Essen. WM 2022 in Katar? Nicht mit Thomas Siepmann. Warum der Essener Public-Viewing-Chef nach dem EM-Rudelgucken auf das nächste Turnier verzichtet.
Nach der EM ist vor der WM, so will es das Turnierplan-Gesetz. Zumindest in Essen gilt das nicht für Public-Viewing-Veranstalter Thomas Siepmann. Nach dem EM-Aus der deutschen Nationalmannschaft gegen England verkündete er, dass er die WM 2022 in Katar nicht zeigen werde. „Diese WM ist erstunken und erlogen“, sagt er einen Tag später. Diesen WM-Konsum werde er nicht unterstützen. Es wird das erste Turnier seit 2006 sein, bei dem Siepmann in Essen kein Public Viewing auf die Beine stellen wird.
„Irgendwelche Stadien in die Wüste zu setzen: Das ist nachhaltig wie eine Plastiktüte.“ Die schlimmen Arbeitsbedingungen der Arbeiter, die die Arenen bauen, hat er ebenfalls im Kopf. Kritiker halten dem WM-Gastgeber Menschenrechtsverletzungen vor, laut dem britischen Guardian sollen 6500 Arbeiter seit der Vergabe der WM vor elf Jahren in Katar gestorben sein.
Veranstalter geht es auch im Glaubwürdigkeit
Es geht Thomas Siepmann bei seiner Boykott-Entscheidung sicherlich auch um Glaubwürdigkeit. Schließlich ist er Initiator der „11 Freunde Bar“ in Rüttenscheid gewesen, die sich als „Heimat des ehrlichen Fußballs“ versteht. Die Fußballschuhe hatte er persönlich 2017 symbolisch an die Wand gehängt und die Fankneipe in andere Hände gegeben. 2005 hatte er sie als Ideengeber aufgezogen.
Auch interessant
Es schwingt viel Fußballromantik in seiner Stimme mit, wenn er die Absage des Rudelguckens im Jahr 2022 begründet. Den Entschluss hat er nicht erst nach dem Achtelfinal-Aus spontan gefasst, sondern wohlüberlegt bereits seit längerer Zeit.
Eingestiegen ins Public-Viewing-Geschäft ist Siepmann bei der Heim-WM. Damals, 2006, hatte er begonnen, das erste Rudelgucken im großen Stil in Essen zu organisieren. Seitdem gehört das gemeinsame Fußballerlebnis vor der Leinwand bei großen Turnieren auch in Essen einfach dazu. „2006 sind wir mit 1000 Leuten gestartet“, sagt Siepmann, „2008 zur Europameisterschaft waren es in der Halle 6 der Messe 20.000 Leute.“
‘Ausverkauft’ bedeutete bei dieser EM: 1000 Zuschauer
Von solchen Dimensionen ist man bei der aktuellen Europameisterschaft weit entfernt gewesen. Einmal war die Veranstaltung im Grugapark mit 1000 Fans ausverkauft – beim deutschen Achtelfinale-Aus am Dienstagabend. Bei den Vorrundenspielen der deutschen Elf waren jeweils so „700- bis 900 Leute gewesen“, sagt Siepmann.
Viel Geld zu verdienen gab es in Anbetracht des frühen Ausscheidens der Nationalmannschaft nicht, der Veranstalter fasst das so zusammen: „Es ist eine schwarze Null, wir haben Spaß gehabt.“ Erst hinten raus hätte man Geld verdienen können, wenn zu einem möglichen Halb- oder Finale noch mehr Fans in den Grugapark gekommen wären. Dann hätten die Veranstalter die Fläche erweitert – zwar wäre man im Musikpavillon geblieben, hätte aber zusätzlich auch auf der Kranichwiese ein Public Viewing organisiert.
Auch interessant
Es gab aber nicht „so den immensen Nachfrage-Druck“, sagt Siepmann, weswegen man sich dann entschieden hätte nur im Musikpavillon zu bleiben. Grund dafür sei neben dem „sportlichen Offenbarungseid“ natürlich die Corona-Pandemie gewesen. An Covid war der Chef der großen Essener Marketingagentur TAS im vergangenen Jahr übrigens selbst schwer erkrankt.
Oft habe er zur Europameisterschaft gehört, dass Leute kommen würden, sobald sie die Zweitimpfung hinter sich hätten. Und die generelle Impfquote wäre mit einem besseren und somit längeren Turnierverlauf der deutschen Elf gestiegen – denn nur deren Spiele wurden im Musikpavillon gezeigt.
Rudelgucken in 2024 wieder ohne die „Schwere“?
Mit der Organisation ist Siepmann aus Veranstaltersicht trotzdem zufrieden: „Der Musikpavillon hat sich sehr gut geeignet.“ Die Location war überdacht, was nach dem Achtelfinale und einem Gewitter von Vorteil war. „Trotzdem war man draußen“, so Siepmann. Er spricht von dem diesjährigen Public Viewing als „Experiment“ – das nicht nur in Essen wahrgenommen wurde. Groß sei auch das überregionale Medieninteresse am Rudelgucken im Grugapark gewesen, denn mit einer erlaubten Zuschauerzahl gehörte das Essener-Biergarten-Public-Viewing zu den größten Veranstaltungen seiner Art in Deutschland.
Und so blickt Siepmann nun auf die nächste Europameisterschaft in 2024, wenn er an sein nächstes Public Viewing denkt: „Dann schauen wir Fußball hoffentlich wieder ohne Mundschutz und die Schwere.“