Essen. Eine Essenerin träumt von einer Musical-Karriere. Dann erkrankt sie an Multiple Sklerose. Warum der „Starlight Express“ dennoch ihr Leben prägt.

Nach anderthalb Jahren Corona-Pause geht der „Starlight Express“ Anfang Oktober wieder an den Start. Die Bochumer Rollschuh-Show ist ein Erfolgsgeschichte. Kein Musical wurde weltweit bislang länger an einem Ort gespielt. Unzählige Fans haben auf ein Wiedersehen mit Rusty und Pearl gewartet. Eine davon ist die Essenerin Katharina Hübenthal. 373 Mal hat sie das Musical bislang gesehen. Dabei ist mit dem „Starlight Express“ auch eine herbe Lebensenttäuschung verbunden. Das ist ihre Geschichte.

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„Starlight Express. Ich wünsch mir, du wärst hier.“ Es ist 1988, als Katharina Hübenthal das Lied zum ersten Mal hört. Da läuft das Rollschuh-Musical gerade zwei Wochen im Ruhrgebiet. Die damals zwölfjährige Essenerin ist fasziniert von der Geschichte um den Wettkampf der skatenden Eisenbahnen und beschließt, dass ihre berufliche Zukunft Rollen an den Füßen haben muss. Zumindest, da ist Katharina Hübenthal damals ganz sicher, will sie später auf einer Musical-Bühne stehen.

Rollschuhlaufen kann sie damals schon. Ballettunterricht hat sie bereits als Dreijährige bekommen. Eine Tante, selber Musikprofessorin, vermittelt ihr professionellen Gesangsunterricht. Alles läuft wie am Schnürchen. Bis zu dem Tag, als die damals 17-Jährige mit anderen Rollschuhläufern in der Orangerie der Gruga auftritt und plötzlich zusammenbricht. Die Diagnose ist niederschmetternd: Multiple Sklerose.

„Starlight Express“, wohin man schaut: Jede Menge Erinnerungen hat Katharina Hübenthal in den vergangenen Jahren gesammelt.
„Starlight Express“, wohin man schaut: Jede Menge Erinnerungen hat Katharina Hübenthal in den vergangenen Jahren gesammelt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Mit der Diagnose MS ist der Traum vom „Starlight Express“ dahin

Wenn die heute 46-Jährige in ihrem kleinen Blumenladen gleich gegenüber des Essener Uni-Klinikums die Geschichte erzählt, kann man nur erahnen, wie viel Schmerz damals über die junge Frau hereingebrochen sein muss. Denn Katharina Hübenthal versprüht in ihrem glitzernden Starlight-Kostüm, dem aufwendigen Augen-Make-up und dem strahlenden Lächeln unter der pechschwarzen Perücke so viel Lebendigkeit und positive Energie, als würde sie bis heute als Gute-Laune-Lok über die Bühne brausen. Doch der Traum vom Rollschuhtanz ist mit der Diagnose MS dahin.

Beruflich steht die junge Frau plötzlich mit leeren Händen da. Über eine andere Ausbildung hat sie bis dahin nicht nachgedacht, sie will ja tanzen und singen. Und nun will ihr keiner einen Ausbildungsplatz geben, die Krankheit wird zum beruflichen Handicap. Sie arbeitet trotzdem aushilfsweise in vielen Blumenläden, guckt sich viel ab. Und eröffnet 1999 ihren eigenen Blumenladen Girasole, weil das damals auch ohne Meisterbrief funktioniert. Ins Musical aber geht sie lange nicht mehr. Und wenn im Radio Werbung für den „Starlight Express“ läuft, „dann habe ich angefangen zu weinen“.

2012 dann lockt sie eine private Einladung doch wieder nach Bochum. Sie geht hin, zusammen mit den Eltern als Seelenstützen und ganz viel Grummeln im Bauch. Sie sieht die Musical-Loks Greaseball und Elektra mit 60 Sachen durch die Halle flitzen. „Und plötzlich war meine Bastellust wieder gewecket“, erzählt Katharina Hübenthal Schon als Teenager hat sie schließlich mit ihren Freundinnen die Kostüme von Rusty, Pearl und den anderen Zügen nachgenäht. Damals benutzen sie Nagellack, Tipp-Ex und PVC-Boden für die Stabilität der spacigen Outfits. Und ganz viel Kreativität. „Das Internet zum Abgucken gab es ja noch nicht“, grinst Katharina Hübenthal.

„Der ,Starlight Express’ ist die Königsdisziplin unter den Cosplayern“

Katharina Hübenthal in einem anderen Starlight-Outfit. Hier posiert sie neben Sian Jones als Speisewagen namens Dinah.
Katharina Hübenthal in einem anderen Starlight-Outfit. Hier posiert sie neben Sian Jones als Speisewagen namens Dinah. © Unbekannt | Schräder

Die Spaß am Rollenspiel hat sie seither nicht mehr losgelassen, das Cosplaying ist zu einer echten Leidenschaft geworden. Die Bilder, auf denen die Essenerin neben Starlight-Künstlern posiert, füllen dicken Alben. Die Outfits Marke Eigenbau sehen dabei so aufwendig und verblüffend echt aus, als kämen sie aus dem Bochumer Kostümfundus. Viele sind begeistert, wenn sie Hübenthal und ihre Cosplayer-Kollegen bei Veranstaltungen sehen. Doch die Essenerin betont sofort, dass sie keine Original-Darstellerin ist. „Ich schmücke mich ja nicht mit fremden Federn.“

Lieber trägt sie immer wieder neue verrückte Outfits und Perücken. Zum 45. Geburtstag ist sie einfach mal als Elfe durch den Grugapark gehüpft. Doch „der ,Starlight Express’ ist die Königsdisziplin unter den Cosplayern“, sagt die musicalbegeisterte Essenerin. Wenn sich die Gruppe in Essen trifft, werden gemeinsame Fotoshootings gemacht und Videos gedreht. Das „Licht am Ende des Lockdowns“ haben sie als Trost-Nummer während der Corona-Pandemie auf Zollverein aufgenommen.

Das Erfolgsrezept von „Starlight Express“: „Die Kombination aus Licht, Tanz, Gesang“

Die Starlight-Begeisterung hilft ihr auch durch gesundheitliche Krisenzeiten. Einmal im Monat bekommt sie eine Infusion, „meinen Zaubertrank“, sagt Katharina Hübenthal. Längst fiebert sie dem nächsten Besuch im Bochumer Starlight-Theater entgegen. „Die neue Besetzung ist ein Traum. Den aktuellen Rusty muss ich sehen.“

Infos zum Musical

Seit 1988 ist Bochum die Heimat von Andrew Lloyd Webbers Musical „Starlight Express“. Das Stück hält einen besonderen Rekord. Kein Musical wurde weltweit je länger an einem Ort gespielt. Das Stück erzählt den Traum eines Kindes, in welchem die Weltmeisterschaft der Züge ausgetragen wird. So gut wie alle Darsteller sind dabei mit hohem Tempo auf Rollschuhen oder Inlinern unterwegs. Am 3. Oktober geht das Musical wieder regulär an den Start. Previews gehen bereits am 1. und 2. Oktober über die Bühne.

Für die Essenerin ist es keine Frage, warum der „Starlight Express“ seit Jahren so erfolgreich ist. „Es ist die Kombination von allem. Tanz, Gesang, das Licht, einmalig.“ Die Faszination für das Rollschuh-Musical sei einfach ungebrochen: „Das werde ich in meinem Leben nicht mehr los.“