Essen. Die geplante Dritt-Impfung stößt bei Essener Senioren auf großes Interesse. Die Pflegeheime wissen, warum die alten Menschen so impfwillig sind.
Während Ärzte und Politik mit Sorge eine wachsende Impfmüdigkeit beobachten, warten viele ältere Menschen offenbar sehnsüchtig auf die Dritt-Impfung gegen Corona. Essener Pflegeeinrichtungen berichten von einer großen Nachfrage bei den betagten Bewohner, die zu Jahresanfang als Erste geimpft wurden. „Es wird diesmal wieder große mobile Impfaktionen geben“, verspricht Gesundheitsdezernent Peter Renzel.
Für weitere Details sei es noch zu früh, da müsse die Stadt erst einen entsprechenden Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums abwarten, sagt Renzel. Er sei aber sicher, dass er auch nach der für Ende September vorgesehenen Schließung des Impfzentrums in der Messe auf das Team setzen könne.
Neue mobile Impfeinsätze in Pflegeheimen möglich
Der Ärztliche Leiter des Zentrums, Stefan Steinmetz, verzeichnet ein reges Interesse an dem Thema, seit die Gesundheitsminister von Bund und Ländern am Montag die Dritt-Impfung vor allem für ältere Menschen und Risikogruppen für September ankündigten. „Viele niedergelassene Ärzte rufen mich an, um zu erfahren, wie wir jetzt vorgehen.“ Sie setzten darauf, die Auffrischungs-Impfungen in Zusammenarbeit mit dem Impfzentrum zu erledigen. „Ich warne daher davor, die bestehende Infrastruktur abzubauen, so lange wir noch neue Aufgaben haben“, sagt Steinmetz zu Vorschlägen, die kostspieligen Impfzentren zügig vom Netz zu nehmen.
Bei der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen (GSE), die sieben Seniorenheime mit insgesamt rund 700 Plätzen betreibt, setzt man auf Steinmetz und sein Team, sagt Prokuristin Katja Seel. „Die Bewohner haben in der Zeitung von der Impfung gelesen und fragen schon bei den Pflegekräften nach.“ Ein mobiler Impfeinsatz vor Ort würde sich gewiss lohnen: Das Interesse sei hoch.
Corona-Infektionen bei Geimpften zufällig entdeckt
Das liege auch daran, dass die alten Menschen die mit dem Lockdown verbundene Abschottung der Heime als äußerst bedrückend erlebten und die Rückkehr zur Normalität sehr schätzten. Dabei habe es sogar vereinzelte Ansteckungen mit der Delta-Variante gegeben, meist zufällig bei einem Test entdeckt, sagt Katja Seel. Die Betroffenen hätten keine Symptome gehabt oder die Krankheit sei wie eine Grippe verlaufen: „Für uns ist die Impfung daher der richtige Weg.“
Gereon Unnebrink, Referatsleiter Pflegeheime bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo), sieht es ähnlich: „Die Impfung schützt.“ Zusammen mit einem strengen Hygienekonzept, auf das alle Träger weiterhin setzen. Auch unter den 670 Bewohnern der Awo-Heime habe es zuletzt noch Coronainfektionen gegeben: Zufallsbefunde mit unauffälligen Verläufen. Ein Segen nach dem grausamen Winter, in dem binnen acht Wochen 40 Bewohner starben. „Dann kam der Impfstoff, gerade rechtzeitig“, sagt Unnebrink. Er machte dem Sterben und der auch für das Pflegepersonal belastenden Zeit ein Ende. Die Impfquote liege weit über 90 Prozent, und die Impfbereitschaft ist hier ungebrochen. „Mich ärgert, dass so viele jüngere Menschen nicht zur Impfung gehen, die nehmen Corona offenbar immer noch nicht ernst.“
Dritte Impfung soll es ab September geben
Ab September sollen gefährdete Gruppen wie Menschen mit Immunschwäche, Pflegebedürftige und Hochbetagte ein weiteres Mal geimpft werden. Das haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern am Montag (2. August) entschieden. In Pflegeheimen sollen mobile Teams die Impfung übernehmen, wer zu Hause wohnt, soll sich beim behandelnden Arzt impfen lassen.
Neben den Risikogruppen sollen auch diejenigen, die bisher mit Vektor-Impfstoffen (Astrazeneca, Johnson & Johnson) geimpft wurden, mit einem mRNA-Vakzin nachgeimpft werden.
Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gibt es für die Dritt-Impfung noch nicht: Das beim Robert-Koch-Institut angesiedelte Gremium sagt, es fehle noch eine ausreichende Datengrundlage.
Anders als die alten Menschen, die sich schon früh nach einer Auffrischungs-Impfung erkundigt hätten, wie Unnebrinks Kollegin Nicole Müller erzählt, die bei der Awo die Wohnanlagen für Senioren betreut. „Beim ersten Mal hatten wir eine Impfaktion im Gemeinschaftsraum, das haben die Menschen als Geschenk empfunden.“ Nun da genügend Impfstoff vorhanden sei, könnten die noch allein lebenden Senioren vermutlich auch zum Hausarzt gehen. „Sie fragen schon, wann es losgeht.“
Lockdown war für viele Senioren eine Katastrophe
Bei der Contilia wartet man noch auf das Startsignal aus der Politik, beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Essen kann man sich vorstellen, die Dritt-Impfungen mit den niedergelassenen Ärzten zu organisieren, die ohnehin regelmäßig in den Häusern seien, wie der DRK-Vorstandsvorsitzende Frank Dohna erklärt. Auch er erklärt sich die hohe Impfbereitschaft der Senioren mit dem Lockdown, den viele als Katastrophe erlebt hätten. Er erinnere sich an eine alte Dame, die in Tränen ausbrach, als ihr Urenkelchen zu ihr hochgehoben wurde – draußen vor dem Fenster. „Solche Szenen möchten wir nicht mehr erleben.“