Essen. Die Zahl zugeparkter Gehwege nimmt zu: Mit der Beschwerde wendet sich ein Essener an die Politik. Durch Corona gebe es dringenden Handlungsbedarf

Seit gut zwei Jahrzehnten wohnt Raimund Lange in Essen-Rüttenscheid und er wohnt gerne hier – eigentlich. Das Leben in dem beliebten Stadtteil werde ihm aber immer mehr verleidet „und zwar durch zugeparkte Gehwege“, ärgert sich der 64-Jährige. Die Situation spitze sich durch Corona noch mehr zu: Auch wenn man wolle, man könne als Fußgänger oftmals nicht den gebotenen Abstand halten. Tatsächlich zeigen jährlich tausende Essener Falschparker an. Raimund Lange hat jetzt offiziell Beschwerde bei der Stadt eingereicht.

Kritiker aus Essen weiß zahlreiche Gleichgesinnte an seiner Seite

Die Lage habe sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlimmert, sagt Lange. Mit dem stetig zunehmenden Autoverkehr sei auch logischerweise auch der Bedarf gestiegen, die Fahrzeuge abzustellen. Der Parkdruck in Rüttenscheid sei hoch. Doch die Antwort könne nicht darin bestehen, dass Fußgängern der ihnen vorbehaltene Raum genommen werde. Lange erzählt von zahlreichen Szenen, in denen Passanten angesichts der Pandemie Nähe vermeiden wollten. „Das funktionierte aber nicht“. Den Leuten bleibe nichts anderes übrig, als auf die Straße auszuweichen, doch da seien sie die schwächeren Verkehrsteilnehmer. Richtig schwierig werde es für Senioren mit Rollator oder Eltern mit Kinderwagen.

Als Polizist, der inzwischen den Ruhestand angetreten hat, achte er sicher in besonderem Maße auf Regelverstöße, andererseits wisse er Gleichgesinnte an seiner Seite: Im Internet habe er eine Reihe von Portalen gefunden, auf denen Bürger ihrem Unmut über zugestellte Wege Luft verschaffen. Und Wolfgang Packmohr, übrigens auch ein pensionierter Polizeibeamter, hat den Verein Fuss e.V. initiiert, der sich in Debatten um die Rechte der Fußgänger einklinkt. Gemeinsam mit Lange ist er von dem Umgang der Stadt mit dem Parkproblem enttäuscht und erst recht von der Antwort aus dem Rathaus auf seine Beschwerde.

Fußgängern soll eine Gehwegbreite von 1,20 Meter bleiben

Bei strenger Handhabe 50 Prozent Parkplätze weniger

Wenn das Ordnungsamt die Straßenverkehrsordnung „nach Punkt und Komma in den dicht besiedelten Stadtquartieren“ umsetzen wollte, fielen nach Angaben der Behörde 50 Prozent der jetzigen Stellflächen weg. In vielen Straßen könne man dann nämlich nur noch auf einer Seite parken, ansonsten wäre die Fahrbahn viel zu schmal. In der Vorlage an den Ausschuss für Anregungen und Beschwerden schimmert durch, dass der jetzige Umgang mit dem Parken auf Gehwegen nicht der Weisheits letzter Schluss sein muss. Denn im schönen Verwaltungsdeutsch heißt es: „Gleichwohl bleibt vor dem Hintergrund einer modernen und mobilen Stadtgesellschaft als mittel- bis langfristiges Ziel nachvollziehbar, dass die Interessen der zu Fuß gehenden Personen im Stadtgebiet noch wirkungsvoller geschützt werden sollen.“ Das Ordnungsrecht könne allerdings nur ein kleiner Baustein sein, um die Verkehrswende zu unterstützen.Die Verwarn- oder Bußgelder bei Halt-und Parkverstößen liegen zwischen 10 und 35 Euro. Das verbotswidrige Halten auf Gehwegen wird ab 10 Euro, das Parken ab 20 Euro geahndet.

Darin erklärt die Stadt zwar, dass Parken auf Gehwegen grundsätzlich unzulässig sei – aber nur sofern nicht Schilder die Gehwegbereiche als Parkraum ausweisen. Das geschieht vor allem in dicht besiedelten Stadtteilen mit einem hohen Parkdruck. Mehr noch: In solchen Quartieren werde auch das „Opportunitätsprinzip“ angewandt, was nichts anderes bedeutet, als dass die Mitarbeiter der Stadt einen Ermessensspielraum haben. Faustregel: Wenn den Fußgängern noch 1,20 Meter Platz bleibe, könne man das Parken auf den Gehweg dulden; es sei denn es handelt sich um Kreuzungen und Einmündungen, an denen die parkenden Autos die Sicht der Fußgänger behindern. Diese Praxis werde durch höchstrichterliche Urteile gedeckt.

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Doch diese Handhabe möchte Raimund Lange lieber heute als morgen ändern: 1,20 Meter seien schon unter normalen Umständen viel zu knapp bemessen, „und in Coronazeiten ist es einfach lächerlich“. Zudem bleibe eine Grauzone, weil man doch bestimmt nur einen Teil der Falschparker erwische.

Forderung nach Bestandsaufnahme der Parksituation in dicht besiedelten Gebieten

Eine rechtlich vorgeschriebene Gehwegbreite bestehe zwar nicht, ergänzt Wolfgang Packmohr, wohl aber eine Empfehlung des Verkehrssicherheitsrates, die auf anerkannten Richtlinien für Stadtplaner beruhe. Das Expertengremium halte 2,50 Meter für angemessen. Das Maß, das Essen anwende, sei zwar auch in weiteren Kommunen üblich, manche Städte sähen aber zumindest 1,50 oder 1,60 als erforderliche Breite für Fußgänger an. Der eigentliche Richtwert müsse doch die Sicherheit der Fußgänger sein, so Packmohr.

Beim Stichwort Parkdruck haben er und Lange eine klare Haltung: Dringend brauche man eine Bestandsaufnahme vor allem für die Stadtteile wie Rüttenscheid, Holsterhausen, Frohnhausen, in denen die Lage besonders brisant sei. Hier müsse man über zusätzliche Parkflächen oder Parkhäuser nachdenken. Zudem sollte man den Bürger erklären, dass sie ihr Auto nicht immer vor der eigenen Haustür parken können – Bushaltestellen seien auch nicht direkt um die Ecke.

Rund 9000 Anzeigen aus der Bevölkerung wegen Falschparkens

Wie sehr sich Falschparken zum Aufregerthema in der Bevölkerung entwickelt hat, lässt sich an der Zahl der Anzeigen ablesen, die bei der Stadt eingegangen sind. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt rund 9000. In 70 Prozent der Fälle verhängte die Verwaltung Verwarn- oder Bußgelder. Auch die restlichen 30 Prozent waren nicht unbedingt unbegründet. Vielmehr fehlten bei diesen Anzeigen oft Pflichtangaben wie Datum oder Ort. Deshalb hat die Stadt auf ihrer Homepage ein neues Formular eingestellt, das alle notwendigen Angaben abfragt.

Raimund Lange und Wolfgang Packmohr wünschen sich, dass die Politik das Thema auf die Agenda setzt. Einen ersten Erfolg hat der Rüttenscheider jetzt erzielt: Der Ausschuss für Anregungen und Beschwerden hat es bei seiner Sitzung am Dienstag auf der Tagesordnung.

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