Essen. Der Abriss des RWE-Hochhauses in Essen läuft seit fast einem Jahr. Warum die Arbeiten so aufwendig sind, zeigt ein Besuch auf der Baustelle.
Joachim Wegner kommt mit seinem Fotoapparat seit Monaten jede Woche an die Huyssenallee und die Baedekerstraße. Hunderte Bilder hat er seither gemacht, die dokumentieren, wie das alte RWE-Hochhaus Stück für Stück, Etage für Etage, verschwindet. „Das ist schon beeindruckend“, sagt der Essener. Anfangs war über Monate nur das Gerüst mit den grauen Planen zu sehen. Doch seit einigen Wochen schrumpft das einst 90 Meter hohe, ypsilonförmige Gebäude zusehends.
Seit September vergangenen Jahres läuft der Abbruch. Das Hochhaus mit seinen 18 Etagen wird händisch abgetragen. Eine Sprengung war schon allein wegen der dichten Bebauung ringsum und der darunter verlaufenden U-Bahn nicht möglich.
Der Eigentümer Kölbl Kruse hat das Oberhausener Unternehmen BST Becker Sanierungstechnik damit beauftragt. Die Firma hat bereits Erfahrungen auf dem Gebiet. In Köln beispielsweise hat BST das Gebäude der Deutschen Welle mit einem 138 Meter hohen Turm abgetragen – es ist der bislang größte händische Hochhaus-Abriss in Europa.
Abriss RWE-Hochhaus: Das gesamte Abbruchmaterial wird getrennt
Das RWE-Gebäude in Essen reicht an diese Dimensionen zwar nicht heran. Aber die Arbeiten sind auch hier aufwendig. In den vergangenen Monaten wurde das Hochhaus komplett entkernt und quasi in seine Einzelteile zerlegt: Holz, Metalle und andere Baustoffe mussten sortiert und getrennt entsorgt werden. Vor allem die Asbestsanierung sei sehr herausfordernd gewesen, sagt Bauleiterin Sarah Sinnwell. Sie ist die Chefin der Baustelle.
A 40-Auffahrt noch länger gesperrt
Die Abbrucharbeiten am RWE-Hochhaus und den nebenliegenden Gebäuden entlang der Huyssenallee haben Anfang September 2020 begonnen. Ziel sei es, mit dem Abbruch bis Anfang 2022 fertig zu sein. Bis das Gelände komplett baureif ist, wird es aber wohl bis Sommer 2022 dauern. Wegen der Bauarbeiten musste aus Sicherheitsgründen auf der Kruppstraße auch die Auffahrt zur A 40 Richtung Dortmund gesperrt werden. Diese Sperrung wird wohl ebenfalls bis Frühjahr 2022 bestehen bleiben, erklärte Kölbl Kruse.
Seit einigen Wochen läuft der eigentliche Abriss. Langsam ruckelt der Bauaufzug an der Fassade entlang bis zur 15. Etage. Bis hier sind die Abbrucharbeiten in diesem Gebäudeteil vorangekommen, von hier oben ist man immer noch auf Augenhöhe mit dem alten Postscheckamt und dem Thyssenhaus. Die Philharmonie duckt sich am Boden. Genauso der Hauptbahnhof. Einen Steinwurf entfernt wächst das neue Wohnhochhaus an der Hyussenallee in die Höhe. Hier Abbruch, da Aufbau.
Sarah Sinnwell weist auf die breiten Furchen, die ein Abrissroboter in den Betonboden gestemmt hat. Mit Diamantsägen werden die Arbeiter hier später vertikale Stücke mit bis zu sieben Tonnen Gewicht heraustrennen, die der 100 Meter hohe Drehkran anschließend in die Tiefe zieht.
