Im tragischen Fall der zu nächtlicher Stunde heimgeschickten Patientin räumt Klinikbetreiber KKE Fehler ein: Man hätte genug freie Betten gehabt.
Die Tragödie um eine 77-jährige Katernbergerin, die „wegen Corona“ nicht in der Notaufnahme des Philippusstifts bleiben durfte und nach einem folgenden Schlaganfall verstarb, sie hat am Freitag nicht nur die Politik alarmiert. Auch der Klinikbetreiber, die Contilia-Tochter KKE, zeigte sich nach anfänglichen Rechtfertigungen im Nachhinein ziemlich zerknirscht und räumte Fehler ein: Die nächtliche Rückverlegung nach Hause sei zwar „sachlich richtig, aber menschlich falsch“ gewesen, hieß es am Freitagnachmittag: „Wir hätten die Patientin aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation nicht nach Hause schicken dürfen.“
Im Kern bestätigte das Katholische Klinikum Essen (KKE) die Schilderungen des 84-jährigen Ehemanns, dessen Frau am 1. Weihnachtstag mit Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit und Kraftlosigkeit ins Borbecker Philippusstift eingeliefert worden war. „Es bestanden keine neurologischen Auffälligkeiten“, heißt es, „sowohl die eingehende Untersuchung als auch das EKG und der Laborbericht waren ohne Befund“. Die Patientin habe Medikamente zur Linderung ihrer Beschwerden erhalten und wurde mitten in der Nacht gegen 1.30 Uhr mit einem Krankentransportwagen wieder nach Hause gebracht.
„Dies ist eine Situation, die man als Arzt nie erleben möchte“
Tags darauf wieder eingeliefert, diagnostizierten die behandelnden Ärzte einen schweren Schlaganfall, dem sie trotz einer Behandlung in der sogenannten „Stroke Unit“, einer spezialisierten Abteilung für die Schlaganfallversorgung, neun Tage später erlag. „Dies ist eine Situation, die man als Arzt nie erleben möchte, die aber zu unserem Berufsleben leider fast zwangsläufig dazugehört“, bedauert die stellvertretende Ärztliche Direktorin des Philippusstiftes, Prof. Dr. Birgit Hailer: „Trotz sorgfältiger Untersuchung und einer Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen, muss man als Mediziner darauf vorbereitet sein, dass sich auch eine medizinisch begründete Einschätzung durch einen unvorhersehbaren Verlauf im Nachhinein als schicksalhaft erweist.“
Auch Klinikleiter Dr. Arne Berndt zeigte sich betroffen: „Dieses tragische Ereignis zeigt auf, wie groß die Verantwortung ist, die wir in einem Krankenhaus alle gemeinsam tragen. Auch wenn es aus medizinischer Sicht keine Begründung für eine stationäre Aufnahme gegeben hat, hätten wir die Patientin aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation nicht nach Hause schicken dürfen.“
SPD will den Vorfall vor die politischen Gremien bringen
Der Klinikleiter brachte die Entscheidung auf die Formel, sie sei „zwar sachlich richtig gewesen, aber sie war menschlich falsch. Denn wir haben die Frau und ihren Ehemann in dieser Situation unnötigerweise alleine gelassen.“
Denn die anfangs formulierte Betten-Knappheit, mit der die nächtliche Rückverlegung nach Hause begründet worden war – sie war augenscheinlich doch nicht so dramatisch: „Wir hätten trotz der sicher besonderen Herausforderungen durch die Covid-Pandemie genug freie Betten und Kapazitäten gehabt, um die Patientin einfach nur in unserer Obhut zu behalten. Dafür, dass dies nicht geschehen ist, können wir nur unser tiefes Bedauern aussprechen.“
Unklar ist, ob diese Entschuldigung die wieder angefachte Debatte um Gesundheitsengpässe im Essener Norden erstickt. Für die SPD macht der Fall immerhin deutlich, „dass die Schließung zweier Kliniken nicht ohne weiteres aufgefangen werden kann – schon gar nicht mit einem ,Smart Hospital’, das erst am Sankt Nimmerleinstag zur Verfügung stehen wird“, so betonte am Freitag der SPD-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Frank Müller.
„Derartige Leerstellen in der Gesundheitsversorgung können wir nicht hinnehmen“
Gemeinsam mit dem Chef der Sozialdemokraten im Rat, Ingo Vogel, zeigte er sich „schockiert“, forderte eine „lückenlose Aufklärung“ sowie „endlich mehr Ernsthaftigkeit in der Frage der medizinischen Grundversorgung insbesondere im Norden“: Sämtliche Beschwichtigungen und Versicherungen der Stadtspitze wie der Contilia-Chefetage seien hinfällig. Vogel kündigte an, das Thema in Rat und Gesundheitsausschuss anzusprechen: „Derartige Leerstellen in der Gesundheitsversorgung können wir nicht hinnehmen.“ Noch Mitte Dezember habe Gesundheitsdezernent Peter Renzel jegliche Kapazitätsengpässe in Essener Krankenhäusern verneint. „Der tragische Fall der verstorbenen Katernbergerin“, heißt es nun, „wirft diesbezüglich einige Fragen auf“.
Fragen, deren Antworten die Initiatoren des Klinik-Entscheids bereits zu kennen glauben: Für sie ist der Tod der 77-Jährigen „der traurige Beweis für die von vielen Menschen (...) gehegte Befürchtung, dass nach der Schließung des Marienhospitals und des St. Vincenz-Krankenhauses eine ausreichende Krankenhaus- und Notfallversorgung im Essener Norden nicht mehrgewährleistet ist“.
Die Tragödie sei weniger bedauerlicher Einzelfall als vielmehr sichtbare „Spitze eines Eisbergs“ ähnlicher Vorfälle. Damit seien auch Behauptungen von Contilia und Stadt widerlegt: „Es muss erlaubt sein zu fragen, wie viele Tote es noch geben muss, bis die Stadt Essen sich zu ihrer Verantwortung bekennt.“