Gelsenkirchen. . Eine Folge von Konfrontationen: Ben Baur serviert Mozarts „Don Giovanni“ Gelsenkirchener im Musiktheater im Revier als Nachtstück
Nachtschwarz funkeln die ersten Akkorde, unheimlich der nervöse Fortgang, erst allmählich lichtet sich die Stimmung für umtriebige Vitalität. Mozarts „Don Giovanni“-Ouvertüre lebt von diesem Gegensatz, Schatten und Licht durchziehen die Oper. Als „Dramma giocoso“ ist sie überschrieben, als heiteres Drama also.
Ben Baur aber entführt uns in eine gespenstische Szenerie, wo der Tod das Sagen hat, die Menschen voller Nöte, Zweifel und Ängste sind. Dort hat Komik wenig Platz. Der junge Regisseur serviert „Don Giovanni“ im Musiktheater im Revier als Nachtstück, formt die Figuren zu starken Charakteren, die ihre dunklen und bisweilen lichten Seiten haben, offenbart in einer Folge von Konfrontationen.
Für Mozart-Puristen mag die Inszenierung wie ein Konstrukt wirken. Weil zur Ouvertüre eine rätselhafte Pantomime abläuft. Weil einige Rezitative, zumeist die komischen Szenen zwischen Don Giovanni und Leporello, gestrichen sind. Weil deshalb oft Arie auf Arie folgt, auf Kosten freilich mancher dramaturgischer Löcher.
Wirkt dies alles befremdlich, so hat es doch Methode. Die Regie inszeniert im Geiste von Schnitzlers „Traumnovelle“. Am Ende, nach des Schurken Höllenfahrt, gibt es eine Hochzeit. Aus Mozarts Zögernden und Zweifelnden wird eine piekfeine Festgesellschaft. Doch ihr Zeitlupentanz ist nicht von dieser Welt, hat einen morbiden Beigeschmack.
Baur, verantwortlich auch für die Bühne, verortet das Geschehen in einem engen, leicht Rokoko-verspielten Theaterraum. Dort wirkt manche rasche Szenenfolge noch künstlich affektiert. Doch dann heben sich die Wände, wir blicken ins Weite, Offene. „Viva la libertà“ schmettern sie alle, wie befreit, in diesem Riesenraum, dem Schauplatz von Don Giovannis Höllensturz.
In der Titelrolle ist Piotr Prochera zu hören, ein geschmeidiger, schmeichelnder Bariton ohne Dämonie. Er nimmt die Dinge wie sie kommen, stört sich nicht an der beinahe dauernden Präsenz des toten Komturs, den Dong-Won Seo in der Höllenfahrt mit wuchtigem Bass gibt. Leporello wiederum ist in diesem makabren Traumstück alles Buffoneske vergangen. Urban Malmberg spielt ihn als galligen Zyniker, mit markiger, nicht immer durchschlagskräftiger Stimme.
Feinen, anrührenden, dramatisch aufbegehrenden Mozartgesang liefern die anderen: Alfia Kamalova (Donna Anna) als engelsgleiche Rache-Heroine, Petra Schmidt (Donna Elvira) als verzweifelt Liebende sowie Bele Kumberger (Zerlina), in gleichem Maße kokett und zutiefst gekränkt. Michael Dahmen (Masetto) fügt einen heldisch-zornigen, Ibrahim Yesilay (Don Ottavio) einen sehr kultivierten Verzweiflungston hinzu. Rasmus Baumann leitet die teils historisch instrumentierte Neue Philharmonie Westfalen, die mit Esprit zu Werke geht, ein überwiegend durchsichtiges Klangbild schaffend. Hervorragend gelingen die fein gearbeiteten Rezitative. Am Ende bleibt Staunen – das Düstere nimmt gefangen, die Heiterkeit haben wir nicht vermisst.