Beton wird klein gemahlen und recycelt
Etwa 14 Tage dauert es, bis eine Etage auf diese Weise abgetragen ist. „Wenn es gut läuft und das Wetter mitspielt“, schränkt Polier Marco Duesmann allerdings ein. Denn wenn Wind aufkommt, müssen die Arbeiten gestoppt werden. Alles andere wäre in dieser Höhe zu gefährlich. Auch der Winter ist herausfordernd gewesen. Bei Minustemperaturen waren die Wasserleitungen nach oben eingefroren. Sie braucht man, um den Staub aus der Luft zu waschen. Auch dadurch mussten die Arbeiten in der Höhe immer wieder ruhen.
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Der linke Gebäudeteil, vom Innenhof aus gesehen, ist mittlerweile schon bis auf die siebte Etage abgetragen, das nebenstehende achteckige Kasino ist fast gänzlich verschwunden. Die Lücke an dieser Stelle gibt den Blick auf die Kruppstraße und die unteren Etagen des Thyssenhauses frei. Ab dieser Höhe werden die Abbrucharbeiten einfacher. Ein Bagger mit seinem 35 Meter langem Arm und einer Art Greifzange am Ende knabbert sich in den Beton und bricht Stück für Stück aus dem Gebäude heraus. An den Betonkanten hängen die Stahlbewehrungen nur noch wie Gestrüpp heraus.
Schuttberge türmen sich vor dem Gebäude. Der Beton wird zerbröselt, pulverisiert und kann anschließend recycelt werden. Geschätzt 100.000 Tonnen werden dem Kreislauf so wieder zugeführt.
Essener sichern sich Erinnerungsstücke aus der Granitfassade
Das Ganze geht nicht ohne Staub und einen gewissen Lärmpegel. Regelmäßig werde die Belastung gemessen. Alles sei im Rahmen der Grenzwerte, versichert Sarah Sinnwell. Ein Gastronom aus der Nachbarschaft hat sich dennoch beschwert. „Da werden wir aber eine Lösung finden“, betont die Bauleiterin.
Der Energieriese RWE hatte das Hochhaus 1979/1980 als Erweiterung der Konzernzentrale errichtet. „Das Gebäude ist unheimlich massiv gebaut“, sagt Polier Marco Duesmann fast anerkennend, auch wenn den Arbeitern das jetzt zu schaffen macht. „Allein, was da an Bewehrungen und Beton verbaut wurde“. Auch die Fassade aus dicken Granitplatten würde heute so niemand mehr planen. Als Erinnerung haben sich einige Essener davon Stücke von der Baustelle geholt. Der große Rest wird mit dem Beton zermahlen und recycelt, weil den Granit niemand haben wollte, sagt Sarah Sinnwell.
Kölbl Kruse plant Büroneubau
40 Jahre nach seiner Fertigstellung wird das Gebäude bereits wieder abgerissen und wird eine Lücke in der Hochhaussilhouette hinterlassen. Nicht jeder hat Verständnis dafür. Doch Kölbl Kruse hat sich für einen Büro-Neubau auf dem Gelände entschieden. Die Deckenhöhen, der Zuschnitt, die Technik waren im Hochhaus nicht mehr zeitgemäß. Eine Sanierung wäre mindestens genauso teuer gekommen, sagt Sprecherin Bea Steindor. Kein Mieter aber wäre wohl bereit gewesen, entsprechende Mietpreise zu bezahlen. Ein Neubau habe zudem den Vorteil, dass man diesen maßgeschneidert für die Kunden anbieten kann.
Seitdem der Vertrag mit Innogy vor drei Jahren geplatzt ist, hat Kölbl Kruse offiziell noch keinen Mieter wieder präsentiert. „Wir sind in intensiven Gesprächen mit Nutzern. Das Interesse ist groß“, sagt Bea Steindor.
Hobbyfotograf Joachim Wegner hat seine Aufnahmen für diesen Tag im Kasten. Ob er das Hochhaus vermissen wird, wenn es bis spätestens zum Frühjahr 2022 ganz weg sein wird? „Es kommt darauf an, was dann Neues kommt. Ich bin jedenfalls gespannt“, sagt er.