Essen. Wasser marsch im Essener Opernhaus: Bühnenbildner Piero Vinciguerra macht im Theater Unmögliches möglich. Das Aalto nimmt die Herausforderung an.

Wenn sich die große Oper mal nasse Füße holt, dann sind normalerweise Bregenzer Festspiele. Der Bodensee als feuchter Bühnengrund ist ein vertrautes Bild. Das Aalto-Theater als großes Wasserlandschaft ist hingegen eine ziemlich ungewöhnliche Vorstellung. Der Mann, der im Theater gerne mal das eigentlich Unmögliche möglich macht, heißt Piero Vinciguerra. Zusammen mit Regisseur Roland Schwab sorgt der italienische Bühnenbildner nach einem grandiosen „Otello“ und einem gefeierten „Bajazzo“ mit „Il Trittico“ nun für das dritte gemeinsame aufsehenerregende Musiktheater-Projekt im Aalto-Theater. Wenn sich am kommenden Samstag für den Puccini-Dreiakter der Vorhang hebt, wird ein riesiges Wasserbecken zum vielschichtigen Seelengewässer und wohl auch zu einer der ungewöhnlichsten Bühnenbilder, die das Essener Opernhaus in der Vergangenheit zu bieten hatte.

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Nachtblau schimmert das riesige Bassin, über dem sich ein gigantischer Spiegel wie ein Ausblick in eine Gegenwelt erhebt. Eine Neonröhre teilt die zwei Sphären und sorgt für unterschiedliche Lichtstimmungen. Reduziert, aber doch nicht unsinnlich soll das „Il Trittico“-Bühnenbild daherkommen, sagt Regisseur Roland Schwab. Das riesige Wasserbecken ist dabei die wirkungsvolle Antwort auf die Frage, wie sich diese stilistisch ganz unterschiedlichen Opern-Einakter zwischen Eifersuchtstragödie und Erbschleichergroteske szenisch verbinden lassen.

Während Vinciguerra und Schwab an diesem Nachmittag die Bühne einleuchten, dürfen die Statisten noch Gummistiefel tragen, doch ab Samstag werden sich die Sänger zwangsläufig nasse Füße holen. Auf wannentaugliche 30 Grad immerhin wird das Wasser erwärmt, erklärt Vinciguerra. Neoprenunterkleidung kommt trotzdem zum Einsatz, denn das Wasser kühlt schnell aus und bleibt immerhin für die ersten zwei Einakter das feuchte Elixier des Aalto-Ensembles.

Eine Szene aus „Suor Angelica“, dem mittleren Teil des Puccini-Dreiteilers. Die Titelrolle übernimmt Jessica Muirhead.
Eine Szene aus „Suor Angelica“, dem mittleren Teil des Puccini-Dreiteilers. Die Titelrolle übernimmt Jessica Muirhead. © Theater und Philharmonie | Matthias Jung

Das Wasser wird in dieser Produktion vieles sein – Element der schmerzhaften Erinnerungen, die eingangs ein unglückliches Paar in Paris in eine ausweglose Dreiecksgeschichte und Eifersuchtstat treiben („Il Tabarro“, Der Mantel). Ein Sammelbecken der vielen Tränen einer jungen Adligen, die im Nonnenkloster um ihr verlorenes Kind weint in „Suor Angelica“. Am Ende fungiert die dann abgedeckte Wasserfläche als Luxuspool für die gierige Erbschleicher-Meute im komödiantischen „Gianni Schicchi“.

Noch nie zuvor sind die drei Stücke an einem Abend in Essen gespielt worden. Die Anforderungen des Puccini-Dreiers an ein Opernhaus sind schließlich hoch – an das Ensemble, das durch die personalintensiven, ungewohnten Wasserspiele ebenso gefordert ist wie die gesamte Aalto-Technik, die Wassermassen in diesem Ausmaß auch noch nicht bewegt hat.

Dass Piero Vinciguerra nicht nur ein kreativer Bühnenbildner, sondern manchmal wohl auch ein genialer Überzeugungskünstler sein muss, kann also jeder erahnen, der weiß, wie sehr ein Opernhaus mit all der aufwendigen Technik sonst das Wasser scheut. Jede unkontrolliert eindringende Feuchtigkeit würde die Untermaschinerie empfindlich treffen. Entsprechend groß sind Vorsicht und Aufwand, um das Wasser zu jeder Vorstellung auf und wieder von der Bühne zu bekommen. Etwa eine Stunde dauert allein die Bewässerungs-Prozedur mit einem extra leistungsfähigen Feuerwehrschlauch.

„Wasser marsch
„Wasser marsch": Theatermeister David Spaccavento befüllt das Becken auf der großen Aalto-Bühne. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Vinciguerra weiß um die technischen und organisatorischen Herausforderung und ist voll des Lobes über die Zusammenarbeit am Aalto-Theater, wo er 2019 schon mit seinem raffinierten Jalousien-Bühnenbild im „Otello“ für einen besonderen Hingucker gesorgt hat. 110 meterhohe und teils motorisierte Stoff-Lamellen machten die Aalto-Bühne, die zu den größten der Republik zählt, zu einem schillernden Halluzinationsraum und zu einem visuellen Überraschungscoup.

Piero Vinciguerra hat auch schon ein Passagierflugzeug 747 auf der Bühne landen lassen

„Schaut super aus, aber wie setzen wir das um?“ Den Satz hört der in Salzburg lebende Bühnenbildner manches mal, wenn er seine kühnen Entwürfe in den Opernhäusern von Berlin bis Göteborg, von Köln bis Zürich vorstellt. Für Arrigo Boitos „Mefistofele“ an der Staatsoper München haben sie ihn dann doch kilometerweise Stahl verbauen lassen. Und das riesige Passagierflugzeug 747 in Original-Maßstäben, das er für den „Lohengrin“ auf der Bühne der Salzburger Felsenreitschule hat notlanden lassen, hat ihm große Aufmerksamkeit und eine „Opernwelt“-Nominierungen für das „Bühnenbild des Jahres“ eingebracht.

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„Il Trittico“ (Das Triptychon“) vereint drei einaktige Opern von Giacomo Puccini: „Il Tabarro“, Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“. Die Uraufführung des Opern-Dreiteiles fand 1918 an der New Yorker Metropolitan Opera statt. Das Puccini-Spätwerk war bislang noch nie komplett in Essen zu erleben.

Die Premiere von „Il Trittico“ wird am Samstag, 22. Januar, 19 Uhr, im Aalto-Theater gefeiert. Weitere Vorstellungen sind am 30. Januar, am 5. und 13. Februar, sowie am 2., 20. und 31. März geplant.

Tickets unter 0201-8122-200 und www.theater-essen.de

Das Rüstzeug für all die bildmächtigen Bühnenzaubereien hat Vinciguerra schon als junger Student in Urbino mit auf den Weg bekommen, der Geburtsstadt des Renaissance-Künstlers Raffael. Maler will der einstige Klosterschüler Vinciguerra damals eigentlich auch werden, doch Literatur und Musik beeindrucken ihn nicht minder, am Ende studiert er Kunstgeschichte und Bühnenbild. Die Oper vereint für ihn bis heute all diese Interessen als Gesamtkunstwerk, das er vom ersten bis zum letzten Produktionstag begleitet. „Ich bin bei jeder Probe dabei.“ Am Samstagabend ist der erste Vorhang dann wieder einmal der letzte Akt eines wochenlangen Arbeitsprozesses. Für Piero Vinciguerra ist es nicht nur ein weiterer Beleg von Bühnenmagie: „Man verlässt eine Familie.“