Essen. Aktive schmeißen die Brocken hin. Ein Ratsherr und seine Schwägerin arbeiten in der Geschäftsstelle. Beim Essener Bürgerbündnis herrscht Unruhe.

Es ist ein Kommen und Gehen beim Essener Bürgerbündnis (EBB): Gerade erst vermeldete die Wählergemeinschaft personelle Verstärkung durch einen ehemaligen CDU-Ratsherren. Mit Siegfried Brandenburg freue sich das EBB über einen „Vollblutpolitiker“, jubilierte EBB-Fraktionsschef Kai Hemsteeg in einer Mitteilung an die Presse. Die Freude ist noch nicht verflogen, da wird bekannt, dass fünf Mitglieder die Brocken aus Verärgerung hingeworfen haben.

Es handelt sich um Mitstreiter aus der zweiten und dritten Reihe, allesamt aus dem Essener Norden. Darunter Friedel Frentrop, der das Bürgerbündnis im zwölften Jahr in der Bezirksvertretung V Altenessen, Vogelheim und Karnap vertritt. Und noch einer spielt in diesem Theater eine Rolle. Einer, der eigentlich längst von der Bühne abgetreten ist: Udo Bayer, Gründervater und für so manche immer noch graue Eminenz beim EBB.

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Anstoß des Ärgers: Die inzwischen abtrünnig geworden EBBler, die sich selbst als „BV/V-Team“ bezeichnen, hatten angekündigt, dass einer aus ihrem Kreis bei der bevorstehenden Mitgliederversammlung für den stellvertretenden Vorsitz kandidieren werde: Dennis Gollan, der Öffentlichkeit bekannt als Gründer einer Karnaper Initiative, die gegen die Vermüllung des Stadtteils mobil macht.

Zwei weitere Mitstreiter würden sich als Beisitzer bewerben. Ihren Anspruch auf die Vorstandsposten begründen die Absender mit dem Abschneiden bei der Kommunalwahl im Bezirk V, wo sie das mit Abstand beste Ergebnis für das Bürgerbündnis eingefahren hätten.

Zieht EBB-Gründer Udo Bayer beim Bürgerbündnis im Hintergrund die Fäden?

Udo Bayer (l.) und Friedel Frentrop am Tag der Kommunalwahl 2020.
Udo Bayer (l.) und Friedel Frentrop am Tag der Kommunalwahl 2020. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Bald darauf erhielt Gollan einen Anruf von Udo Bayer. Dieser habe versucht Gollan von einer Kandidatur abzubringen – mangels Erfolgsaussichten. So steht es in einem Schreiben an den Vorstand und die Fraktion zu lesen, in dem das „BV/V Team“ die Frage aufwirft, in welcher Funktion Bayer da eigentlich aktiv geworden sei und eine öffentliche Entschuldigung des ehemaligen EBB-Chefs einfordert.

Mischt Bayer, der sich 2017 aus der Kommunalpolitik zurückgezogen hat und inzwischen in Bonn lebt, beim EBB noch immer munter mit? Als Bayer noch in Amt und Würden war, sprachen Spötter von der „Udokratie“. Zieht er heute im Hintergrund gar die Fäden? Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Vorwurf laut wird.

Stephan Duda, der im vergangenen Jahr von der SPD zum Bürgerbündnis gewechselt war und bei der Kommunalwahl 2020 für das EBB erfolglos als Direktkandidat in Karnap antrat, fühlte sich nach eigenen Worten an einen Politikstil aus den 1980er Jahren erinnert. Ein Stil, der nicht seiner sei. Mittlerweile hat auch Duda die Wählervereinigung verlassen.

Bei der Kommunalwahl hat das EBB Mandate und sachkundige Bürger eingebüßt

Fraktionssprecher Kai Hemsteeg, der starke Mann beim EBB, verweist die Vorwürfe ins Reich der Märchen. Bayer sei nach wie vor Mitglied im Bürgerbündnis, gelegentlich nehme er auch an Versammlungen teil. „Ich rede weiter mit ihm“, sagt Hemsteeg. „Er ist mir weiterhin Ratgeber. Meine Anträge schreibe ich aber immer noch selber.“ Hemsteeg bestätigt, dass Bayer mit Dennis Gollan gesprochen hat: „Er hat ihm wohl einen väterlichen Rat gegeben.“

Den eigentlich Grund für das offene Zerwürfnis sieht Hemsteeg im Ergebnis der Kommunalwahl, bei der das EBB die selbstgesteckten Ziele klar verfehlte. Das Bürgerbündnis habe zwei Ratsmandate und vier Mandate in den Bezirksvertretungen verloren. Statt 23 sachkundige Bürger stelle es nur noch 15. „Da ist nicht jeder zufrieden“, mutmaßt Hemsteeg und schiebt einen Satz hinterher. Es sei schade, „wenn man das Gefühl hat, es geht nur um Posten“.

