Essen. Museen schließen, Einzelhandel bleibt geöffnet. Deshalb dürfen auch Galerien weitermachen – als vorerst einzige Anlaufstellen für bildende Kunst.

Geschäfte auf, Museen zu. Konsum ja, Kunst nein. Die von vielen als äußerst widersprüchlich und ungerecht empfundene Regelung kennt zumindest eine Ausnahme: die Galerien. „Wir haben weiterhin geöffnet“, sagt Galerist Torsten Obrist. Sein 20-jähriges Galerienjubiläum hat er im März praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefeiert. Nun aber sind die Türen weit auf zwecks frischer Belüftung, und das Desinfektionsmittel steht am Eingang griffbereit.

Galerie ist nicht gleich Galerie – Corona-Schutzverordnung hat für Verwirrung gesorgt

Obrist hat mit den zuständigen Ministerien in Düsseldorf telefoniert und sich beim Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler in Berlin rückversichert. Dort kann man von einiger „terminologischer Verwirrung“ in den letzten Tagen berichten. Werden in der aktuellen Corona-Schutzverordnung, die Theatern, Kinos, Konzerthäusern und Museen zunächst bis Ende November die Öffnung untersagt, doch auch Galerien als zu schließende Orte genannt. Wie so oft in diesen von Verordnungshektik gezeichneten Tagen hat das zu einiger Verwirrung geführt.

Wundertüten online

Essens Galerien bleiben trotz Corona geöffnet – und doch verlagern sich Aktivitäten auch ins Internet.

So betreibt Galerist Frank Schlag bereits seit einigen Jahren einen „Collectors Sale“ im Netz.

Als Online-Event will Torsten Obrist nun seine traditionelle „Wundertüten“-Aktion organisieren. Kleinere Arbeiten von Künstlern der Galerie wie Dirk Salz oder Andreas Titzrath gibt es dann als Überraschungs-Paket. Weil der Publikums-Andrang für gewöhnlich groß ist, findet der Verkauf am 13. November, 19 Uhr, erstmals als exklusiver Onlineverkauf statt. www.Kunst-in-Tueten.de

Maria Morais, Sprecherin des Bundesverbandes in Berlin, weiß sogar von NRW-Städten, in denen Mitarbeiter des Ordnungsamtes schon ausgerückt sind, um örtliche Galerien zur Schließung zu bewegen. Oft werde kein Unterschied gemacht zwischen Galerien der öffentlichen Hand wie der Neuen Nationalgalerie, die keine Wirtschaftsbetriebe sind, und dem klassischen Kunsthandel, der als privatwirtschaftliches Einzelhandelsunternehmen arbeitet, weiß Morais. Man sei aber mit den zuständigen Behörden in Kontakt und habe sich auch vom Staatsministerium für Kultur noch einmal grünes Licht geben lassen.

Das Kunst-Publikum reagiert derzeit zurückhaltend

So bleiben die Galerien also bis auf weiteres einzige Anlaufstellen für bildende Kunst. Freilich unter den geltenden Coronaschutzauflagen, die Abstand, Lüftung, Mundschutz und Maskentragen vorschreiben. Auch Vernissagen müssen derzeit ausfallen. Ohnehin verzeichnen die Galerien eine gewisse Zurückhaltung des Publikums, hat auch Essens Galeristen-Institution Klaus Kiefer festgestellt. Trotzdem ist die Rüttenscheider Galerie für ihre Kundschaft weiter da, derzeit mit einer kleinen Auswahl an Meisterzeichnungen des Künstlers Yongbo Zhao. Ebenso wie Galerie-Nachbar Colmar Schulte-Goltz, der aktuell noch Arbeiten von Alpay Efe zeigt.

Ein Stück weiter auf der Rü freut sich das Galeristen-Paar Klose, die Ausstellung mit Werken von Max Uhlig weiter zeigen zu können. Mit der Einweihung der einzigartigen Kirchenfenster der Johanniskirche in Magdeburg, die Uhlig gestaltet hat, erfährt der Dresdner Künstler derzeit eine enorme, bundesweite Popularität. Dennoch wirke sich die neuerliche Zwangsberuhigung der Rü auch deutlich auf die Besucherfrequenz aus, stellt Galerist Peter Klose fest.

Felix und Irmel Droese sind seit fast 50 Jahren ein Kunst-Paar. Die Galerie Schlag zeigt nun eine Doppelschau – mit Malerei, Papierarbeiten, Materialcollagen und Objekten,die Irmel Droese auch als Puppenspielkünstlerin vorstellen.
Felix und Irmel Droese sind seit fast 50 Jahren ein Kunst-Paar. Die Galerie Schlag zeigt nun eine Doppelschau – mit Malerei, Papierarbeiten, Materialcollagen und Objekten,die Irmel Droese auch als Puppenspielkünstlerin vorstellen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Es kommen deutlich weniger Besucher“, sagt auch Innenstadt-Galerist Frank Schlag. Dabei stellt die aktuelle Doppelausstellung „Die Fruchtbarkeit der Polarität II“ mit Werken des in Mettmann lebenden Künstlerpaares Irmel und Felix Droese einmal mehr unter Beweis, dass Kunst und Kultur eben nicht nur dem heiteren Zeitvertreib dienen, sondern aktuelle politische und gesellschaftliche Themen reflektieren.

Gerade bei einem der eher rar gewordenen „politischen Künstler“ wie Felix Droese. So begrüßt der documenta-Teilnehmer und Beuys-Schüler die Galerie-Besucher in diesen Tagen nicht nur mit einer kritischen „Mare Nostrum“-Arbeit, auf der „Heimat“ wie ein rotes Stoppschild prangt. Auch Droeses Reaktion auf Corona fällt gewohnt ironisch-provokant aus. „Freud trifft Conrad Lorenz“ heißt seine neue Arbeit inklusive Viren-transportierender Fledermaus und einer mit Schutzmaske bewaffneten Toilettenpapierrolle. Und den „Tröpfchentod“ gibt’s zum An-die-Wand-Hängen als Radierung. Stückpreis 600 Euro.

Und auch bei Torsten Obrist gibt Covid-19 derzeit gewissermaßen den Ton an. Neben Gemälden von Marcella Böhm, die das Publikum einmal mehr mit ihrer ebenso realistischen wie magischen Malerei empfängt, ist der bekannte Essener Künstler Jürgen Paas mit einer ungewöhnlichen Arbeit im Basement zu sehen. „Concerto“ heißt die mehrteilige Videoinstallation, die sich auf die vielstimmige Reaktion der Norditaliener bezieht, die während des ersten Lockdowns täglich um 18 Uhr auf ihren Balkonen sangen.

„Concerto“ reagiert auf die Balkon-Gesänge der Norditaliener während des Lockdowns

Der Musiker und Schriftsteller Mattis Manzel, der seit 1997 in Venedig lebt, hat die Tradition weitergeführt. Und aus der akustischen Durchhalte-Geste eine immer skurriler werdende Performance entwickelt, bei der Manzel mit allerlei selbstgebauten Instrumenten, schamanischen Beschwörungen und wilden Kostümierungen eine ganz eigene Anti-Corona-Strategie entwickelt. Paas kombiniert die Sequenzen in seiner Videoinstallation mit dokumentarischen Bildern des Kunsthistorikers Heiner Krellig aus dem nahezu touristenfreien Venedig. Wenn Corona die Kunst irgendwann nicht mehr beschränkt, soll „Concerto“ auch in der Lagunenstadt gezeigt werden.

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