Essen. Das zum Jahreswechsel geschlossene Stoppenberger Krankenhaus soll vom Allbau gekauft und als „innovativer Gesundheitsstandort“ ausgebaut werden.

Knapp elf Wochen ist es erst her, da haben sie den Standort symbolisch zu Grabe getragen – Feierabend fürs St. Vincenz-Krankenhaus nach einer 134 Jahre währenden Historie. Doch Totgesagte leben eben länger, und inzwischen sind sich Stadt und Politik weitgehend einig, dass der Stoppenberger Klinik-Standort wiederbelebt werden soll. Nur bis wann und wie, ist die Frage. Und was das dann noch mit einem Krankenhaus zu tun hat.

Im Gesundheits-Ausschuss des Rates kam man der Antwort am Dienstag noch nicht sehr viel näher. Immerhin, nach all der Empörung der vergangenen Monate, nach Protesten, Demos und Unterschriftensammlungen scheint der Moment gekommen, wo man sich mit der Beschimpfung des Klinik-Betreibers Contilia und seinem „erratischen Vorgehen“ (O-Ton Stadt Essen) nicht mehr zufrieden geben mag.

Notfallversorgung des Nordens ist laut Stadt „im Allgemeinen (...) sichergestellt“

„Es bringt uns nicht weiter, permanent nach hinten zu schauen“, so brachte es CDU-Mann Dirk Kalweit auf den Punkt: Contilia sei nun mal ein großer Player in der Essener Krankenhaus-Landschaft, „und der bleibt“. Auch Sandra Schumacher von den Grünen warnte davor, nach dem Aus für zwei Krankenhäuser im Norden der Stadt die „Verunsicherung voranzutreiben“. Das ging nicht zuletzt gegen Julia Jankovic und ihre Sozialdemokraten, die Stadt und Contilia weiter auf den Füßen stehen.

Nach dem tragischem Einzelfall „sensibler“ sein

So tief verbeugt sich im Ratssaal selten jemand: Arne Berndt, Klinikmanager des Philippusstifts in Borbeck, bekundete am Dienstag auch gegenüber dem Gesundheitsausschuss des Rates noch einmal sein „tiefes Bedauern“ über den tragischen und am Ende tödlichen Fall einer zu nächtlicher Stunde heimgeschickten Patientin aus Katernberg.

Schon Mitte Februar hatte die Klinik signalisiert, medizinisch zwar korrekt aber „menschlich falsch“ gehandelt zu haben. Von der damals abgegebenen Behauptung, man müsse das Bett nächtens „wegen Corona“ räumen, distanzierte sich Berndt ausdrücklich: Eine Auswertung der Belegungs-Statistik habe ergeben, dass am fraglichen Abend sowohl auf den normalen als auch auf den Intensivstationen und der Stroke-Unit (einer Spezial-Abteilung für Schlaganfall-Patienten) „freie Betten vorhanden“ waren.

Die alte Dame zumindest bis zum nächsten Morgen dazubehalten, „wäre auch nicht unüblich gewesen“, so der Klinik-Manager. Von dieser Möglichkeit werde regelmäßig Gebrauch gemacht. Der Fall habe die „Sensibilität“ im Haus für solche Fälle noch einmal geschärft.

Doch die Stadt mag die Lage längst nicht so dramatisch zeichnen wie die SPD: Trotz des tragischen, am Ende tödlichen Falls einer zu nächtlicher Stunde wieder nach Hause geschickten Patientin betont nach dem NRW-Gesundheitsministerium nun auch das Rathaus, dass die Notfallversorgung des Nordens „im Allgemeinen (...) sichergestellt“ sei – obwohl Marienhospital und St. Vincenz-Krankenhaus nicht mehr zur Verfügung stehen. Auf die Frage aber, ob die aktuellen Pläne des Klinikbetreibers Contilia ausreichen, um die Gesundheitsversorgung im Essener Norden auf breiter Linie sicherzustellen, gibt die Stadt es der Politik schriftlich: „Nein.“

Mehr Fachärzte, mehr Beratungsangebote und ein ambulantes operatives Zentrum

Was da noch fehlt, um die Versorgungs-Landschaft „aufzuforsten“, skizzieren die Stadt wie die Politik bislang in allerlei Stichpunkten. So fehlten in den Stadtbezirken V und VI Fachärzte für Gynäkologie und Internistik, Urologie und Neurologie, Kinderheilkunde und Orthopädie. Mittelfristig soll ein neues innovatives Gesundheitszentrum entstehen, das zudem ein ambulantes operatives Zentrum mit 24-Stunden-Überwachung bietet. Mehr Beratung soll es zudem geben und eine bessere Notfallversorgung, wo nach dem doppelten Klinik-Aus bislang „nur“ ein zusätzlicher Rettungswagen zu Buche steht.

