Essen. Abstand halten: Da wird Nähe zum Sehnsuchtsmotiv. Ein Essener Galerist zeigt nun Kunstwerke, die das Spüren und Berühren thematisieren.
Nur gucken, nicht anfassen: An kaum einem anderen Ort ist das Distanzhalten eigentlich so eingeübt wie in den Galerien und Museen. In diesen Tagen, in denen Abstandswahrung immer noch ein Gebot der sozialen Verantwortung ist, sind es aber gerade die Kunstorte, die nach wochenlangem Lockdown wieder erste Begegnungen ermöglichen. In der Galerie Obrist werden die Besucher ab dem 19. März sogar mit „Nähe“ empfangen. Dabei geht es nicht um Berührung im körperlichen Sinne, sondern um den Umgang mit Nähe in Fotografie, Video, Performance und Malerei.
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Galerist Thorsten Obrist widmet der „Nähe“ gleich eine dreiteilige Ausstellungsreihe. Zusammen mit der Kuratorin Sabine Kampmann hat er sie im vergangenen Herbst als Reaktion auf den Lockdown entwickelt. Unterstützt wird das Projekt mit Mitteln des Förderprogramms „Neustart Kultur“. Das Thema ist nah dran an den momentanen Befindlichkeiten der Menschen, ohne sich vordergründig am allgemeinen Kontaktverbot-Verdruss zu reiben.
Durch das Fehlen von sozialen Kontakten und körperlicher Berührung wird aus Nähe ein Sehnsuchtsmotiv
Dazu gehört auch, dass keines der Werke eine unmittelbare Verarbeitung des Lockdowns und seines Social-Distancing-Gebotes ist. Vielmehr hat Obrist Werke von Künstlern zusammengetragen, die sich auf unterschiedliche Weise mit den Formen von Nähe wie Berührung, Vertrautheit und Verführung, aber auch mit Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und Selbsterfahrung beschäftigt haben. Zur Auswahl gehören Werke von den Anfängen der Body Art bis zur Straßenkunst, die Franziska Nast mit einem Hochdruckreiniger vor der Galerie zeigen will.
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In John Coplans fragmentierter Fotografie wird der eigene, nackte Männerkörper mehr zum visuellen Protest gegen gesellschaftliche Normen. Während der intime Bodytalk im Video „Pulse Line“ von Andrea Bozic und Julia Wilms (2005) oder das miteinander verschlungene „Couple“ in der Leben atmenden Malerei von Simone Haack in Zeiten der Pandemie mehr denn je zum Sehnsuchtsmotiv werden.
Das Geben und Nehmen in der Liebe geht als Tattoo unter die Haut
Dass „Nähe“ manchmal sogar das Verschmelzen zweier Individuen zu einem ganz eigenen Kunstwerk bedeuten kann, zeigen Eva & Adele mit einer Logo Lightbox. Anderswo geht der Versuch, dem anderen ganz nah zu sein, buchstäblich unter die Haut. „Give and take“ stammt aus der Tattoo-Serie des Aktionskünstlers Flatz. Vier Hände, zwei Paare, ein Versprechen: Geben und nehmen in der Liebe haben sich Künstler und seine Partnerin persönlich unter die Haut geritzt.
Sinn und Sinnlichkeit der Pandemie: Auf das Berühren soll in den kommenden Monaten das Spüren (7. Mai bis 12. Juni) und das Verführen (18. Juni bis 28. August) folgen. Zugleich erscheint am 18. Juni auch das Buch zur Ausstellung im Kerber Verlag.
Das Projekt startet am 19. März mit einem Soft-Opening. Von 12 bis 19 Uhr können Einzeltermine (wie auch an den weiteren Tagen) unter www.galerie-obrist.de gebucht werden. Die Vernissage um 19 Uhr kann auch online verfolg werden. Galerie Obrist, Kahrstr. 59, Laufzeit bis 2. Mai.