Essen. Die Folgen des Lieferstopps von Gas.de und Stromio kommen bei den Kunden an. Wie teuer dieser werden kann, zeigen zwei Fälle aus Essen.

Enorme Preisaufschläge bis hin zu Lieferstopps und Vertragskündigungen von Versorgern: Von den aktuellen Verwerfungen an den Energiemärkten sind auch tausende Essener Haushalte betroffen. „Wir spüren eine große Verunsicherung bei den Verbrauchern. Viele machen eine regelrechte Odyssee durch, um an Informationen zu kommen“, berichtet die Leiterin der Essener Verbraucherzentrale, Manuela Duda. Die Beratungsstelle in der Hollestraße werde derzeit mit Anfragen regelrecht überrollt, berichtet sie.

Das beherrschende Thema ist momentan der Lieferstopp des Gasversorgers Gas.de. Aber auch Anfragen nach der Vertragskündigung durch Stromio nehmen zu. Allein die Stadtwerke Essen mussten im Dezember 2021 über 2500 Gas.de-Kunden in der Ersatzversorgung auffangen. Beim Strom ist in Essen Eon als Grundversorger in der Pflicht.

Manuela Duda, Leiterin der Verbraucherzentrale Essen. Die Beratungsstelle erlebt derzeit einen regelrechten Ansturm verärgerter Strom- und Gaskunden.
Manuela Duda, Leiterin der Verbraucherzentrale Essen. Die Beratungsstelle erlebt derzeit einen regelrechten Ansturm verärgerter Strom- und Gaskunden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Zwar muss sich nach solchen Lieferstopps niemand Sorgen machen: Gas und Strom fließen weiter. Doch ehemalige Gas.de-Kunden in Essen erleben gerade, wie teuer sie das Liefer-Aus ihres ehemaligen Versorgers nun zu stehen kommt.

Essenerin soll das Fünffache an Abschlägen zahlen

Ulrike Vetter ist ein solcher Fall: Die Essenerin zahlte bei Gas.de bislang monatlich 208 Euro Abschlag für zwei Wohnungen. „Damit bin ich immer gut hingekommen“, berichtet sie. Am 3. Dezember 2021 ist sie wie alle Betroffenen in die Ersatzversorgung gefallen. Der Brief der Stadtwerke, der sie kurz vor Weihnachten erreichte, schockte sie jedoch: Die Stadtwerke verlangen darin bis März 2022 drei Abschläge von jeweils 1040 Euro. „Das ist astronomisch, zumal aus dem Schreiben in keiner Weise hervorgeht, wie die Stadtwerke auf diese Summen kommen“, beklagt Ulrike Vetter. Tatsächlich nennen die Stadtwerke in dem Brief weder den Verbrauch, den sie für die Berechnung zugrunde legen, noch ist der Tarif gut ersichtlich. Lediglich drei Preisblätter liegen dem 40-seitigen Schreiben bei.

Über 3100 Euro also soll Ulrike Vetter für die Monate Dezember bis März vorstrecken. Unabhängig von ihrem Fall: Nicht jeder Haushalt hat so viel Geld auf der hohen Kante. Ulrike Vetter fragt zurecht: Kann die Berechnung der Stadtwerke überhaupt stimmen?

Stadtwerke Essen verweisen auf Abrechnungszeitraum

Auf Nachfrage der Redaktion liefern die Stadtwerke folgende Erklärungen: Zum einen war der Tarif, den Ulrike Vetter bei Gas.de zahlte, freilich günstiger als der in der Ersatzversorgung. Zum anderen gibt es in Essen keine einheitliche Stichtag-Ablesung. Das heißt, dass Haushalte zu unterschiedlichen Zeiten ihre Jahresabrechnung bekommen.

Bei den Stadtwerken Essen sind über 2000 Gas.de-Kunden in der Ersatzversorgung gelandet.
Bei den Stadtwerken Essen sind über 2000 Gas.de-Kunden in der Ersatzversorgung gelandet. © FUNKE Foto Services | Tobias Harmeling

Bei Ulrike Vetter beginnt und endet laut Stadtwerken der Verbrauchszeitraum jeweils im März. Normalerweise also zahlt sie im verbrauchsarmen Sommer genauso hohe Abschläge wie im Winter mit hohen Verbräuchen. Nur diesmal mit dem Unterschied: Die Abschläge bis Anfang November hat sie an Gas.de geleistet. Dort müsste sie demnach ein Guthaben haben, das normalerweise dafür da ist, die Wintermonate auszugleichen. Doch da nun die Stadtwerke ausgerechnet mit Beginn des Winters in die Versorgung eingesprungen sind, fehlt dort dieses Polster. „Mit wenigen Abschlagszahlungen muss fast der komplette Jahresverbrauch abgedeckt werden“, bekräftigt Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun.