Ein EBB-Ratsherr und dessen Schwägerin arbeiten in der Fraktionsgeschäftsstelle

Apropos: Für Gesprächsstoff sorgt beim EBB eine weitere Personalie. Ratsherr Wilfried Adamy ist seit Beginn des Jahres in der Fraktions-Geschäftsstelle beschäftigt, zum neuen Jahr soll er die Geschäftsführung übernehmen. „So ist es geplant“, sagt Hemsteeg.

Zur Erinnerung: Als Udo Bayer noch für das EBB im Rat der Stadt saß, führte auch er zeitweise die Geschäfte seiner Fraktion. Die Linke bezeichnete den agilen EBB-Funktionär einmal gar als den wohl bestbezahltesten Kommunalpolitiker Deutschlands. Bayer sitzt heute für die Freien Wähler in der Verbandsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland.

Und auch im Sekretariat der EBB-Geschäftsstelle gab es jüngst eine personelle Veränderung. Dort arbeitet Adamys Schwägerin – zehn Stunden die Woche, wie Hemsteeg betont. Ehrrührig könne er daran nichts finden. Die Stelle sei zwar nicht ausgeschrieben worden, aber im Bürgerbündnis sei offen kommuniziert worden, „dass wir jemanden suchen. Es hätte sich auch jeder andere melden können“.

Nicht nur beim EBB gibt es Schnittmengen zwischen Politik und Business

Es gibt eben Schnittmengen gibt zwischen Politik und Business. Essens ehemalige Stadtdirektor Christian Hülsmann machte dies dieser Tage im sozialen Netzwerk Facebook öffentlich, als er seinem Ärger über den „Frontwechsel“ seines ehemaligen Parteifreundes Siegfried Brandenburg nach fast 39 Jahren Mitgliedschaft in der CDU zum EBB Luft machte. „So etwas mag ich nicht“, sagt Hülsmann.

Das Essener Bürgerbündnis

Das Essener Bürgerbündnis (EBB) wurde im März 2004 gegründet. „Gründervater“ war der ehemalige Kulturdezernent und langjährige Sozialdemokrat Udo Bayer. Dem EBB gelang auf Anhieb der Einzug in den Stadtrat.

Diesen Erfolg konnte die Wählergemeinschaft bei den drei folgenden Kommunalwahl wiederholen. Hinter dem selbstgesteckten Ergebnis von „Fünf + X“ Sitzen, blieb das EBB bei der Wahl im vergangenen Jahr jedoch deutlich zurück. Das Bürgerbündnis konnte drei Ratsmandate gewinnen.

Das Essener Bürgerbündnis bezeichnet Hülsmann in seinem Post als „Resterampe der Kommunalpolitik“ – offensichtlich in Anspielung auf ehemalige Sozialdemokraten wie Ex-Ratsherr Arndt Gabriel oder Mitglieder der Piratenpartei wie Hemsteeg und Adamy, die sich dem EBB angeschlossen haben.

„Lieber Sigi, ich bin menschlich enttäuscht“, schreibt Hülsmann und erinnert daran, dass Brandenburg als Ratsherr mit Mandaten in Aufsichtsräten bedacht worden sei. Darüber hinaus habe er als Wirt – Brandenburg betreibt in Schonnebeck eine Gaststätte – zahlreiche Catering-Aufträge aus der CDU erhalten, viele Veranstaltungen hätten in seinem „Freizeitheim“ stattgefunden und dort für Umsatz gesorgt. „Das hat man auch gemacht, weil er einer von uns war“, sagt Hülsmann. Solidarität mit Brandenburg habe es über all die Jahre gegeben. Und nicht nur das.

Politik darf sich also auch bezahlt machen. Das dürfte niemanden überraschen. Aber wann hat dies ein ehemaliger Funktionsträger schon einmal so offen ausgesprochen?