Essen. In den USA vermittelt Tobias Greenhalgh Klassik sogar im Superhelden-Kostüm. Am Aalto-Theater Essen erlebt man den Bariton nun als Barocksänger.

Dass der Gesang Superkräfte verleihen kann, davon hat Tobias Greenhalgh schon Tausende von Jugendlichen in den Staaten überzeugt. „Operation Superpower“ heißt das Projekt, das der US-amerikanische Bariton schon während seines Studiums an der New Yorker Juilliard-School mit Kommilitonen gestartet hat. Seither haben Greenhalgh und seine Kollegen für ihr Education-Konzept an Schulen schon hundertfach das Superhelden-Kostüm übergezogen.

Welche musikalischen Superkräfte Tobias Greenhalgh im Aalto-Theater entfaltet, davon kann sich das Publikum am Sonntag, 2. Januar, bei der Premiere von „Dido and Aeneas“ überzeugen. Greenhalgh übernimmt die Partie des Sagenhelden Aeneas, den es nach der blutigen Schlacht von Troja an die karthagische Küste verschlägt, wo er sich unsterblich in Dido, Königin von Karthago, verliebt. Doch das Glück währt nur kurz. Höhere Mächte beordern Aeneas zurück aufs Meer, um in Italien ein neues Weltreich zu gründen. Dido ist verzweifelt und nimmt sich das Leben.

Die Premiere von „Dido und Aeneas“ am Essener Aalto war schon Ende 2020 geplant

Henry Purcell hat aus der legendären Liebesgeschichte einen Meisterwerk der Opernmusik gemacht, inszeniert wird das Stück in Essen von Ben Baur, der die Produktion eigentlich schon im vergangenen November auf die Bühne bringen sollte. Die kurze, etwa einstündige Barockoper hatte damals das perfekte Zeitmaß für die geltenden Coronabestimmungen. Doch dann kam der Lockdown und seither warten Greenhalgh und seine Aalto-Kolleginnen auf einen Premierentermin.

Aalto-Bariton Tobias Greenhalgh.  
Aalto-Bariton Tobias Greenhalgh.   © Volker Wiciok

Für den 31-jährigen Amerikaner immerhin ist es die Begegnung mit einem längst vertrauten Werk. 2011 hat er die Partie schon während des Studiums an der Juilliard School gesungen, ein paar Jahre später beim Festival in Aix-en-Provence, 2022 nun in Essen. Eine Zeitspanne, an der nicht nur künstlerische, sondern auch stimmliche Entwicklungen festzumachen sind. „Das erste Mal habe ich ihn mehr als Tenor gesungen, dann als lyrischer Bariton, jetzt geht es schon eher in Richtung dramatischer Bariton“, berichtet Greenhalgh, der 1990 in Rochester in eine musikalische Familie hineingeboren wird. Die Mutter spielt Klavier, der Vater Bass, der ältere Bruder feiert Erfolge im Pop-Fach, der Onkel macht Country-Rock. Und so kommt auch Tobias Greenhalgh übers Cello-Spielen zum Gesang und schafft mit 17 gleich die Aufnahme an die berühmte New Yorker Juilliard-School.

Nicht nur im eigenen Land hat Greenhalgh seine Vielseitigkeit seither als Opern-, Konzert- und Liedsänger unter Beweis gestellt, von der Opera Las Vegas und der Boston Lyric Opera bis zur Carnegie Hall. Als feuriger Escamillo in „Carmen“, als Dr. Falke in Johann Strauss’ „Fledermaus“, aber auch als Riff in der „West Side Story“ oder als Eugen Onegin feiert er Erfolge von Wien über Montpellier bis Glyndebourne. Von 2014 bis 2016 gehört er zum Jungen Ensemble des Theater an der Wien, wo man ihn auch als Demetrius in Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ erlebt.

Mit Shakespeare hat sich Greenhalgh auch während der Pandemie intensiv beschäftigt. Das Ergebnis will der Sänger im März bei einem Aalto-Liederabend vorstellen. Gerade in pandemischen Zeiten, in denen die Kultur immer stärker in finanzielle Bedrängnis gerate, sei ein Engagement an einem deutschen Opernhaus wie dem Aalto ein großes Glück, um sich künstlerisch in Ruhe weiterzuentwickeln, sagt Greenhalgh. Und so freut er sich auf die vielen Herausforderungen, die das Festengagement bereithält. Neben Purcells Aeneas kann man ihn aktuell als Ottokar in „Der Freischütz“, als Nardo in der Mozart-Produktion „La finta giardiniera“ oder als Marquis von Posa in „Don Carlo“ erleben. Die Schaunard-Partie in „La Bohème“ hat er noch am 2. Weihnachtstag gesungen. Im Beisein der Eltern, die es mittlerweile sogar genießen würden, die Feiertage mit dem Sohn irgendwo in Europa zu verbringen.