Schlussrechnung von Gas.de steht noch aus

Ulrike Vetter muss nun hoffen, dass sich Gas.de an seine Zusage hält und den Kunden zeitnah eine Schlussrechnung erstellt; Guthaben und Boni auszahlt. Anfang Dezember hatte der Versorger zugesagt, dass dies innerhalb von sechs Wochen geschehen soll. „Wir haben bislang keine Abrechnung gesehen“, berichtet jedoch Manuela Duda von der Verbraucherzentrale.

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Trotz der Erklärung der Stadtwerke erachtet Ulrike Vetter die Abschläge weiterhin als viel zu überzogen. In einem solchen Fall rät die Verbraucherzentrale, sich an den Versorger zu wenden und dies anhand der Abrechnungen aus den Vorjahren zu belegen. Die Stadtwerke signalisieren: „Selbstverständlich können uns Kundinnen und Kunden immer ansprechen. Je nach individuellen Gegebenheiten passen wir gegebenenfalls die Abschlagsbeträge an.“

Nach einem Telefonat wären die Stadtwerke tatsächlich bereit gewesen, Ulrike Vetter zumindest rund 200 Euro im Monat nachzulassen. Zufrieden ist sie damit nicht, spricht weiter von horrenden Abschlägen. Aus Frust hat sie vergangene Woche den Versorger gewechselt.

Essener wechselt zu früh den Versorger: teurer Fehler

Auch Reiner Heinrichs musste leidvoll erleben, wie teuer ihn das Versorgungs-Aus von Gas.de zu stehen kommt. Gleich nach Ankündigung des Lieferstopps informierte er sich, wie viel er künftig in der Ersatzversorgung der Stadtwerke zahlen müsste. Das Vergleichsportal „Check 24“ spuckte einen monatlichen Betrag von über 400 Euro aus. Das wollte Reiner Heinrichs möglichst verhindern und suchte sich einen günstigeren Anbieter und wechselte mit nur wenigen Klicks zu den Stadtwerken Osnabrück.

Viel höhere Preise für Neukunden

Die Stadtwerke unterscheiden in der Grund- und Ersatzversorgung seit Kurzem zwischen Bestandskunden und neuen Kunden. Wer bis zum 10. Dezember 2021 bereits Kunde bei den Stadtwerken war, zahlt deutlich geringere Preise. So kostete die Kilowattstunde Gas zunächst 6,76 Cent, seit der Preiserhöhung zum 1. Januar 2022 nun 8 Cent. Das ist immer noch deutlich günstiger als die Tarife, die momentan auf dem Markt angeboten werden. Die Verbraucherzentrale rät daher, einen Wechsel genau zu prüfen. Unter Umständen kann nämlich der Ersatz- bzw. Grundversorgungstarif momentan besser sein.

Kunden, die ab dem 11. Dezember hingegen in die Ersatzversorgung gefallen sind, zahlen bei den Stadtwerken 17,83 Cent pro Kilowattstunde. Verbraucherschützer kritisieren diese gespaltene Preispolitik, die mittlerweile einige Versorger anwenden, und lassen diese montan auch juristisch überprüfen.

Nur wenige Stunden später erreichte ihn Post der Stadtwerke. Dort waren plötzlich viel günstigere Abschläge aufgeführt, als bei „Check 24“ ermittelt. Heinrichs war nämlich noch in den günstigeren Tarif für Bestandskunden eingeordnet worden, der bis 10. Dezember galt (siehe Infokasten). Dieser lag auch unter dem Tarif der Osnabrücker. Sofort widerrief Reiner Heinrichs den Vertrag, wollte zu den Stadtwerken Essen zurück. „Wenn man jedoch den neuen Anbieter beauftragt, auch den Vertrag mit dem alten zu kündigen, dann ist der Vertrag leider weg. Der Widerruf ändert daran nichts“, bestätigt Verbraucherberater Ingo Döring.

Die Stadtwerke Osnabrück haben Reiner Heinrichs aus dem Vertrag gelassen. Er kann nun theoretisch zu den Stadtwerken Essen zurück. Da diese aber die Preise für Neukunden sowohl in der Ersatz-/Grundversorgung wie auch in den Sondertarifen kräftig angezogen haben, ist das keine Option mehr für ihn. Jedoch einen neuen Versorger mit halbwegs günstigen Preisen zu finden, ist momentan äußerst schwierig.

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Reiner Heinrichs ärgert sich über seinen etwas zu voreiligen Schritt. Noch mehr aber verärgern ihn die hohen Tarife in der Ersatz- und Grundversorgung, die die Stadtwerke von neuen Kunden verlangen. „Das sind unverschämte Preise“, sagt er und bezieht dabei auch den Essener Oberbürgermeister in die Kritik ein, der als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke solche Preise zulasse.