Bonn. Die Bundeskunsthalle würdigt den dadaistischen Provokateur Martin Kippenberger, der sein kurzes Leben in einen großen Werkprozess verwandelte.
Herbert Grönemeyer und Otto Schily verkörpern den frühen Strukturwandel des Ruhrgebiets, wie er ihnen als Söhnen von leitenden Angestellten der Montanindustrie recht leicht gefallen sein mag. Martin Kippenberger, in Dortmund geborener Sohn eines Essener Bergwerksdirektors, ist ein vergleichsweise weniger bekannter Fall von Zechen- und Hochofen-Flucht, als bildender Künstler aber viel schillernder und, lässt man sich auf diese selbstbewusste Mischung aus Beuys und Eulenspiegel einmal ein, auch viel amüsanter als Popsongs und verschärfte Sicherheitsgesetze.
Und am unverdient mangelnden Ruhm Kippenbergers, der 1997 mit gerade einmal 44 Jahren einem Leberkrebsleiden erlag, ändert ja vielleicht die Nobilitierung durch die aktuelle Ausstellung in der Bundeskunsthalle etwas. Rund 360 Werke aus allen Schaffensperioden des Rastlosen drohen das Publikum schier zu erschlagen mit Masse, Witz und Provokation gleichermaßen. Nach Bonn gereist sind die gekreuzigten Frösche unter dem Titel „Zuerst die Füße“, die einst einen braven Südtiroler Ortspolitiker zum Hungerstreik und Papst Benedikt XVI. zur Solidarität mit dem Hungernden bewegten und dann doch hängenblieben im Museum von Bozen, ebenso wie diverse Künstlerbücher, Gemeinschaftsarbeiten und Serien wie die „I.N.P.-Bilder“ („Ist Nicht Peinlich“) oder die torkelnde „Laterne an Betrunkene“.
Gerhard-Richter-Bild als Tischplatte
Martin Kippenbergers Meisterschaft und vorrangiges Ziel lag darin, den Kunstbetrieb zu hintertreiben. Er baute Multiples von Joseph Beuys in eigene Werke ein, er ließ für seine Arbeit „Modell Interconti“ ein graues Bild von Gerhard Richter ankaufen, um es als Platte für einen Couchtisch zu verwenden und setzte Haferflocken beim Malen ein, um den Materialmystizismus von Anselm Kiefer zu verspotten. Für seine Serie „Lieber Maler, male mir“ beauftragte er 1981 gar den Plakatmaler Hans Siebert „(„Meister Werner“) mit der Umsetzung von Motiven auf die Leinwände; die Serie der spießig-kariert gemalten „Preisbilder“ demaskiert den Blödsinn von Kunstwettbewerben. Dass der Neo-Dadaist Kippenberger, der sich über Neo-Expressionisten wie Baselitz und Lüpertz lustig machte, in den 80er-Jahren zu den „Neuen Wilden“ gezählt wurde, gehört zu den vielsagendsten Kapriolen des Kunstmarkts.
Der mutmaßlich kreativste deutsche Künstler der 80er- und 90er-Jahre, ein Nomade der Wohnorte und Stile, wusste bei alledem nur zu genau, was er tat und tun wollte. So genau, dass sein Freund Albert Oehlen, mit dem er im Essener Folkwang 1984 die Ausstellung „Wahrheit ist Arbeit“ baute, aufstöhnte, es sei „zu anstrengend, zu verrückt, selbstmörderisch“ gewesen, mit Kippenberger zu reisen und zu arbeiten. In Brasilien erarbeitete Kippenberger die provokante Installation „Tankstelle Martin Bormann“, deren komplizierte Entstehung ein Musterfall dafür ist, wie bewusst das Werden seiner Kunst ablief – und wie sehr eben dieser Prozess das eigentliche Kunstwerk war.
Relikte des eigenen Werdegangs – wie bei Beuys
So passiert es auch in der überwältigenden Bonner Retrospektive gar nicht selten, dass die Werke wie Reliquien, ja wie Relikte ihres einstigen Werdegangs wirken. Nicht von ungefähr teilte Kippenbergers Installation „Wenn’s anfängt, durch die Decke zu tropfen“ 2011 im Dortmunder Ostwall-Museum das Schicksal der legendären Beuys’schen Akademie-Fettecke: Diesmal war es eine Kalkschicht auf einem Mauertrog, die einer übereifrigen Putzfrau zum Opfer fiel und unwiederbringlich verloren ist, weil sie sich nicht zuverlässig rekonstruieren lässt.
Martin Kippenberger – Bitteschön Dankeschön. Eine Retrospektive, Bundeskunsthalle Bonn, bis 16. Februar 2020. Eintritt: 10 €, erm. 6,50 €. Happy-Hour-Ticket Di/Mi ab 19 Uhr, Do-So ab 17 Uhr: 7 €. Katalog: 49 €.