Essen-Borbeck. Drei Unfälle von Fahrradfahrern an zwei Tagen gab es am Weidkamp in Essen-Borbeck. Warum dies nur die Spitze des Eisbergs ist.

Drei Fahrradunfälle innerhalb von nur zwei Tagen: Laut Polizei gilt der Weidkamp in Essen-Borbeck seit langem als Unfallschwerpunkt. Auch die Unfallkommission war schon vor Ort und ergriff präventive Maßnahmen. Warum diese offensichtlich nicht ausreichen.

Die tiefe Schürfwunde am rechten Ellenbogen ist blutunterlaufen, ein großer blauer Fleck zieht sich über den Oberschenkel. Der Arzt diagnostizierte starke Prellungen. Schmerzhafte Andenken an einen Unfall auf der Straße Weidkamp in Essen-Borbeck, der Sandra Kollin-Zaremski den Schreck in die Glieder fahren ließ. Und dies ist längst kein Einzelfall.

Das Unglück ereignete sich am Freitag, 20. August, gegen 16.45 Uhr in Höhe der Gastronomie „Bürgereck“. Die 42-Jährige aus Bottrop war – wie so oft – nach der Arbeit mit dem Fahrrad in Richtung Heimat unterwegs. Auf der rechten Seite des Weidkamp verlaufen zwei Schienenstränge nebeneinander. Einer davon nahe der Bordsteinkante. „Ich war mit einem kleinen Fahrradanhänger unterwegs. So ein Curver auf zwei Rädern. Zum Glück ohne meine Kinder. Weil ich Angst hatte, damit in der Straßenmitte zu fahren, wollte ich auf den Bürgersteig wechseln. Dabei rutschte das Vorderrad auf den Schienen weg und schon lag ich auf der Nase.“

Zwei Fahrradunfälle am Weidkamp in Essen-Borbeck an einem Tag

Sandra Kollin-Zaremski aus Bottrop kam am 20. August mit dem Fahrrad samt Anhänger auf der Straße Weidkamp in Essen-Borbeck zu Fall, als sie über die Straßenbahnschienen auf den Bürgersteig wechseln wollte. Der Radweg auf der gegenüberliegenden Seite ist schon seit Jahren aufgehoben worden. Auch die Beschilderung wurde entfernt.
Sandra Kollin-Zaremski aus Bottrop kam am 20. August mit dem Fahrrad samt Anhänger auf der Straße Weidkamp in Essen-Borbeck zu Fall, als sie über die Straßenbahnschienen auf den Bürgersteig wechseln wollte. Der Radweg auf der gegenüberliegenden Seite ist schon seit Jahren aufgehoben worden. Auch die Beschilderung wurde entfernt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Zwei herbeigeeilte Angestellte des „Bürgerecks“ hätten ihr auf die Beine geholfen. Als der erste Schrecken überwunden war, rief Sandra Kollin-Zaremski ihren Mann an, damit er sie und das Fahrrad abholt. „Kaum war er vor Ort, ist eine ältere Dame fast an der gleichen Stelle gestürzt“, erklärt sie fassungslos. „Die haben wir dann nach Hause gebracht, weil sie auch aus Bottrop kommt.“

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Zwei Tage später ist Sandra Kollin-Zaremski wieder vor Ort. Diesmal chauffiert im Auto, denn aufs Rad kann sie momentan nicht mehr steigen. „Ich habe Fotos gemacht und wollte mich vergewissern, dass ich nichts falsch gemacht habe und vielleicht irgendetwas übersehen habe“, sagt sie. Dort fand sie Markierungen der Polizei am Unfallort, die jedoch von einem weiteren Vorfall vom Sonntag, 22. August, stammten. Wieder war eine Radfahrerin beteiligt. Die 58-Jährige war laut Polizei gegen 16 Uhr mit dem Rad in die Schienen geraten. Ein Krankenwagen war vor Ort.

Betroffene melden sich selten bei der Essener Polizei. Das verfälscht die Unfallstatistik

