Essen. Bewohner von Seniorenheimen wollen sich fast alle impfen lassen. Beim Personal ist die Impfbereitschaft aus Sorge vor Nebenwirkungen ganz anders.
Zum Auftakt der Impfaktion in Essener Seniorenheimen zeichnet sich ab, dass die Impfbereitschaft der Bewohner deutlich höher ist als die des Personals. Bei der Premiere in Haus Berge am Sonntag ließen sich beispielsweise 102 von 108 Bewohnern impfen, aber nur 60 Prozent der Belegschaft, wie die Contilia als Träger der Einrichtung mitteilt. Auch andernorts wurde eine größere Zurückhaltung des Personals beobachtet.
Man müsse dabei berücksichtigen, dass beim Impfstart am Sonntag (27. Dezember 2020) im Frühdienst nur ein Teil der Belegschaft im Dienst gewesen sei. "Weitere Mitarbeiter werden sich sicherlich in den kommenden Tagen in den Impfzentren der Stadt impfen lassen", erklärt die Contilia Pflege und Betreuung. Geschäftsführer Heinz-Jürgen Heiske habe den ersten Impf-Tag im Haus Berge sowie in zwei Mülheimer Heimen begleitet und dabei Stimmen und Stimmungen aus der Belegschaft eingefangen.
Manche Pflegekräfte fürchten gesundheitliche Schäden durch die Impfung
„Es gibt durchaus unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Impfstoff unter den Mitarbeitern, auch Skepsis. Manch einer möchte noch etwas warten, um eventuelle Risiken besser abschätzen zu können", sagt Heiske. Auch unter denjenigen, die sich impfen ließen, habe es Verunsicherung gegeben. "Ich muss ja vertrauen", sei ihre Haltung gewesen. Andere Pflegekräfte seien froh, endlich eine Impfung zu erhalten. "Sie fühlen sich dadurch sicherer – für sich selbst, für ihre Verwandten und insbesondere in ihrem Beruf, in dem sie mit Menschen der größten Risikogruppe, den Senioren, tagtäglich eng zusammen sind."
Markus Kampling, der das Seniorenzentrum St. Martin in Rüttenscheid leitet, erlebt bei seinem Team dagegen erhebliche Bedenken gegen das Vakzin. Aus Sicht der Pflegekräfte seien Fragen zur Zusammensetzung unbeantwortet geblieben, sie fürchteten darum gesundheitliche Schäden. Daher wolle sich nur etwa die Hälfte der 80 Mitarbeiter impfen lassen, während die Quote bei den 102 Bewohnern bei fast 100 Prozent liege. Kampling hat in den vergangenen Tagen in vielen Gesprächen versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten. Er hoffe, dass die Einsicht in die "Notwendigkeit der Impfaktion" zunehme.
Hausärzte und Betreuer wurden an den Feiertagen schlecht erreicht
Manche Mitarbeiter wollten vor der Impfung erst einmal Rücksprache mit ihrem Hausarzt nehmen, sagt der Leiter der Mundus Seniorenresidenz, Peter Berkelmann. Über die Feiertage hätten sie nicht klären können, inwieweit etwa Vorerkrankungen ein Problem darstellen können. Daher lehnten sie eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt ab. Auch Jörg Tomann, der das Waldthausen-Stift leitet, glaubt, dass die finale Information über die Impfaktion zu kurzfristig erfolgt sei. Im übrigen habe man auf die Schnelle auch für viele Senioren keine Einverständniserklärungen ihrer Betreuer einholen können, erklären Berkelmann und Tomann unisono.
Am Dienstag (29. Dezember) wird in weiteren 14 Senioreneinrichtungen in Essen geimpft. Mit welcher Teilnahme man dort rechnen könne, lasse sich im Vorfeld noch nicht abschätzen, sagt Gesundheitsdezernent Peter Renzel. Im Seniorenheim Haus St. Augustinus in Heidhausen, das Dienstag mit an der Reihe sein wird, hat Leiter Klaus Sander bereits eine über 90-prozentige Impfbereitschaft bei den Bewohnern ermittelt. Von 110 in Frage kommenden Mitarbeitern würden sich etwa zwei Drittel impfen lassen. "Ich hätte mir durchaus noch mehr vorstellen können", sagt Sander. Er gehe aber davon aus, dass im Laufe der Zeit weitere Mitarbeiter folgen würden.
"Wer den Krieg erlebt hat, hat keine Angst vor einer Impfung"
Auch der Geschäftsführer der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen (GSE) hat eine unterschiedlich ausgeprägte Impfbereitschaft festgestellt: "Von unseren Mitarbeitern wollen sich 75 bis 80 Prozent impfen lassen. Bei den Senioren sind es sogar 95 bis 100 Prozent", sagt Heribert Piel. Er sei aber mit beiden Quoten sehr zufrieden und hoffe, dass die GSE noch in dieser Woche mit Impfstoff beliefert werde und mit den Impfungen beginnen könne. Der städtische Träger hat sieben Heime mit rund 730 Plätzen. "In mindestens drei Einrichtungen stehen wir Gewehr bei Fuß und können dort rund 400 Personen sofort durchimpfen lassen."
Piel hat den Eindruck, dass auch die wenigen zögerlichen Mitarbeiter nicht unbedingt strikte Impfgegner seien. Vielmehr hätten sie wohl ein gewisses Unbehagen, weil der Impfstoff noch völlig neu sei: "Die wollen nicht die allerersten sein." Bei den Senioren gebe es solche Bedenken nicht: Eine Generation, die noch den Krieg erlebt habe, habe keine Angst vor einer Impfung. Außerdem stelle eine Corona-Infektion für die alten Menschen in aller Regel eine deutlich größere Gefahr dar: "Für sie geht es um Leben und Tod."
DRK will in einem Rundbrief für das Impfen werben
Beim Diakoniewerk Essen beobachtet man eine allgemein hohe Bereitschaft: Die überwiegende Mehrheit werde sich impfen lassen. Einige Einrichtungen warten unterdessen noch auf einen Termin für die Impfungen. So heißt es im St. Josefshaus in Kettwig: „Wir haben noch nichts gehört von der Stadt, sind aber auf alles vorbereitet.“ Derzeit frage man bei den Mitarbeitern ab, wer sich impfen lassen wolle. Eine solche Abfrage läuft aktuell auch im Otto-Hue-Haus der Arbeiterwohlfahrt, es zeichne sich bereits ab, dass sich mehr als 60 Prozent der Mitarbeiter impfen lassen, sagt Leiterin Anja Lohbeck.
Rund die Hälfte des 130-köpfigen Teams sind es im DRK-Heim an der Henri-Dunant-Straße in Rüttenscheid. Manche wollten erst die zweite oder dritte Impf-Runde abwarten, sagt Leiter Gerhart Claßen, einige wenige lehnten das Impfen grundsätzlich ab. Das Heim mit den 184 Bewohnern wird als erstes Haus des Deutschen Roten Kreuzes in Essen an diesem Dienstag (29.12.) an der Impf-Aktion teilnehmen. Der Vorstandsvorsitzende des DRK-Kreisverbandes, Frank Dohna, wirbt für die Teilnahme, auch um größere Ausfälle beim Pflegepersonal zu verhindern: "Es ist natürlich eine individuelle Entscheidung aber wir würden es auf jeden Fall empfehlen. Schließlich ist uns die Gesunderhaltung unserer Belegschaft wichtig." Man werde die Mitarbeiter nun in einem Rundschreiben bitten, sich impfen zu lassen.
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