Essen. . Claudia Kauertz leitet das Stadtarchiv. Das Haus soll stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Dafür brauche es neue Technik und mehr Personal

Natürlich weiß Claudia Kauertz um das Klischee-Bild ihres Berufsstandes: Alte Männer mit Ärmelschonern, die sich in düsteren Kellerräumen tief in die Historie eingraben. Die promovierte Historikerin, die Anfang dieses Monats die Nachfolge von Klaus Wisotzky als Leiterin des Essener Stadtarchivs übernommen hat, ist der Gegenentwurf von alledem. Die neue Hüterin der Essener Stadtgeschichte will das Haus am Bismarckplatz nicht nur weiter öffnen und stärker beleben. Sie will das Institut auch für die digitalen Zukunftsaufgaben fit machen und neue Forschungsakzente setzen.

Neben der prägenden Zeit der Industrialisierung könne Essen – im Gegensatz zu vielen anderen Ruhrgebiets-Städten – schließlich auf eine viel längere Tradition verweisen. Mit der Gründung des Frauenstifts habe Essen als geistliches Zentrum schon vor Jahrhunderten eine Sonderstellung gehabt, die anhand umfangreicher Archivalien zudem sehr gut nachvollziehbar sei. Für Kauertz, die in Köln Mittlere und Neuere Geschichte sowie Germanistik und osteuropäische Geschichte studiert hat, wird dieses bedeutende Kapitel in den kommenden Jahren auf der Agenda stehen. Auch das Thema Hexenverfolgung, über das sie schon geforscht hat, dürfte sie in Essen weiter beschäftigten.

Das Haus öffnen, in alle Richtungen

Für den Wechsel an die Ruhr hat die gebürtige Rheinländerin, die das Essener Institut bereits als Archivberaterin beim Landschaftsverband Rheinland kennengelernt hat, viele gute Gründe gefunden. „Das Haus ist attraktiv und hat viel Potenzial“, urteilt Kauertz. Architektonisch gehört der moderne Magazin-Anbau mit der markanten Eisenfassade für sie unter die Top Ten deutscher Kommunalarchivbauten. Dazu verfüge der seit 2010 im denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Luisenschule untergebrachte Gedächtnisort noch über ein besonderes Aushängeschild – die Dauerausstellung zur Stadt-Geschichte im 20. Jahrhundert.

Dass dieser historische Schatz am Bismarckplatz in den vergangenen Jahren praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehütet wurde, das will Kauertz dringend ändern und irgendwann möglichst „museale Öffnungszeiten“ etablieren. Dafür müsste der in den vergangenen Jahren drastisch zusammengestrichene Personalpool allerdings deutlich hochgefahren werden. Zuletzt konnte die wöchentliche Besuchszeit der Ausstellung am Mittwochnachmittag allein mit ehrenamtlicher Hilfe des Historischen Vereins angeboten werden.

Nutzung und Vermittlung des Archivguts ermöglichen

Doch Kauertz ist guten Mutes, das zu ändern. Gespräche mit der Verwaltung seien bereits angelaufen. Und Vergleichszahlen belegen das Manko. So verfüge Stuttgart über 34 Stadtarchiv-Stellen, Bochum habe sein Archiv inklusive Stadtmuseum mit 20,5 Stellen ausgestattet. In Essen sind es dagegen nur 8,75 Stellen. Zu wenig, um die öffentliche Wahrnehmung zu erreichen, die sich Kauertz wünscht. Dabei setzt sie auch auf Kooperationen: Schulen und die Universität Duisburg-Essen hat die Historikerin ebenso im Blick wie Geschichts-Vereine und Museen.

Ein Gemälde des Essener Malers Paul Röder, dessen Werke auch im Depot des Folkwang-Museum schlummern, ziert ihr neues Arbeitszimmer. Zudem sorge das Thema Digitalisierung für neue Herausforderungen. Das betrifft nicht nur die Archivierung digitaler Daten, die nicht einfach nur abgespeichert werden könnten, sondern auch die Erweiterung des eigenen Online-Angebots. Dafür brauche es Technik und Fachpersonal, sagt Kauertz. Und auch im Magazin habe die knappe Besetzung in den vergangenen Jahren zu erheblichen Rückständen geführt.

Dabei, betont die Historikerin, sei die Aufgabe der Archive eben nicht nur die Speicherung, sondern auch die Nutzung und Vermittlung der Archivguts. Eine Pflichtaufgabe im Übrigen, keine freiwillige.

>>VOM RHEINLAND AN DIE RUHR

Claudia Kauertz wurde in Erkelenz geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Mittleren und Neueren Geschichte und Osteuropäischen Geschichte in Köln und Göttingen und der Promotion im Marburg war Kauertz neun Jahre lang wissenschaftliche Referendarin beim Niedersächsischen Landesarchiv. Seit 2011 leitete sie die Archivberatung im LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum in Pullheim.

Die 51-jährige Rheinländerein hat bereits ein neues Zuhause in Bergerhausen gefunden.