Essen. Museum Folkwang hofft, die Großinstallation des in Essen aufgewachsenen Künstlers Martin Kippenberger trotz Corona im Februar zeigen zu können.
Folkwang packt die Kisten aus. 240 riesige Kartons sind in den vergangenen Tagen im Museum angekommen. Vollgepackt mit Sesseln, Korbstühlen, Hockern und eigenwilligen Tischkreationen. Das ganze kunterbunte Mobiliar gehört zur fußballfeldgroßen Installation "The Happy End of Franz Kafka's Amerika" von Martin Kippenberger. Eigentlich sollte das auf 1.200 Quadratmeter Fläche ausgebreitete Hauptwerk schon im vergangenen Jahr zu sehen sein. Doch auch der zweite Eröffnungstermin am 7. Februar musste bereits wieder verschoben werden. Nun hofft man auf einen Start am 19. Februar. Ein erster, exklusiver Einblick in die große Folkwang-Halle zeigt schon einmal, worauf sich das Publikum freuen kann.
"Ein Werk, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht"
Für Museumsdirektor Peter Gorschlüter war Martin Kippenberger schon zum Amtsantritt in Essen ein Wunschkandidat. Nicht nur, weil der 1953 in Dortmund geborene und in Essen-Frillendorf aufgewachsene Protest-Künstler enge Beziehungen zur Stadt hat. Auch die Installation "The Happy End of Franz Kafkas's Amerika" hat den Folkwang-Chef früh beeindruckt. "Ein Werk, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht", sagt Gorschlüter über die Arbeit des umtriebigen Künstlers, Bildhauers und Tausendsassas, die nicht nur aufgrund ihrer gigantischen Dimensionen beeindruckt.
Für viele ist sie ein Schlüsselwerk des früh verstorbenen Künstlers. Eine "gebaute Biografie", nennt Gorschlüter die Arbeit, die Kippenberger 1994 wenige Jahre vor seinem Tod 1997 erstmals in Rotterdam gezeigt hat. Gisela Capitain, die heute den Nachlass des Künstlers verwaltet und mit zum Essener Aufbauteam gehört, erzählt gerne von den großen Augen, die der niederländische Museumsdirektor damals gemacht hat, als zwei große Umzugswagen vor seinem Haus geparkt hätten. Und Kippenberger ohne jegliche Aufbauskizzen und Pläne einfach mit großem kompositorischen Geschick zu bauen begonnen hätte. An der Urfassung von 1994 orientiert sich nun auch die Folkwang-Präsentation.
Zwei Flugzeug-Schleudersitze kreisen um ein Spiegelei
Lange konnte "The Happy End of Franz Kafka's Amerika" nicht mehr in der Originalgröße gezeigt werden, doch die riesige Folkwang-Halle gibt das her. Auf einem grasgrünen Tanzboden sind die ganzen Stuhl-Tisch-Paarungen zu sehen, die Kippenberger mit lauter historischen und persönlichen Bezügen zusammengestellt hat: Da gibt es den Atompilzstuhl und die zwei kreisenden Flugzeug-Schleudersitze, die statt eines Rettungsschirms von zwei Regenschirmen behütet werden. Im Zentrum dieses Kunst-Karussells ruht ein riesiges Spiegelei - eines der von Kippenberger gern verwendeten Symbole. Er fand das Ei in der Kunstgeschichte schlichtweg unterbewertet.
Spanplatten-Tisch erinnert an den Papst-Auftritt im Müngersdorfer Stadion
Man kann sich fesseln lassen von der Größe der Installation und der schieren Vielfalt der Objekte, die auch eine Ansammlung herausragender Design-Objekte des 20. Jahrhunderts sind. Man kann sich aber auch verlieren in den vielen kuriosen Einzelstücken und Geschichten, die Lisa Franzen für die Ausstellung über jedes Exponat recherchiert hat.
Da ist der Tisch mit den zwei balinesischen Wasserträgern, dessen Spanplatten-Material Kippenberger vom Papst-Besuch im Müngersdorfer Stadion hat. Da ist der Bademeister-Stuhl vom Hotelpool in Los Angeles oder der grasgrüne Wannentisch als Nachbau einer Barbie-Kollektion von 1978. Und natürlich der Nachbau jenes Tisches, an dem Robert Musil seinen Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" geschrieben hat. Als Extra hat ihn Kippenberger mit einer Vase aus der Mojave-Wüste dekoriert.
Für die Ausstellungs-Besucher gibt es zwei große Tribünen
Scherz, Schmerz, Ironie und tiefere Bedeutung - in jeder dieser ungewöhnlichen Stuhl-Tisch-Kombinationen stecken Anspielungen und Geschichten. Man kann sie demnächst als riesiges Gesamtkunstwerk umrunden oder von zwei Tribünen aus wie ein riesiges dreidimensionales Bild betrachten. Im Hintergrund sorgt Cheerleader-Sound für die passende Arena-Atmosphäre.
