Abteigymnasium und St.-Hildegardis-Gymnasium (beide Duisburg) sowie die Jordan-Mai-Schule in Gladbeck. Das Don-Bosco-Gymnasium und das B.M.V.-Gymnasium in Essen befinden sich anderweitig in katholischer Trägerschaft, werden aber vom Schuldezernat des Generalvikariats mitverwaltet.
Das Bistum Essen und die Stadt Essen haben im September 2021 eine engere Partnerschaft vereinbart. Ab 2022 will die Stadt den Betrieb der weiterführenden katholischen Schulen in Essen mit jährlich 2,45 Millionen Euro unterstützten. Diese Finanzspritze ist zunächst auf fünf Jahre befristet.
Wie die Stadt Essen mitteilte, verpflichtet sich das Bistum im Gegenzug, Marien-, Don-Bosco- und das Gymnasium am Stoppenberg mindestens dreizügig und die Sekundarschule am Stoppenberg sowie das B.M.V.-Gymnasium mindestens fünfzügig weiterzuführen.
„Wir sind der Stadt ausgesprochen dankbar für die großzügige Unterstützung der wichtigen Arbeit an unseren Schulen“, sagte Bischof Franz-Josef Overbeck. Er sehe die Partnerschaft als Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung von Stadt und Bistum für die Kinder und Jugendlichen in Essen.
Auch die beiden Bischöflichen Gymnasien in Duisburg werden mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Anfang 2019 teilte die bischöfliche Pressestelle mit: „Dank der Unterstützung der Stadt Duisburg kann das Ruhrbistum in den kommenden zwei Jahren zusätzlich rund 1,4 Millionen Euro . . . in seine beiden Duisburger Gymnasien investieren.“