Essen. So viele Fälle wie noch nie, so hohe Beute wie noch nie: In 462 Fällen hinterließen hochkriminelle Betrüger einen Schaden von 8,2 Millionen Euro.
Falsche Polizisten, vermeintliche Enkel und ähnlich kriminelle Konsorten haben im vergangenen Jahr in Essen so reiche Beute gemacht wie noch nie zuvor: Wie aus der 2020er-Bilanz der Essener Polizei zu den sogenannten Straftaten zum Nachteil älterer Menschen hervorgeht, ergaunerten die Betrüger binnen zwölf Monaten die Rekordsumme von rund 8,2 Millionen Euro.
Sie schädigten durch ihre miesen Maschen am Telefon und an der Haustür stadtweit 368 Senioren. Damit waren sie etwa vier Mal erfolgreicher als im Jahr zuvor und brachten jedes ihrer Opfer rein rechnerisch um durchschnittlich rund 22.300 Euro - wobei die tatsächliche Summe der Beute im Einzelfall in der Höhe stark variierte und sogar auch sechsstellig ausfiel.
So wie im November in Bredeney, als gleich mehrere falsche Polizisten und ein angeblicher Staatsanwalt ein älteres Ehepaar an einem Tag um mehrere hunderttausend Euro brachten. Am Telefon hatten sie die die Senioren stundenlang unter Druck gesetzt und machten ihnen Angst mit einer aus so vielen Fällen bekannten wie wiederkehrenden Lügengeschichte: Angeblich stünden die älteren Herrschaften im Fokus von Einbrecherin und Räubern. Die hätten auch noch Komplizen, die in der Bank der Opfer arbeiten würden. Das Paar müsse seine Werte unbedingt schützen.
Falscher Staatsanwalt lobte die gute Zusammenarbeit
Entsprechend geschockt und verunsichert holten die Eheleute ihre Ersparnisse an ihrer Bank an der Bredeneyer Straße ab und folgten damit den absurden Anweisungen der Betrüger. Ein falscher Staatsanwalt schüchterte das ältere Paar zusätzlich telefonisch ein, lobte es aber zugleich wegen der „guten Zusammenarbeit“ mit den Kriminalbeamten.
Ständig von neuen Telefonaten und Aufgaben überfordert, legten die Senioren schließlich Goldmünzen und ein Dutzend Briefumschläge mit Bargeld in eine schwarze Ledertasche. Wenig später holten Mitglieder der Bande eine mit den horrenden Werten am Grundstück der Bredeneyer abgelegte Tasche ab und verschwanden auf Nimmerwiedersehen.
Fast Dreiviertel aller dieser Straftaten geht auf das Konto falscher Polizisten
Kein Wunder also, dass die falschen Polizisten mit Abstand die dickste Schore einfuhren: Fast Dreiviertel aller dieser angezeigten Straftaten gingen auf ihr Konto. Erst weit dahinter folgte mit zwölf Prozent Anteil der sogenannte Enkeltrick, bei dem ein angeblicher Verwandter am Telefon eine Notlage vorspielt - bis hin zum Schockanruf. Bei diesem besonders skrupellosen Trick wird den Opfern beispielsweise suggeriert wird, einer ihrer Liebsten sei schwer verunglückt oder erkrankt und es brauche dringend eine größere Summe Bargeld, um akutes Leid lindern zu können.
Dahinter folgen ähnlich weit abgeschlagen betrügerische Gewinnversprechen oder Straftaten im Fahrwasser von Corona, bei denen sich Kriminelle zum Beispiel als Mitarbeiter des örtlichen Gesundheitsamts ausgeben, um an das Geld ihrer meist betagteren Opfer zu kommen - die jüngste Masche.
Die meisten Anrufe kamen aus Callcentern im Ausland
Insgesamt 1747 Fälle des vergangenen Jahres sortierte die Polizei in die Rubrik „Tatort Ausland, Erfolgsort Essen“ ein. Was heißt: Die gewieften Betrüger melden sich aus Callcentern meist in der Türkei bei Essenern über Telefonnummern, die sie aus Verzeichnissen anhand älter klingender Namen wie „Hildegard“, „Edeltraud“ oder „Ingeborg“ gefischt hatten. Sie telefonierten die Anschlüsse gezielt ab, und bedienten sich in Essen wie in anderen Städten der Hilfe von „Logistikern“ und „Abholern“, indem sie die Adressen weitergaben, unter denen das Geld eingestrichen werden sollte
In den Callcentern arbeiten nach Erkenntnissen einer Essener Ermittlungskommission zum Teil Türken, die in Deutschland aufgewachsen oder abgeschoben worden und der deutschen Sprache so weit mächtig sind, dass sie am Telefon wie „Kommissar Müller“ klingen. Inzwischen werden sogar täuschend echte Konferenzschaltungen mit angeblichen Staatsanwälten inszeniert.
1473 der Anrufe liefen im vergangenen Jahr ins Leere
Der logistische Aufwand für Trickbetrug am Telefon hält sich in überschaubaren Grenzen und deshalb scheint es den organisierten kriminellen Banden nicht allzu viel auszumachen, wenn sie leer ausgehen: Von den 1747 im vergangenen Jahr in Essen angezeigten Anrufen führten immerhin 1473 nicht zum Ziel. Im Jahr zuvor waren sogar 1167 von 1175 gescheitert. „Das ist sicherlich ein Ergebnis der umfangreichen Präventionsarbeit“, ist Kripo-Chef Ralf Wagener mit Blick auf den zuletzt rund 84-prozentigen Anteil der erfolglosen Versuche überzeugt.
Unter der Kategorie „Tatort Essen“ fasste die Polizei vor allem die Straftaten zum Nachteil älterer Menschen zusammen, bei denen sich Kriminelle unter allerlei Vorwänden zum Beispiel Zutritt zu Wohnungen ihrer Opfer verschafften: In 135 Fällen des vergangenen Jahres scheiterten 41, im Jahr zuvor waren es 44 von 119. Bleiben 94 beziehungsweise 75 Male, bei denen die Täter Beute machten. Was in der Summe beider Deliktsarten „Tatort Ausland“ und „Tatort Essen“ heißt: In 2019 waren die Betrüger in 93 Fällen erfolgreich, ein Jahr später kamen sie sage und schreibe 368 Mal zum Ziel.
Die Dunkelziffer, davon sind Ermittler überzeugt, dürfte noch um ein Vielfaches höher liegen.