Gelsenkirchen/München. Als Münchner Erzbischof soll Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts unternommen haben. Es geht auch um den Gelsenkirchener Wilfried Fesselmann.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist in einem neuen Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising schwer belastet worden. Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen, teilten die Gutachter am Donnerstag in München mit.
In einer Stellungnahme bestritt Benedikt demnach seine Verantwortung „strikt“, die Gutachter halten dies aber nicht für glaubwürdig, wie Rechtsanwalt Martin Pusch mitteilte.
Ein Interesse an den Missbrauchsopfern bei Ratzinger „nicht erkennbar“ gewesen
In zwei der Fälle, bei denen die Gutachter ein Fehlverhalten des damaligen Münchner Erzbischofs sehen, sei es um Kleriker gegangen, denen mehrere begangene und auch von Gerichten attestierte Missbrauchstaten vorzuwerfen seien.
Beide Priester seien in der Seelsorge tätig geblieben, kirchenrechtlich sei nichts unternommen worden. Ein Interesse an den Missbrauchsopfern sei bei Ratzinger „nicht erkennbar“ gewesen.
Die Gutachter sind mittlerweile auch überzeugt, dass Ratzinger Kenntnis von der Vorgeschichte des Gelsenkirchener Priesters Peter H. hatte, der 1980 aus dem Bistum Essen nach München kam. Peter H. war als Pädophiler verurteilt und beging später im Erzbistum München weitere Missbrauchstaten.
Rechtsanwalt Martin Pusch sagte, Ratzinger habe bei der Erstellung des Gutachtens zunächst eine „anfängliche Abwehrhaltung“ gezeigt. Diese habe er aber später aufgegeben und ausführlich schriftlich Stellung genommen.
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat konkrete Konsequenzen aus dem Münchner Gutachten zum Missbrauch in der katholischen Kirche gefordert. „Wir sehen heute deutlich, dass Verantwortung übernommen werden muss – und Verantwortung ist immer personal“, sagte er am Donnerstagabend im ZDF. Dazu gehöre, „dass sich auch der Vatikan, dass sich auch Papst Benedikt dazu verhält“.
Missbrauchsopfer aus Gelsenkirchen empfindet große Genugtuung
Eines der Missbrauchsopfer ist der Gelsenkirchener Wilfried Fesselmann. Als Elfjähriger wurde er in Essen vom jungen Kaplan Peter H. zu sexuellen Handlungen gezwungen. „Möglich war das nur, weil das Bistum ihn von Bottrop nach Rüttenscheid versetzt hatte, obwohl er als Kinderschänder aufgefallen war. Mit Hilfe von Versetzungen innerhalb der katholischen Kirche wurde dieser Kriminelle lange Zeit gedeckt, unter anderem auch von Joseph Ratzinger“, klagt Fesselmann schon seit vielen Jahren an.
Jetzt empfinde er eine große Genugtuung, sagt Fesselmann im Gespräch mit der WAZ angesichts des Münchener Gutachtens. „Ich bin euphorisch, endlich erfahren wir Opfer Gerechtigkeit, endlich wird sich auch Kardinal Marx seinen Vergehen stellen müssen und nicht wieder einfach so weitermachen können, als sei nie etwas geschehen“, sagt Fesselmann. Schmerz und Freude liegen beim 53-Jährigen an diesem Tag sehr nah beieinander.
Das Gutachten wirft dem amtierenden Erzbischof Reinhard Marx Untätigkeit vor. Marx habe sich auf eine „moralische Verantwortung“ zurückgezogen und die direkte Verantwortung im Generalvikariat gesehen. Erst ab dem Jahr 2018 habe es bei Marx eine geänderte Haltung gegeben.
Gelsenkirchener Missbrauchsopfer: „Endlich haben wir Opfer gesiegt“
Vielen Erzählungen aus der Bibel kann und will Fesselmann nicht mehr glauben, dessen Glaube als kleiner Junge an jenem Tag zerstört wurde, als Kaplan Peter H. die Ehrfurcht und den Respekt des Jungen ausnutzte und ihn zum Oralsex zwang. Doch während an diesem Donnerstag in München – 43 Jahre nachdem Fesselmanns Seele unheilbar verletzt und sein Leben für immer verändert wurde – das Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising vorgestellt wird, fühlt sich der Gelsenkirchener an die Geschichte von David gegen Goliath erinnert.
„Endlich“, sagt der 53-Jährige. „Endlich haben wir Opfer gesiegt!“ (