Essen-Karnap. Denis Gollan möchte an ehemalige Geschäfte in Essen-Karnap erinnern. Sein Fazit: „Die Traditionsgeschäfte sterben aus.“ Ein Spaziergang.

Mehr Arbeitsplätze als Einwohner: Das zeichnete Karnap einst aus. Doch dies änderte sich mit dem Niedergang des Bergbaus. Ab den 1960er Jahren sind in einem knappen Jahrzehnt über 6000 Arbeitsplätze verloren gegangen – mit drastischen Folgen für Essens nördlichsten Stadtteil.

Wirte, Modehändler, Bäcker und Imbissbetreiber gaben ihre Geschäfte auf, an die Denis Gollan nun erinnern möchte. Der 29-Jährige ist im Stadtteil aufgewachsen und arbeitet dessen Geschichte auf. Neubauten und Abrisse dokumentiert er seit 2014 auf seiner Facebook-Seite „Karnap im Wandel“. Dort geht seit Anfang des Jahres im Projekt „Im Herzen von Karnap“ einmal wöchentlich ausschließlich um ehemalige Betriebe und Läden.

Karnaper will an ehemalige Geschäfte erinnern

Gollan opfere seine Freizeit gern für die Erinnerungsarbeit, weil er sich zum einen sehr für die Geschichte seines Stadtteils interessiere. Zum anderen würden ihn die Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger antreiben:

„Vor allem die älteren Leute freuen sich über das Projekt. Sie können so sehen, wie der Stadtteil sich entwickelt, obwohl sie selbst nicht mehr so oft vor die Tür gehen können. Mit verschränkten Armen steht Gollan an der Karnaper Straße 114. Im Schaufenster hinter ihm machen Werbeslogan auf das neu eröffnete Steuerbüro aufmerksam.

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„An dieser Hausnummer erkennt man ganz gut den Wandel, den der ganze Stadtteil durchgemacht hat. Hier war früher die Fleischerei Werner, die kannte jeder. Hier haben die Karnaper eingekauft, bevor die großen Discounter kamen. Ich weiß noch, dass ich als Kind immer eine Fleischwurst an der Theke geschenkt bekommen habe, wenn ich mit meiner Oma einkaufen war“, sagt Gollan. An dieser Tradition hat sich bis heute für Kinder nichts geändert, nur jene Fleischerei ist nicht mehr dort.

Denis Gollan: „Die Traditionsgeschäfte sterben aus.“

Viele Fleischereien, Handwerksgeschäfte, Modeläden und Schuhgeschäfte seien in Karnap mittlerweile geschlossen worden. Entweder aus Altersgründen oder weil die Konkurrenz durch die großen Discounter-Ketten den lokalen Einzelhändlern keine Chance ließen, so Gollan: „Die Traditionsgeschäfte sterben aus.“

Umso mehr freue er sich darüber, dass sich die Gaststätte „Alt Carnap“ direkt neben dem Steuerbüro gehalten hat. Gollan läuft die Karnaper Straße weiter Richtung Süden entlang, geht vorbei an zwei Dönerläden und einer türkischen Bäckerei. „Imbisse haben wir hier sehr viele. Genauso wie ausländische Lebensmittelläden.“

Wo früher Schuhgeschäfte, Mode- und Blumenläden waren, eröffnen heute Friseure, Dönerbuden und ausländische Lebensmittelläden.
Wo früher Schuhgeschäfte, Mode- und Blumenläden waren, eröffnen heute Friseure, Dönerbuden und ausländische Lebensmittelläden. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ehemaliger Eisdielenbesitzer aus Karnap meldete sich bei Gollan

An der Hausnummer 104 macht er plötzlich Halt und blickt durch das Schaufenster, in dem prunkvolle Kronleuchter und Lampen ausgestellt sind. „Das war mal das Schuhgeschäft Hülsdünker. Hier habe ich früher meine Fußballschuhe gekauft. Das sind Erinnerungen, die für immer bleiben. Und nebenan war Spirituosen Timm.“

Die vorbeirauschende U-Bahn reißt ihn aus seiner Erinnerung – und lässt ihn an ein anderes Geschäft denken: Das Eis-Café Tegener an der Karnaper Straße 122. „Der ehemalige Eisdielenbesitzer hat sich über Facebook bei mir gemeldet. Auf Italienisch. Er hat sein Geschäft mit dem Bau der U-Bahn zugemacht, also Ende der 1990er Jahre. Die Umbaukosten waren ihm zu hoch und er hatte Angst, dass wegen des Lärms weniger Kunden kommen würde. Er ist dann zurück nach Italien gegangen.“

Erinnerungsprojekt umfasst bereits 186 ehemalige Geschäfte und Betriebe

Dass sich die Betreiber selbst bei ihm melden, komme eher selten vor. Seine Informationen habe Gollan hauptsächlich vom Durchforsten alter Zeitschriften und Werbeanzeigen, die bis in die 1930er Jahre zurückreichen. 186 ehemalige Geschäfte hat er mittlerweile zusammengetragen, sammelt ihren Namen, die Adresse und Informationen über die Inhaber in einer Excel-Tabelle.

Diese öffnet er während des Spaziergangs durch den Stadtteil immer mal wieder auf seinem Smartphone. Vor der „Neuen Mitte“ biegt er links ab zum Marktplatz. „Hier war früher das Modegeschäft Telgenbrok. Heute muss man nach Altenessen ins Allee Center oder in die Innenstadt zum Limbecker Platz fahren, wenn man shoppen gehen möchte.“

Im Herzen von Karnap

Denis Gollan, der sich zuletzt gegen die Vermüllung des Stadtteils und für das Essener Bürger-Bündnis eingesetzt hatte, möchte mit dem Projekt „Im Herzen von Karnap“ ein Archiv erstellen und Erinnerungen aufleben lassen.

Wer etwas dazu beitragen kann, kann Fotos, Artikel, Werbeanzeigen oder Geschichten entweder über die Facebook-Seite „Karnap im Wandel“ mitteilen oder per E-Mail an karnap-im-wandel@t-online.de schicken.

Denis Gollan: „Ich fühle mich hilflos.“

Sein Fazit fällt ernüchternd aus: „Insgesamt entwickelt sich der Stadtteil zum Negativen.“ Während des Spaziergangs deutet er immer wieder in Seitenstraßen oder Hinterhöfe, in denen sich der Müll sammelt. Dennoch lebe er gerne in Karnap und könne sich nicht vorstellen wegzuziehen, wie viele „Alteingesessene“ es bereits getan hätten: „Hier ist meine Heimat.“

Für Gollan ist Karnap „das grüne Herz des Essener Nordens“. Er schätze außerdem die gute Anbindung an die Autobahnen. Aber für den 29-Jährigen stehe fest, dass sich etwas tun muss: „Ich fühle mich hilflos. Es gibt viele Ideen, vor allem um die Sport- und Freizeitgestaltung attraktiver zu machen. Aber dafür muss man viel Geld investieren und das passiert ja meistens nicht im Norden“, sagt Gollan, als er nach dem Rundgang wieder an der Karnaper Straße 114 ankommt.