Essen. Was bewirkt die Fahrradstraße Rü? Zahlen der Stadt Essen geben ein zwiespältiges Bild. Polizei soll nun vorerst weiter den Verkehr beobachten.

Die Stadtverwaltung hat zur Fahrradstraße Rüttenscheider Straße die lang erwarteten Verkehrszählungen und Befragungen vorgelegt, und dabei eine eher zwiespältige Zwischenbilanz gezogen. In der Umfrage zeigten sich vor allem Radfahrer unzufrieden mit den Fahrradstraße, während Fußgänger sich positiv äußerten und Autofahrer sich mit den neuen Gegebenheiten mehrheitlich offenbar arrangierten. Weitergehende Restriktionen für Autos wie die kontrovers diskutierten Sperren soll es aber vorläufig nicht geben, betonte Umwelt- und Verkehrsdezernentin Simone Raskob. Die Stadt wolle vielmehr zunächst eine vertiefte Beobachtung der Verkehrssituation durch die Essener Polizei abwarten.

Polizei soll bis Mitte 2022 eine „fachlich fundierten Empfehlung“ liefern

Bereits im Sommer habe die Polizei „Verkehrssituationen notiert, die Anlass geben, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirksamkeit der Fahrradstraße zu verbessern“, schreibt die Stadtverwaltung. Diese Beobachtungen sollen nun verstetigt werden, um „in der ersten Jahreshälfte 2022 zu einer fachlich fundierten Empfehlung zu kommen“. Entscheidungen seien somit erst Mitte 2022 zu erwarten, so Raskob.

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Die Bewertungen der Stadt stützen sich in erster Linie auf Zahlen. Die Fahrradstraße Rü ging im Juni 2020 in Betrieb. Um die Konsequenzen zu überprüfen wurden an jeweils einem Werktag in den Jahren 2019 und 2021 zu verschiedenen Uhrzeiten und an vier Stellen durch ein externes Büro der Verkehr gezählt.

Die Ergebnisse: Vormittags zwischen 6 und 10 Uhr sank demnach der Autoverkehr an einer Zählstelle am Rüttenscheider Stern in Fahrtrichtung Süd von 778 auf 706 Kfz, in Fahrtrichtung Nord sogar von 1164 auf 903. Nachmittags von 15 bis 19 Uhr stellte sich die Lage so dar: In Fahrtrichtung Süd gab es eine Steigerung von 1083 auf 1148 Kfz, in Fahrtrichtung Nord sank hingegen die Belastung von 1380 auf 1276 Kfz. Im Bereich Florastraße wurden ebenfalls dreimal leichte Reduzierungen des Autoverkehrs gezählt und einmal eine leichte Erhöhung.

Radfahrer sehen auf der Rü das Konfliktpotenzial mit Autofahrern sogar noch erhöht

Beim Radverkehr ist das Ergebnis so: Im Bereich Florastraße stieg der Anteil von Radfahrern am Verkehrsgeschehen von 2019 bis 2021 bei allen vier Zählungen leicht – in der Spitze auf 22,3 Prozent. Am Rüttenscheider Stern hingegen gab es nur zweimal eine leichte Steigerung, aber zweimal eine kräftige Senkung des Radverkehrs, in Fahrtrichtung Süd am Nachmittag etwa von 37,4 auf 27,9 Prozent. Hier hat die Fahrradstraße ihren Zweck offenbar nicht erreicht.

Simone Raskob erklärt sich den Erfolg der Fahrradstraße in Höhe Flora mit dem Wegfall des geteilten Rad-Fußweges, der immer wieder gefährliche Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern heraufbeschwor. „Hier ist die Situation für Radfahrer nun deutlich komfortabler.“ Warum die Entwicklung aus Radfahrersicht am Stern nicht so positiv ist, könnte Raskob zufolge an der hier zu hohen Autodichte liegen.

Im Schnitt gestiegen ist laut der Zählungen der Anteil der Autofahrer, die die Rüttenscheider Straße für die Durchfahrt nutzen, ohne an der Straße selbst ein Ziel zu haben – stellenweise betrage dieser Anteil bis zu 49 Prozent am gesamten Autoverkehr. Durch die umstrittenen, nach Protesten abgesagten Abbiegezwänge an der Martinstraße und am Stern sollte diese Durchfahrtsmöglichkeit unterbunden werden.

Nur Fußgänger sind außergewöhnlich zufrieden mit der Fahrradstraße Rü

Bei den Umfragen unter Verkehrsteilnehmern äußerten sich die Fußgänger besonders positiv. Waren 2019 noch 72 Prozent der Meinung, die Situation auf der Rü sei für sie „sehr gut bis befriedigend“, wählten 2021 sogar 84 Prozent diese Wertung. 82 Prozent wiederum sagten, die Fahrradstraße habe diese Verbesserung bewirkt.

Auch Radfahrer sehen eine Verbesserung: Von 2019 bis 2021 stieg die Zahl derjenigen, die mit sehr gut bis befriedigend benoteten von 26 auf 39 Prozent. Das sei allerdings „immer noch gering“ bedauert Raskob und führt dies auf das „hohe Konfliktpotenzial“ mit den Autos zurück. Tatsächlich geben 81 Prozent der befragten Radfahrer an, es gebe diesen Konflikt, 2019 empfanden dies nur 51 Prozent so. Immer noch hohe Kfz-Belastung, lange Rückstaus an Ampeln sowie Störungen aufgrund der Parkvorgänge von Pkws und Lkws vermutet die Stadtverwaltung als Gründe.

Bei den Autofahrern hat sich in der Bewertung der Rüttenscheider Straße wenig geändert

Wenig hat sich bei den Autofahrern geändert. 2021 sagten 27 Prozent, die Lage sei für sie sehr gut bis befriedigend gegenüber 26 Prozent zwei Jahre zuvor. Gründe für die schlechte Bewertung sind lange Wartezeiten an Ampeln, zu wenig Parkfläche und Konflikte mit anderen Autofahrern und mit den Radfahrern. Letzteres wurde 2021 aber nur noch von 41 Prozent der Autofahrer als Problem genannt gegenüber 50 Prozent vor Einführung der Fahrradstraße. „Dies könnte ein Indiz für die Akzeptanz der Fahrradstraße sein, weil vermehrt Autofahrende den Vorrang des Fahrradverkehrs akzeptieren“, bemerkt die Stadtverwaltung.

Vermutlich weil es bislang kaum grundlegende Veränderungen gibt, bewerten Einzelhändler und andere Gewerbetreibende die Fahrradstraße, wie sie derzeit existiert, derzeit neutral bis positiv. Nur 12 Prozent sagen, die Rüttenscheider Straße sei dadurch unattraktiver geworden, nur 6 Prozent erklären, die Zahl ihrer Kunden habe sich seither verringert. Bei den Befragungen vor Einrichtung der Fahrradstraße, als die Sperrungen und Abbiegezwänge für Autos diskutiert wurden, waren die Befürchtungen deutlich stärker.

Raskob ließ durchblicken, dass die Fachverwaltung diese Restriktionen für Autos weiterhin für richtig hielte, doch soll – wie erwähnt – nun erst einmal das Votum der Polizei abgewartet werden. Die Frage, ob dies nicht eine Kapitulation der Verkehrspolitik und ein Abschieben der Verantwortung auf die Polizei sei, beantwortete die städtische Dezernentin eher ausweichend so: „Für uns ist das Thema Verkehrssicherheit wichtig.“