Essen. Polizei Essen hat im vergangenen Jahr mehr Kriminalität registriert. Vor allem die Straftaten gegen die jüngsten und ältesten Opfer machen Sorge.

Mehr Gewalt, mehr Betrug und mehr Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vor allem von Kindern: Die Polizei Essen hat in 2021 erstmals wieder eine zunehmende Kriminalität registriert. Dennoch liegt die Zahl aller bekannt gewordenen Delikte insgesamt auf dem zweitniedrigsten Wert im Zehnjahresvergleich. Mit Blick auf einige besonders alarmierende Entwicklungen sprach Polizeipräsident Frank Richter am Montag bei der Vorstellung der Kriminalstatistik für das vergangene jedoch von „großer Sorge“, die ihn umtreibe.

Denn gerade die Schwächsten unserer Gesellschaft werden auf besonders erschreckende und widerwärtige Weise zunehmend zu sichtbaren Opfern: Die Täter sind Pädokriminelle, die selbst kleinste Kinder missbrauchen und pornografische Bilder ihrer Taten verbreiten, und falsche Polizisten oder angebliche Enkel, die ältere Menschen mit perfiden Betrugsmethoden oder plumpen Schockanrufen hereinlegen und sie ohne jeden Skrupel um Eigentum und Seelenheil bringen.

Über die Hälfte aller Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung richtete sich gegen Kinder und Jugendliche. Bei dem Verdacht des Missbrauchs von Minderjährigen oder der Verbreitung, des Erwerbs, Besitzes und der Herstellung kinder- oder jugendpornografischer Schriften wurde in 563 Fällen ermittelt. 300 verfolgte Straftaten bedeuten eine Verdoppelung binnen eines Jahres.

Zig Terrabyte Daten wurden und werden ausgewertet

„Und es wird nicht aufhören in der nächsten Zeit“, sagte Essens Kripo-Chef Ralf Wagener. Zig Terrabyte Daten, die sichergestellt worden sind, mussten und müssen Bild für Bild ausgewertet werden. Nicht nur, um die Täter hinter Gitter bringen zu können, auch um Kinder zu retten, die ihren Peinigern meist schutzlos ausgeliefert sind, solange die Behörden keinen Fuß in die Tür bekommen.

Damit dies häufiger der Fall ist, hat die Behörde die Bekämpfung der Kinder- und Jugendpornografie zu einem Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung erklärt und die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Herkules ins Leben gerufen, in der alle verfügbaren freiwilligen Kräfte unvorstellbare Datenmengen sichten. Allein im vergangenen Jahr waren es über 73 Terrabyte.

Die Dunkelfelder

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen als auch die GdP Kreisgruppe Essen/Mülheim kritisieren die fehlende Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik. Es gebe Felder, da schaue die Polizei genauer hin und registriere deshalb auch zum Teil deutlich mehr Straftaten, wie bei der Verfolgung des Kindesmissbrauchs. Umgekehrt heiße das aber auch: Viele Delikte fließen erst gar nicht in die Jahresbilanz ein, weil sie der Polizei schlicht nicht bekannt werden.

Um alle Dunkelfelder angemessen gleichmäßig durchleuchten zu können, fehlt schlicht das Personal. Das gelte insbesondere für den Bereich der Organisierten Kriminalität, für die Erpressung von Schutzgeldern, den bandenmäßig organisierten Wirtschafts- und Sozialhilfebetrug, für Rauschgiftdelikte und die Internetkriminalität.

Um die Sicherheit der Menschen nachhaltig zu verbessern, fordert die GdP deshalb neben einer Stärkung der Ermittlungsdienste die regelmäßige Erarbeitung eines periodischen Sicherheitsberichts, in denen auch jene Erkenntnisse der Kriminalitätsforschung einfließen, die bei der Erstellung der Polizeilichen Kriminalstatik außen vor bleiben.

Die Zahl der auf diesem Deliktfeld verfolgten Straftaten ist um 292 auf 563 gestiegen und im Vergleich zum Vorjahr wurden 264 davon auch aufgeklärt, was einer Zunahme um 113 Prozent und einer Quote von insgesamt über 88 Prozent entspricht. Etwa dreiviertel der Opfer sind zwischen 6 und 14 Jahre alt, aber es sind auch deutlich jüngere, sogar Säuglinge darunter. Insgesamt hat die BAO Herkules gegen 507 Verdächtige ermittelt.

Jugendliche verbreiten Pornos über ihre Smartphones

Der Großteil ist zwischen 30 und 40 Jahre alt. Aber auch der Anteil der 14- bis unter 16-Jährigen ist hoch. Sie verbreiten Pornos über ihre Smartphones und sind sich in den allermeisten Fällen keiner Straftat bewusst. Mehr Aufklärung im Vorfeld tut hier not, ist die Polizei überzeugt.

Aber auch die Senioren sind die Sorgenkinder: In einer Vielzahl von Fällen haben Trickbetrüger aus der Türkei und Großbritannien heraus versucht, an das Geld der älteren Menschen zu kommen, indem sie sich als falsche Polizisten oder als Enkel in Not ausgaben. In den meisten Fällen scheiterten sie, doch 79 Mal kamen sie allein in Essen zum Ziel und erbeuteten über 858.000 Euro, was immerhin 1,86 Prozent des Gesamtschadens bedeutet, den Kriminelle in Essen angerichtet haben. In Einzelfällen verloren Senioren sogar sechsstellige Summen. 10.861,35 Euro waren die durchschnittliche Beute.

Insgesamt haben die Straftaten in Essen in 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 2.848 auf 46.393 Fälle zugelegt. Dies bedeutet einen Anstieg um 6,54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Preistreiber sind dabei unter anderem die Waren- und Kreditbetrügereien, die sich während der Corona-Pandemie wie im Jahr zuvor schon als eine sprudelnde Einnahmequelle entpuppten. Mehr Ware wurde übers Internet bestellt und dort tummelten sich folglich mehr Kriminelle, die zwar kassierten, aber nicht lieferten. 4844 dieser Fälle bedeuten eine Zunahme von über 50 Prozent.

Zahl der Einbrüche ging weiter zurück

Während die Zahl der Einbrüche in Essen noch einmal um rund 18 Prozent zurückging, nicht nur weil Wohnungen besser gesichert sind, sondern sich auch mehr Menschen aus Gründen des Infektionsschutzes zu Hause aufhielten, stieg die Gewaltbereitschaft auf der Straße, vermutlich ebenfalls coronabedingt, besonders unter Jugendlichen nahmen die Aggressionen zu, wie Wagener berichtete: „Mehr Gewaltkriminalität ist sicherlich dem Lockdown geschuldet.“

1807 Delikte gingen in die Statistik ein, das waren 96 mehr als im Jahr zuvor. Die Polizei zählte mehr gefährliche und schwere Körperverletzungen (plus elf Prozent) und Raubüberfälle (plus 18 Prozent). Und auch wenn sie nicht immer zum Einsatz kamen: Die meisten der Täter trugen Waffen bei sich, meist handelte es sich um Messer, mit denen es in Essen und Mülheim in 207 Fällen zum Angriff kam. Das waren 29 Messerangriffe mehr als im Jahr zuvor.