Essen. Essen: Klaus Spangenberg lebt seit Jahren von der Musik. Corona hat ihn arbeitslos gemacht. So entstand das Lied zur Krise „Nicht systemrelevant“

Eigentlich wäre Klaus Spangenberg in diesem Monat ziemlich viel unterwegs. Wasserschloss Klaffenbach in Chemnitz, Burg Creuzburg in Eisenach – die Liste der Auftrittsorte liest sich so illuster wie die Namen der Künstler, mit denen der Essener Berufsmusiker sonst unterwegs ist: Andrea Berg vertraut auf seine Saitenkünste wie Roland Kaiser und Matthias Reim, in dessen Band der 54-Jährige seit 20 Jahren an der Gitarre steht. Ein festes Bündnis in der sonst eher ungewissen Beschäftigungslage eines freischaffenden Musikers. Doch die aktuelle Tour wurde abgesagt.

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Denn seit Corona gibt es keine Sicherheiten mehr, keine Bündnisse und schon gar keine Aufträge. Für Künstler, so scheint’s, gibt es in Zeiten der Pandemie einfach keine Verwendung: Prädikat „nicht systemrelevant“. Klaus Spangenberg hat das Wort so oft gehört, dass er eines Nachts gar nicht mehr anders konnte, als einen Song darüber zu schreiben. Kein Klagelied, sondern ein Rocksong, der richtig gut nach vorne geht. Bei Youtube und auf Facebook wird das Lied derzeit zigtausendfach angeklickt. Denn Spangenberg hat zahllosen Schicksalen seine Stimme gegeben.

Klaus Spangenberg lebt seit über 30 Jahren von der Musik

Da ist Susi, die Tänzerin, die seit ihrem vierten Lebensjahr trainiert. Monika, die Schauspielerin, die nicht weiß, was wird. Und Martin, der Maler, der gerade seine letzten Ersparnisse aufgebraucht hat. Spangenberg hat bewusst viele Genres einbezogen. „In jedem einzelnen Schicksal steckt auch ein bisschen von mir drin“, gesteht der Essener, der mal Schreiner gelernt hat, bevor er Mitte 20 den Entschluss fasste, von der Musik zu leben. Eine mutige Entscheidung, die der Künstler 30 Jahre lang nicht bereut hat. Dass er immer von den Gigs leben konnte und seit Jahren auch seine Familie mit den Auftritten gut über Wasser hält, das hat Spangenberg auch ein bisschen stolz gemacht. Wissend, dass nur ein kleiner Teil der Kreativen allein von der Kunst leben kann.

Klaus Spangenberg ist nicht nur Gitarrist, sondern auch ein leidenschaftlicher Gitarren-Sammler, wie das Archivbild zeigt.
Klaus Spangenberg ist nicht nur Gitarrist, sondern auch ein leidenschaftlicher Gitarren-Sammler, wie das Archivbild zeigt. © FUNKE Foto Services | Knut Vahlensieck

Doch nachdem die letzten Rücklagen verbraucht sind, hat inzwischen auch Spangenberg den Weg zum Arbeitsamt antreten müssen. Arbeitslosengeld II für jemanden, der völlig unverschuldet zum Nichtstun verdammt ist, während Milliardenhilfen an Lufthansa und Autokonzerne gehen – Klaus Spangenberg findet das frustrierend. Und so ist für ihn denn eines Tages auch das Fass übergelaufen, als in den Nachrichten die Rede davon war, dass BMW Milliarden an Dividendenzahlungen ausschütten will und gleichzeitig staatliche Unterstützung erhält.

Der Song zur Coronakrise ist in wenigen Stunden entstanden

Spangenberg hat wenig geschlafen in der Nacht. Morgens um zehn waren Musik und Text fertig. Abends hatte er den Song schon akustisch mit der Gitarre eingespielt und auf Facebook eingestellt. 24 Stunden später gab es auch eine Bandversion, die er mit seinen Musikern in Leverkusen eingespielt hat. Inzwischen hat auch das Plattenlabel Pavement Records Interesse angemeldet und will den Song veröffentlichen. Es ist der Sound zur Corona-Krise, in der Soloselbstständige wie Spangenberg derzeit ganz am Ende der Förderschlange stehen.

Dem Musiker geht es da wie so vielen. Die 9000 Euro Soforthilfe für Soloselbstständige sind angekommen. Doch der Essener hat das meiste sicherheitshalber zur Seite gepackt, denn inzwischen sind bei nicht wenigen Empfängern schon wieder Rückforderungen eingegangen, weil das Geld nicht für den Lebensunterhalt, sondern nur für Betriebskosten genutzt werden darf, die kaum ein freischaffender Künstler hat.

Die Coronadebatte hat auch einen Keil in die Künstlerszene getrieben

Seit 20 Jahren gehört Klaus Spangenberg (li.) zur Band von Matthias Reim.  
Seit 20 Jahren gehört Klaus Spangenberg (li.) zur Band von Matthias Reim.   © Katrin Domschke

Dass da was schiefläuft im Land, wenn aus Kreativen Almosenempfänger werden, während Großkonzerne mit Milliardenhilfen rechnen können, das registriert auch einer, der von sich selber sagt: „Ich bin Musiker, kein politischer Mensch.“ Und trotzdem war es irgendwann Zeit für diesen Song, der für Spangenberg „klar getrennt ist von der Frage, ob der Lockdown richtig war“. Überhaupt habe die Bewertung der Schutzmaßnahmen längst einen Keil in die Künstlerszene getrieben wie in vielen Teilen der Gesellschaft. Freundschaften seien darüber schon kaputt gegangen, bedauert Spangenberg.

In seinem neuen Song geht es um das Thema Flüchtlinge

Er hätte sich trotzdem gewünscht, dass mehr Akteure aus der Musikbranche ihre Stimme erheben. Peter Maffay habe wohl einen Brief an die Kanzlerin geschrieben. In Talksendungen tauchten wenn überhaupt Musikmillionäre wie Wolfgang Niedecken auf. Doch die Probleme an der Basis blieben weitgehend ungehört. Deshalb hat er das Lied geschrieben. „Aufmerksam machen, ohne den Zeigefinger zu heben“, heißt sein Ziel.

Musiker mit Soloprojekten

Klaus Spangenberg spielt nicht nur für nationale Pop- und Rockgrößen, sondern ist auch auf Solopfaden unterwegs. 2000 erschien sein erstes Solo-Album „Immer alles besser“.

Der Essener macht fast alles selbst – komponiert, schreibt die Texte, spielt Keyboard und Gitarre. Er liebt rockige Sounds mit deutschen Texten – gewürzt mit Humor und einer guten Portion Selbstironie.

Das gilt auch für ein Thema, das nach Spangenbergs Ansicht derzeit viel zu kurz kommt in der öffentlichen Diskussion. „Alle reden über Corona, über Flüchtlinge spricht momentan niemand. Die Problematik ist vollends untergegangen“, findet der 54-Jährige. Sein Song zum Thema ist schon fertig, eine Liebesgeschichte und natürlich auch ein richtig „krachender Rock’n’Roll-Song“. Am liebsten würde Spangenberg dazu ein Musikvideo in einer vollen Essener Straßenbahn drehen. Es gehe um Annäherung, um die Überwindung von Ressentiments und Ängsten. Und die sind eben nicht nur in Coronazeiten ein Thema.