Essen. Wie der Wald zum Therapieraum wird: Essener Autorin schreibt Ratgeber über grüne Oasen der Stadt, die nicht nur in Corona-Zeiten Kraft spenden.
Ulrike Katrin Peters braucht von der eigenen Haustür aus nur ein paar Schritte, um den größten und nahe liegendsten Therapieraum der Stadt zu betreten: Der Wald ruft – in Corona-Zeiten lauter denn je. Und deshalb war es ein Glück, dass die Essener Autorin schon im vergangenen Januar beschlossen hat, der neuen Lust am heilsamen Grün einen Outdoor-Ratgeber zu widmen. Mit vielen Tipps und Ratschlägen zum Runterkommen und Kraftschöpfen und mit reichlich Bildmaterial aus Essens grünen Lungen von Stadt- bis Kruppwald.
Waldbaden: Der Trend kommt aus Japan
„Waldbaden. Die Kraft der Natur nutzen“, heißt der kompakte Büchlein, das in diesen Tagen erscheint. Und das bedeutet keinesfalls, sich sprudelndes Fichtennadel-Badesalz in die Wanne zu werfen. Peters Buch ist eine Einführung ins Naturthema von A wie Akasawa-Wald bis Z wie Zen. Der Waldbaden-Trend geht schließlich auf eine Bewegung in Japan zurück: Shinrin-yoku, was man mit „Eintauchen in die Waldatmosphäre“ übersetzen kann, entstand in den 1990er Jahren, wurde dort von vielen kleineren Untersuchungen flankiert – bis sich die Kunde von den Heilungskräften des Waldspaziergangs auch in den USA und Deutschland herumsprach. Inzwischen gibt es Seminare zum Thema und sogar Waldbademeister.
Die 47-jährige Autorin, die zum Studium nach Essen kam und inzwischen an die 60 Reiseführer vor allem zu „grünen“ Destinationen wie Skandinavien, Irland und Großbritannien geschrieben hat, aber auch Wander- und Radführer durchs Ruhrgebiet, will das Thema dabei gar nicht mit allzu viel ideologischem und esoterischem Ballast beschweren. Ihren Waldbade-Führer sieht sie vor allem als Einladung, achtsamer, aber auch absichtsloser durchs Grün zu streunen. Und dass vieles von dem, was wir seit Kindheitstagen beim Waldspaziergang intuitiv als wohltuend und schön empfinden, dabei nun auch wissenschaftlich zu belegen sei, schade ja nichts, findet die bekennende „Frischluftfanatikerin“.
Waldbaden stärkt das Immunsystem und hilft gegen Depressionen
„Waldbaden ist Präventivmedizin“, sagt Peters. Es stärke den Kreislauf und das Immunsystem, wirke gegen Stress und Bluthochdruck, verbessere den Schlaf und könne Depressionen lindern. Gäbe es den Waldspaziergang auf Rezept, wären sich vielleicht mehr Menschen der heilsamen Wirkung des Draußenseins bewusst. So aber werden die Wald-Yogis und Baum-Umarmer oft noch etwas schräg angeguckt. Wobei es doch keine Schande sei, seinen Freund, den Baum, auch mal etwas Nähe zu gönnen, findet Peters.
Vielleicht gibt es keinen besseren Moment als einen knackigkalten Wintertag im Kruppwald, um zu spüren und zu hören, was Peters und viele andere so am Wald fasziniert – die Entspannung und Ruhe. Keine Jogger-Kohorten, die die Wege mit schnaufendem Atem durchziehen. Keine Mountainbiker, die den Boden durchpflügen. Der Baum hat neben Dürre und Borkenkäfer ja längst noch ein paar Gegner dazubekommen, die mit ihrem Trainings-Terrain nicht zimperlich umgehen. Dass es anders geht, beschreibt Peters in verschiedenen Kapiteln, die zum „Waldbaden mit allen Sinnen“ einladen und auch eine Anleitung zum „Waldbaden für Einsteiger“ geben.
Es geht nicht nur um Schrittzahl und Kalorienverbrauch
Dass man für einen entspannten und heilsamen Waldbesuch heutzutage Ratschläge braucht, das liegt nach Ansicht der Autorin vielleicht auch daran, dass unsere auf Effizienz getrimmte Gesellschaft selbst den Waldspaziergang oft unter Leistungsdruck erledigt - mit stetem Blick auf Schrittanzahl und Kalorienverbrauch. Ulrike Katrin Peters will den Rückzugsraum für gestresste Großstädter aber nicht nur als kostenfreies Freizeit- und Fitnesszentrum um die Ecke verstanden wissen. Sie will die Wahrnehmung schärfen – für Baum und Mensch.
Der Wald in Zahlen
„Waldbaden. Die Kraft der Natur nutzen“ erscheint als Outdoor-Handbuch im Conrad Stein Verlag. 128 S., 62 farbige Abbildungen, 8,90 Euro.
Das Buch gibt auch Tipps zum Waldbaden mit Kindern – als geborene Entdecker und Achtsamkeitskünstler. Zu den Vorschlägen gehört beispielsweise ein Wald-Memory oder das gemeinsame Abenteuer einer „Barfußschlange“.
Dazu gibt es Zahlen und Daten über den Baumbestand weltweit und hierzulande. Deutschland zählt dabei zu den waldreichsten Ländern in Europa. Auf jeden Deutschen kommen statistisch 1.300 Quadratmeter Wald.
Waldreichste Bundesländer sind Rheinland-Pfalz und Hessen mit jeweils 42 Prozent der Fläche, NRW rangiert mit 27 Prozent weiter hinten.
„Mancher geht durch den Wald und sieht dort nichts als Brennholz“, zitiert Peters den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi. Wenn die Reiseführer-Fachfrau durch den Wald geht, sieht sie jeden Tag etwas anderes: malerisch verkrümmte Äste, aufgeplatzte Baumrinde, hunderte Jahre alte Stämme, die sich sacht einander zuneigen. Im Frühjahr hört sie auf der Grugatrasse das Rauschen der Birken - und ist sogar ein Fan dieses eher anspruchslosen „Pionierbaumes“ geworden, trotz Pollen-Allergie.
Den Luxus von ein paar pflichtfreien Stunden genießen
Sich einfach mal treiben lassen und die Sinne sensibilisieren, ruhiger und relaxter werden, das ist das Konzept des Waldbadens. Wer Peters folgt, pirscht sich erst mal „wie ein Indianer“ fast lautlos in den Wald. Und folgt vor allem einer Anweisung: „Handy ausschalten.“ Dann hilft vielleicht noch eine Atemübung, ein Augenschließen und Rückenstrecken, um sich „den Luxus von einigen pflichtfreien Stunden“ so richtig bewusst zu machen, erklärt die Autorin.
Zwei, besser vier Stunden müsse man für ein ausgedehntes Waldbad schon einkalkulieren, rät die gebürtige Oldenburgerin. Und wen in dieser Zeit eine andere sanitäre Notdurft doch aus der Ruhe bringt, der wird in einem anderen Ratgeber der Autorin fündig. „How to shit in the woods“ wurde ein Bestseller, eine Million Mal verkauft. Ein Waldführer der etwas anderen Art und garantiert leicht verdaulich.
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