Für Gorschlüter ist das gigantische Projekt auch so etwas wie die Heimholung von einem der bedeutendsten Söhne der Stadt, der zu Lebzeiten nicht zu den Lieblingen der Kunstszene gehörte. "Kippenberger war ein Künstler, der stark provoziert hat, das hat ihm nicht nur Freunde gemacht", weiß Gorschlüter. Mit zeitlichem Abstand aber sehe man heute "mehr als die Person, sondern den Künstler, der gesamtgesellschaftlich Stellung bezogen hat".
Ein Künstler, der mit Lust provoziert hat
Und dass diese Stuhl-Tisch-Gesprächseinheiten mit ihrem Bewerbungsbüro-Flair und der "Notarchitektur"-Anmutung auch auf heutige Situationen wie in Flüchtlingsheimen oder Impfzentren zu beziehen sind, macht Kippenberger weiterhin aktuell. Denn nicht mit seiner schnoddrigen Lakonik und den kalauernden Sprüchen wäre Kippenberger in Twitter-Zeiten vielen Kollegen momentan wohl um einiges voraus. "Ich vermisse manchmal den Hang zur Widerständigkeit", sagt Gorschlüter.
Vermutlich wäre Martin Kippenberger zur aktuellen Corona-Situation und der Wegsperrrung der Kunst auch einiges eingefallen. Schon deshalb hoffen nun alle Beteiligten, dass es für "The Happy End of Franz Kafka's Amerika" in Essen wirklich ein glückliches Ende gibt.
Villa Hügel zeigt Künstlerbücher und Plakate von Kippenberger
Kippenberger trifft Krupp - das ungewöhnliche Zusammentreffen soll ab Februar in der Villa Hügel stattfinden, sofern Corona es ermöglicht. Die historische Bibliothek und die ehemaligen Wohnräume der Familie Krupp werden dann zur Folkwang Zweigstelle und ergänzen die Kippenberger-Installation "The Happy End of Frank Kafka's Amerika" mit Büchern und Plakaten.
"Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel" heißt die Ausstellung, der Titel zitiert ein Künstlerbuch, das 1996 zu einer Kippenberger-Ausstellung in der Villa Merkel in Esslingen entstand. Insgesamt sind in Essen rund 100 Plakate und etwa 120 Künstlerbücher Kippenbergers versammelt. Das Museum Folkwang verfüge damit nach dem New Yorker Museum of Modern Art über den umfangreichsten Bestand von Kippenberger-Büchern und Plakaten, sagt Kurator Tobias Burg.
Historische Einrichtung der Familienbibliothek sorgt für Kontraste
In der Villa Hügel werden sie nun im wirkungsvollen Kontrast zur historischen Einrichtung der Familienbibliothek gezeigt. "Wir räumen die alten Bücher nicht aus, sondern schieben sie nur nach hinten", erklärt Burg. Da steht Kippenbergers "Happy Happy: Vom Jugendstil zum Freistil" nun vor den in Leder gebundenen Handbüchern der Kunstwissenschaft, finden witzige Katalog-Titel wie "Durch die Pubertät zum Erfolg" mit dem Handbuch der Literaturwissenschaft zusammen.
Präsentiert werden die schmalen Bändchen und bebilderten Bücher mit Kalauern, Reiseberichten, kurzen Gedichten und Aphorismen in chronologischer Reihenfolge. Es sei nicht Absicht gewesen, die größtmögliche Reibung zwischen Familienbibliotheks-Werken über "Stahl und Eisen" und Kippenbergers experimentellen und mitunter provokativen Büchern zu erzeugen. "Die ergeben sich automatisch und zwar in jedem Raum", sagt Burg.
Dass der Meister der Ironie und der Provokation überhaupt in die erlauchte Villa Hügel einziehen darf, sei keine Frage gewesen, sagt Ute Kleinmann von der Kulturstiftung Ruhr. "Es war absoluter Konsens, dass alle das absolut spannend finden als Intervention im Haus." Und dass Kippenberger die Villa Hügel zu Lebzeiten auch besucht hat, ist für Tobias Burg keine Frage. "Ich bin mir sicher, dass er die Villa Hügel als Ausstellungsort oder als historischen Ort gekannt hat."
>>>> Infos zur Ausstellung
Martin Kippenberger, der in Essen als Sohn des Bergwerkdirektors der Zeche Katharina aufwuchs, wurde in seiner Jugend durch zahlreiche Besuche des Museum Folkwang mit seinem Vater zur Kunst inspiriert. Sein spätes Hauptwerk The Happy End of Franz Kafka’s 'Amerika' wird erstmals in Essen gezeigt.
Das Opus Magnum, in das Kippenberger zahlreiche Werke befreundeter Künstlerinnen und Künstler integrierte, basiert auf dem Schlusskapitel des Romanfragments "Der Verschollene / Amerika" von Franz Kafka. Die Großinstallation soll bis zum 2. Mai in Essen zu sehen sein.