Essen.. Der Vermessungsingenieur Friedrich Koch baute am RWE-Hochhaus Huyssenallee mit. Er ist fassungslos, dass das Gebäude abgerissen werden soll.
Essens Planungsdezernent Hans-Jürgen Best gehört nicht zu denen, die dem ypsilonförmigen RWE-Hochhaus an der Huyssenallee eine Träne nachweinen, wenn es einst abgerissen ist. „Es gibt Gebäude, die niemand vermisst, wenn sie weg sind“, sagt Best gerade heraus. Die Pläne des Eigentümers Kölbl Kruse stehen: 2020 soll das 19-stöckige Gebäude samt Nebenbau dem neuen Innogy-Campus weichen.
Der Essener Bürger Friedrich Koch dagegen findet: „Das ist ein toller Bau und prägt die Skyline der Stadt.“ Noch dazu, dass man ein nicht mal 40 Jahre altes Gebäude einfach platt mache. „Das ist eine Verschwendung von Ressourcen“, meint der 71-Jährige. Friedrich Koch steht mit dieser Meinung zwar längst nicht allein da. Allerdings hat er ein besonderes Verhältnis zu dem Hochhaus, das RWE 1980 als Erweiterung seiner Hauptverwaltung eröffnete. Friedrich Koch baute an dem Komplex mit, der später halb ehrfürchtig, halb spöttisch „Wattikan“ genannt wurde. Zu Baubeginn 1975 war er 29 Jahre jung und bei Hochtief als Vermessungsingenieur angestellt. Es war in seinem noch kurzen Berufsleben die erste Hochbaustelle, und es sollte auch die einzige sein, die ihm derart im Gedächtnis geblieben ist. „Ich war 35 Jahre lang auf Baustellen, aber das war meine extremste.“
Höchste Qualitätsansprüche
RWE habe damals höchste Präzision verlangt und dieselben Qualitätsansprüche an ein Bürogebäude gestellt wie beim hochsensiblen Kraftwerksbau. Entsprechend waren die Anforderungen an Hochtief: „Wir haben fünf Messtrupps eingesetzt, um die Genauigkeit zu garantieren. Normal wären zwei bis drei gewesen. Ein irrer Aufwand“, erzählt Friedrich Koch. Nach jeder Etage musste neu vermessen werden, denn die Schalung durfte nur wenige Millimeter von den Plänen abweichen. „Da ist viel Kraft und Geld reingeflossen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine Sanierung nicht wirtschaftlich sein soll“, sagt er und verweist unter anderem auf die hochwertige Natursteinfassade, die heute so nicht mehr erschwinglich wäre. „Ich bin einigermaßen fassungslos, dass es nun doch Wirklichkeit werden soll, dass das Hochhaus abgerissen wird. Mir blutet das Herz“, sagt Friedrich Koch, als sein Blick über die hellgraue Fassade nach oben wandert. Gerade hier, an der Ecke zur Freiheit werde etwas fehlen.
Dabei hatte RWE an dieser Stelle zunächst gar kein Haus dieser Höhe geplant. Als sich der Vorstand 1972 auf die Erweiterung seiner Hauptverwaltung verständigte, setzte sich der Entwurf des Architekten Hanns Dustmann durch. Dustmann hatte bereits das nebenstehende Hochhaus entworfen, wo die Hauptverwaltung seit 1961 saß. Seine Pläne für die Erweiterung zeigen an der Huyssenallee nur ein elfstöckiges Haus und den Verbindungsbau zur Kruppstraße 5 mit dem zentralen Oktogon, wo die Kantine untergebracht werden sollte.
Das Modell stellte RWE den Mitarbeitern 1975 in seiner Werkzeitschrift „RWE Verbund“ vor. Dort heißt es aber bereits, dass das Gebäude später um weitere acht Etagen aufgestockt werden könnte. Konkrete Pläne gab es zu diesem Zeitpunkt aber offensichtlich nicht. Doch bereits im Laufe des vierjährigen Baus muss die RWE-Führung entschieden haben, den Bau auf 19 Etagen zu ziehen. Friedrich Koch glaubt, den Grund dafür zu kennen: RWE hatte die Sorge, den Naturstein der Fassade später nicht mehr zu bekommen.
Ursprünglich nur neun Etagen
RWE kleckerte nicht, sondern klotzte. Die 1970er – es war die Zeit, als der Konzern Milliarden in neue Kraftwerke investierte, das Atomzeitalter Schwung aufnahm, das AKW Biblis ans Netz ging und die Klein-Anleger noch Freude an ihren RWE-Aktien hatten: Die 50-DM-Aktie brachte damals im Schnitt satte acht Markt Dividende. Von Wettbewerb auf dem Strommarkt sprach niemand.
Kurz: Es waren gute Zeiten fürs RWE, das kräftig wuchs und somit auch die Belegschaft. Die Hauptverwaltung an der Kruppstraße war nur für 650 Mitarbeiter ausgelegt. Schon zehn Jahre später arbeiteten in der Verwaltung aber 1100 Menschen. Ganze Abteilungen waren außerhalb untergebracht – verteilt auf 16 Gebäude in der Stadt. Und die internen Prognosen besagten, dass es im Jahr 1990 wohl rund 1750 Mitarbeiter sein würden. Heute, 40 Jahre später, sind die goldenen Zeiten vorbei, der Konzern leidet unter der Energiewende und muss sich neue Geschäftsfelder suchen.
Nicht zuletzt deshalb spaltete sich RWE vergangenes Jahr in Innogy und RWE auf – das auch räumlich: Die „alte“ RWE, die noch an der Huyssenallee 2 sitzt, zieht bis 2020 an die Altenessener Straße. Und Innogy will bis 2024 den runden Turm am Opernplatz verlassen und den neuen Campus an der Huyssenallee nutzen.
Hochhauspläne hat Innogy dort keine mehr. Landmarken, so betonte Innogy-Chef Peter Terium, könne man sich nicht mehr leisten. Die neue Bescheidenheit soll sich auch im neuen Quartier ausdrücken, wo die Gebäude nur noch acht Etagen in die Höhe wachsen. Nur die alte Hauptverwaltung an der Kruppstraße bleibt, weil sie unter Denkmalschutz gestellt wird.
Zur Frage von Friedrich Koch, warum sich nicht auch das Y-Hochhaus sanieren und in den Campus integrieren lässt, sagt eine Sprecherin von Kölbl Kruse nur: „Wir möchten uns nicht auf Diskussionen einlassen.“ Bei RWE hieß es vor einiger Zeit, die Immobilie entspreche nicht mehr den modernen Anforderungen an ein Bürohaus – weder räumlich noch energetisch. Friedrich Koch überzeugt das wohl nicht.