Da die Contilia das alte Marienhospital als Psychiatrie-Standort mit einem Gesundheitszentrum und anderen Angeboten ausbauen will – die ersten Abriss-Arbeiten an der Johanniskirchstraße sind in Kürze geplant – , verlegt die Stadt sich auf St. Vincenz in Stoppenberg. Seit Monaten laufen hier Verkaufsverhandlungen zwischen Contilia und dem Allbau.

Eine Verpflichtung, dass an diesem Standort kein Krankenhaus mehr steht

Die städtische Immobilien-Tochter will sich dabei als Projektentwickler und Investor in Stellung bringen und das komplette Gelände ankaufen: „Es geht darum, städtebauliche Qualität zu schaffen“, sagt Essens oberster Immobilien-Manager Dirk Miklikowski. Wobei nicht allein das Thema Gesundheitsversorgung im Fokus steht, sondern man den Komplex als belebendes Element für den Stadtteil versteht. Ob die alte Bausubstanz dabei erhalten bleibt oder auch mancher Abriss ins Haus steht, sollen Vorplanungen zeigen.

Im Schatten des Klosters: Wie viel von der Bausubstanz des alten Krankenhaus-Komplexes stehen bleiben kann und soll, müssen die Voruntersuchungen ergeben.
Im Schatten des Klosters: Wie viel von der Bausubstanz des alten Krankenhaus-Komplexes stehen bleiben kann und soll, müssen die Voruntersuchungen ergeben. © Hans Blossey

Abgesichert werden diese durch einen sogenannten „Letter of intent“, eine Absichtserklärung zwischen Contilia und Allbau, die kurz vor dem Abschluss steht und den Verkauf der Immobilie im Schatten des Karmelitinnen-Klosters zum Inhalt hat. Ein Papier mit allerdings eingeschränkter Verbindlichkeit. Dass man den Kauf nicht sofort durchzieht, ist dem Umstand geschuldet, dass Contilia die Gespräche Ende 2020 stoppte. Aus gutem Grund: Es gebe, so sagte Contilia-Chef Dr. Dirk Albrecht im Gesundheits-Ausschuss, die „Verpflichtung, dass dieser Standort kein Krankenhaus-Standort mehr sein darf“. Ansonsten riskiere der Klinikbetreiber die erhoffte Millionen-Förderung seiner ehrgeizigen Ausbau-Pläne am Borbecker Philippusstift.

Dass Contilia keinen „Plan B“ hat, irritiert von der CDU bis zu den Linken

Denn für den dort geplanten riesigen Neubau-Komplex sowie für den Umzug der Psychiatrie ins alte Marienhospital – zusammen rund 118 Millionen Euro teuer – erhofft sich die Contilia Zuschüsse von nicht weniger als 94 Millionen Euro aus dem Strukturfonds. Erst wenn diese zugesagt sind, will Contilia die Verhandlungen zum Verkauf von St. Vincenz wieder aufnehmen.

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Was aus all den schönen Plänen wird, wenn die Gelder nicht oder nicht im beantragten Umfang fließen? Darüber verliert der Klinikbetreiber einstweilen kein Wort: Solche Szenarien für die schlimmstmögliche Wendung wolle er gar nicht erst darstellen, signalisierte Geschäftsführer Albrecht. Es ist dies einer der Punkte, an denen in der Politik von der CDU bis hinüber zu den Linken wieder der Hals anschwillt: „Dass Sie keinen ,Plan B’ haben“, so Theresa Brücker von der Linkspartei an die Adresse der Contilia, „sorgt nicht gerade für Beruhigung“. Dirk Kalweit (CDU) pflichtet bei, denn wenn die hochfliegenden Pläne erneut platzen, „dann haben wir ein richtiges Problem“.