Essen. Essen – die Einkaufsstadt: So steht’s seit 70 Jahren auf dem Dach des Handelshofs. Der Blick in die Geschichte zeigt: der Slogan ist viel älter.
Über die leuchtenden Großbuchstaben auf dem Dach des Essener Handelshofes wird lebhaft debattiert. Die vertraute Leucht-Installation „Essen – die Einkaufsstadt“ scheint zum Stadtbild zu gehören wie die Skyline und die Gruga. Aber ist sie überhaupt noch zeitgemäß? Wer eintaucht in die Entstehungsgeschichte des Slogans und der Leuchtreklame, fördert Bemerkenswertes zu Tage: Zum Beispiel dass sich das Selbstverständnis der Stadt ständig gewandelt hat. Vor allem zeigt sich, wie der Stadthistoriker und Architekturexperte Robert Welzel betont, dass Werbung unterschiedlichster Art am Handelshof in einer langen Tradition steht, zum Teil auch in einer unguten.
Allein schon das Datum, an dem die Großbuchstaben hoch oben auf dem Hoteldach zum ersten Mal in den Essener Stadtfarben Gelb und Blau erstrahlen, sagt viel aus über die damit verbundene Botschaft: Es passiert am 3. Dezember 1950: also fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur und mit Beginn des Wirtschaftswunders. Essen versteht sich jetzt nicht mehr als monströse „Waffenschmiede des Reiches“, sondern als hell leuchtende, beschwingte und einladende Shopping-Stadt.
28 Meter lange Leuchtschrift ist ein Geschenk der Werbegemeinschaft
28 Meter lang ist die Leuchtschrift, die Oberbürgermeister Hans Toussaint an jenem Dezembersonntag um 17.15 Uhr in Gegenwart einer großen Menschenmenge und mit einem lauten Eisenbahnabfahrtssignal zum ersten Mal aufleuchten lässt. Die Leuchtreklame ist ein Geschenk der Werbegemeinschaft an die Stadt. Es ist die größte in Deutschland, notiert die WAZ. Innerhalb kürzester Zeit und „in Tag- und Nachtarbeit“ habe die AEG sie auf dem Handelshof installiert, ist dem Bericht der NRZ zu entnehmen.
Der OB will die Installation nicht als „großsprecherische Reklame anderen Städten gegenüber“ verstanden wissen, sondern als Zeichen für Essens „Willen zum Aufbau einer neuen gesunden Wirtschaft“. Essens Anspruch bringt Toussaint auf den Punkt: Man wolle die „günstigste, billigste und beste Einkaufsstadt des Ruhrgebiets“ sein (und bleiben). Was die meisten nicht wissen: Der Slogan „Essen – die Einkaufsstadt“ ist nach Robert Welzels Darstellung weitaus älteren Datums. Schon 1927, im Jahr als die Limbecker erste autofreie Einkaufsstraße der Republik wird, schreibt die Essener Volkszeitung von der Einkaufsstadt.
Zwei Jahre später ist ebenfalls von der Einkaufsstadt Essen die Rede. In der Blütezeit der Weimarer Republik hat sich der Essener Einzelhandel zu einem Magneten entwickelt, der Käufermassen aus nah und fern anlockt.
Sie kommen nicht nur aus den Nachbarstädten, sondern auch aus dem Münster- und Sauerland und vom Niederrhein. Etagen-Kaufhäuser wie Althoff (Karstadt), Cramer & Meermann und später Defaka sind weit über die Stadtgrenzen hinaus ein Begriff. Schon am 14. Mai 1938, mitten in der NS-Zeit, verkündet der Leiter der Werbegemeinschaft Essen e. V. zum ersten Mal offiziell den Slogan „Essen – die Einkaufsstadt“.
Ebenso identitätsstiftend wie das Gewimmel der Käufermassen in Geschäften und auf den Straßen war dank der herausragenden Stellung der Kruppschen Gussstahlfa-brik immer wieder Essens Rolle als Stadt der Rüstung. Schon vor 1918 und bis 1945 rühmte sich Essen – ob in der offiziellen Stadtwerbung oder auf Postkarten – mit dem donnernden Etikett „Kanonenstadt“ bzw. „Waffenschmiede des Reiches“.
In der NS-Zeit dient die Handelshof-Fassade dem „Führerkult“
Der Handelshof, der 1921 in den Besitz der Stadt gelangt, wird im finstersten Kapitel der deutschen Geschichte selbstverständlich auch für Nazi-Propaganda und Hitlerverehrung instrumentalisiert. Als der italienische „Duce“ (Führer) Essen im September 1937 zusammen mit dem Diktator einen Besuch abstattet, ist die Fassade des Handelshofs geradezu überfrachtet mit roten Hakenkreuzfahnen, Girlanden und italienischen Trikoloren. Und die gesamte Fassadenbreite nimmt ein Banner in Anspruch, auf dem heißt es: „Herzlich Willkommen in der Waffenschmiede des Reiches“. Ferner gibt es eine Postkarte von 1940 mit dieser Parole an die Essener Volksgenossen: „Dein Dank dem Führer durch dein Opfer“. Fünf Jahre später liegt die Stadt in Schutt und Asche.
Das Gebäude-Ensemble am Hauptbahnhof aus Hauptpost, Eick-Haus, Handelshof und Haus der Technik (früher Börse), geschaffen von den renommiertesten Architekten jener Zeit, fügt sich seit bald hundert Jahren zusammen zu einer beeindruckenden Visitenkarte. Es ist zugleich Entrée für die Konsumwelt der Essener Innenstadt.
Schon lange vor dem „Einkaufsstadt“-Slogan nutzt Essen den Handelshof immer wieder als Reklamefläche für andere Zwecke. Robert Welzel hat eine gezeichnete Postkarte in seiner Sammlung, auf der der Schriftzug „Hotel Handelshof“ hell leuchtet. Essen wirkt darauf fast weltstädtisch. 1939 dann strahlen die Großbuchstaben „AEG“ hell auf dem Dach. Und nach 1945, als sie dabei sind, die Trümmer des Weltkriegs beiseitezuschaffen, wirbt Essen für die Landesausstellung „Dach und Fach“ in der Messe Essen. Bezeichnenderweise fehlt dem von Bomben schwer getroffenen Handelshof immer noch genau dieses: das Dach.
Nach dem Weltkrieg wird am Handelshof für die Messe „Dach und Fach“ geworben
Ein Jahr nach Einweihung der Leuchtschrift auf dem Handelshof sind die Trümmer des Weltkriegs immer noch nicht beseitigt. Auch denen, die die NS-Verbrechen aufarbeiten wollen, wird so mancher Stein in den Weg gelegt.
Aber für pfiffige Slogans zum Wohle der Einkaufsstadt ist der Weg frei. Die Werbegemeinschaft plant 1951 die Sympathie-Aktion „Essen - die höfliche Stadt“ – mit einer „Höflichkeitswoche“ zur Zeit des Sommerschlussverkaufs als Höhepunkt.