Die Polizei hat den Unfallort mit Leuchtfarbe markiert. Diese Zeichen stammen allerdings von einem weiteren Unfall, der sich nur zwei Tage später, am Sonntag, 22. August, nachmittags ereignete. Und wieder war eine Radfahrerin die Leidtragende, als sie wegen der Schienen zu Fall kam.
Die Polizei hat den Unfallort mit Leuchtfarbe markiert. Diese Zeichen stammen allerdings von einem weiteren Unfall, der sich nur zwei Tage später, am Sonntag, 22. August, nachmittags ereignete. Und wieder war eine Radfahrerin die Leidtragende, als sie wegen der Schienen zu Fall kam. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Thomas Reher, der seit mehr als fünf Jahren das „Bürgereck“ betreibt, ist nicht überrascht, ob so vieler Unfälle binnen so kurzer Zeit: „Das passiert hier dreimal am Tag. Mindestens.“ Der Gastronom sieht das Problem besonders darin, dass die meisten Unfälle nicht der Polizei gemeldet werden. „Wenn sich die Betroffenen nach ein paar Minuten wieder aufs Rad setzen können, dann ist der Fall für die meisten erledigt.“

Auch die beiden Unfälle am Freitag wurden nicht gemeldet. „Es ist ja niemand anderes zu Schaden gekommen“, sagt Sandra Kollin-Zaremski. „Und ich wollte auch möglichst schnell zu einem Arzt.“ Doch im Nachhinein ärgert sie sich, „denn so erfährt die Polizei nie, was sich hier täglich abspielt“.

Laut Polizei habe es am Weidkamp im Jahr 2019 vier Unfälle gegeben, im Jahr 2020 sieben weitere vergleichbare Stürze von Radfahrenden und in diesem Jahr bislang vier Vorfälle. Nie lag ein Verschulden Dritter vor, stets waren die Straßenbahnschienen der Auslöser für die Stürze. „Die Straßenbahn selbst war an keinem Unfall beteiligt“, sagt Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski.

Die Ruhrbahn Essen erfährt nichts von Fahrradunfällen im öffentlichen Raum

Der Ruhrbahn ist davon nichts bekannt: „Von Unfällen im öffentlichen Raum erfahren wir nichts“, so Ruhrbahn-Sprecherin Sylvia Neumann. Gleichwohl weist sie darauf hin, dass Schienen eine Rutschgefahr für Zweiradfahrer bedeuten können. „Doch derzeit gibt es keine wirksamen, zugelassenen Mittel auf dem Markt, um dies zu verhindern.“ Sie appelliert daher an die Radfahrenden, ihre Situation vorausschauend einzuschätzen und im Falle einer Unsicherheit das Rad besser zu schieben. Außerdem wolle die Ruhrbahn die Vorkommnisse am Weidkamp in die relevanten Stadtausschüsse einbringen, so Neumann weiter.

Fakt ist: Der Weidkamp gilt schon seit Jahren als Unfallschwerpunkt. Auf Geheiß der Unfallkommission wurde im Frühjahr dieses Jahres die parallel zum Weidkamp verlaufende Armstraße als Umfahrung der Straßenbahnschienen ausgeschildert. „Wenn man allerdings aus Richtung Weidkamp/Leimgardtsfeld kommt, muss der Weidkamp immer noch überquert werden“, moniert Kevin Kerber, stellvertretender Bezirksbürgermeister der BV IV.

Die Armstraße wird offenbar nur bedingt genutzt, aus welchen Gründen auch immer. „Auf dem Weidkamp sind jeden Tag etliche mit dem Rad unterwegs“, sagt auch „Bürgereck“-Wirt Thomas Reher. „Das erleben wir hier jeden Tag aufs Neue.“

Angesichts der jüngsten Ereignisse erklärt Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski: „Möglicherweise greifen die Maßnahmen nicht wie erhofft. Die Unfallkommission wird sich daher in der nächsten Sitzung erneut mit der Sachlage beschäftigen.“

Die Polizei bestimmt die Unfallschwerpunkte

Wann eine Stelle als Unfallhäufungsstelle gilt, ist durch Landeserlass definiert. Wenn mindestens drei Unfälle eines gleich gelagerten Unfalltyps mit entsprechend schweren Unfallfolgen (erheblicher Sachschaden, schwere oder leichte Verletzungen, Tod) in einem Jahr an einer Örtlichkeit auftreten, spricht man von einer Unfallhäufungsstelle. „Gleichgelagerte Unfälle wären zum Beispiel alle Unfälle, die sich während eines Abbiegevorgangs ereignen. Dabei spielt insbesondere die Schwere des Unfalls eine Rolle. Diese Feststellung wird durch die Polizei getroffen“, erklärt Stadtsprecher Patrick Opierzynski.

Wird eine Örtlichkeit als Unfallhäufungsstelle eingestuft, wird diese durch die Unfallkommission begutachtet. Diese besteht aus Mitgliedern der Verwaltung und der Polizei. Sollten bei dieser Begutachtung verkehrliche Mängel auffallen, trifft die Unfallkommission Beschlüsse, um diese Mängel dauerhaft zu beseitigen.