Essen. . Der neue Folkwang-Chef Peter Gorschlüter über Transparenz, Teamgeist und die Idee, die Schätze der Sammlung auch mitten in die Stadt zu tragen
Freitags hat er den Computer im Frankfurter Museum für Moderne Kunst heruntergefahren, am Montag drauf hat Peter Gorschlüter sein Büro im Museum Folkwang bezogen. Obwohl ein Museum für den neuen Folkwang-Direktor viel mehr als ist nur ein Ort des Ausstellens und Sammelns, hat der 44-Jährige erst einmal das Depot besucht, um die verborgenen Schätze der fulminanten Sammlung in Augenschein zu nehmen. Danach hat sich Gorschlüter mit seinem neuen Team in zweitägige Klausur begeben. Martina Schürmann und Jens Dirksen sprachen mit dem neuen Folkwang-Chef über das Zusammenspiel der künstlerischen Disziplinen, über zukünftige Projekte und Perspektiven für das Museum.
Herr Gorschlüter, was kann, was soll ein Museum heute?
Gorschlüter: Museen sollten Orte der Teilhabe und der Begegnung sein, Orte für Geist und Emotion, Orte, die Menschen zusammenführen. Regional verwurzelt, aber mit internationaler Ausrichtung. Ein Ort, der Menschen und Kunst in einer Situation eint, die man heute oft „posthuman“ nennt. Denn die technologischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen scheinen die Menschen immer mehr an den Rand zu drängen. In dieser Situation ist das Museum der Ort, um zu fragen: Wo steht der Mensch? Und dann über und durch Kunst zu Antworten zu kommen.
Und was ist mit dem Dreiklang „Sammeln, bewahren, ausstellen“?
Darüber geht ja schon der Folkwang-Gedanke von Karl Ernst Osthaus hinaus! Osthaus war Visionär. Seine Programmatik war die eines Universalmuseums. Wir müssen sein Konzept nur in die Gegenwart übertragen.
Heißt?
Das Museum muss transparent werden, international und partizipativ. Wir müssen Themen setzen, die anschlussfähig sind für viele Menschen und die auch die Kunst, die Künstler interessieren. Die Menschen sollen das Museum als Ort des Austauschs sehen.
Sie haben aber schon angekündigt, dass Sie noch mehr wollen…
Ja, das Folkwang soll in die Stadt gehen. Wir wollen das Museum sowohl temporär als auch dauerhaft in die Stadt ausdehnen. Als wir 2011 mit dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt ein Abrissgebäude temporär bezogen haben, war es eine der erfolgreichsten Ausstellungen mit über 100 000 Besuchern. Erstaunlicherweise ausschließlich mit Werken der Sammlung. Es müssen also gar nicht immer die großen Wechselausstellungen sein. Auch die Sammlung kann ein Magnet sein, aber wir können hier nur einen Bruchteil zeigen. Als ich jetzt im Depot war, in dieser fantastisch großen Sammlung, habe ich mich sofort gefragt: Wie kann man eine höhere Sichtbarkeit erreichen? Sicher kann man häufiger mal die ausgestellten Werke wechseln. Aber es gibt auch die Idee, nach draußen zu gehen.
Interessante Leerstände gibt es in Essen einige. Folkwang in der Nordstadt, wäre das vorstellbar?
Ich möchte da gar nichts ausschließen. Aber erst einmal muss ich ein Gefühl für die Stadt, für die Orte, für die Partner finden. Natürlich gibt es einen gewissen inneren Zeitplan. Bis das Museum Folkwang in Essen im Jahr 2022 hundert Jahre alt wird, müssen wir eine Idee, ein Projekt haben, das diesem Jubiläum gerecht wird.
Sie waren Museums-Kurator in Düsseldorf, Liverpool und Frankfurt. Was war das Prägende an den jeweiligen Stationen?
In Düsseldorf war es die Stadt der Künstler, und Ende der 90er-Jahre musste ja erst einmal der Abriss der Kunsthalle verhindert werden, das haben auch sehr viele Künstler unterstützt. Als ich 2008 an die Tate Liverpool kam, lief in der Stadt gerade das Kulturhauptstadtjahr, das kennen Sie hier in Essen ja auch. Da kamen über eine Million Besucher ins Museum. Und in der Tate Liverpool ist der Eintritt in die Sammlung ja frei, wie überall in England – da habe ich gesehen, was für eine Wirkung dieser freie Eintritt hat: Es senkt nicht nur die Schwelle zum Besuch, es sorgt auch für immer wiederkehrende Besucher: Die Menschen begreifen das Museum dann viel eher als das ihre, als eines der Stadtgesellschaft, als eines für aller Bürger.
Deshalb wollen Sie auch erreichen, dass der freie Eintritt in die Folkwang-Sammlung, den die Krupp-Stiftung noch bis 2020 finanziert, beibehalten wird?
Na, wir können doch nicht den Essenern erst ein Geschenk machen – und es ihnen dann wieder wegnehmen, indem wir plötzlich doch wieder Eintritt nehmen! Das wäre ein Schritt rückwärts!
Zuletzt waren Sie Interimsdirektor und zuvor langjähriger Kurator am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Welche Erfahrungen und Ideen bringen Sie mit nach Essen?
In Frankfurt haben wir uns mehr damit auseinandergesetzt, wie man ein Museum strategisch denken kann. Da ging es auch um Vermittlung, um die Sichtbarmachung der Sammlung und die Erweiterung des Museums. Wir haben 2014 im Bankenviertel das MMK 2 eingerichtet, miet- und nebenkostenfrei als Public-Private-Partnership. Es hat dort auch einen Dialog der Künste gegeben, den ich hier fortführen möchte, inszenierte Ausstellungen etwa, Ausstellungen mit Modedesignern, Filmemachern oder einem Choreografen wie William Forsythe…
Ihr Vorgänger Tobia Bezzola fand das Museum Folkwang manchmal nicht leicht zu bespielen…
Grundsätzlich ist die Architektur des Hauses fantastisch. Sie ist durchdacht, sehr, sehr klug, bis in die Nebenräume, in Werkstätten und Büros. Ich habe Respekt vor der Schönheit und Stimmigkeit der Räume, die es hier gibt. Wir werden vielleicht mehr performative Arbeiten im Museum haben, bei denen es um die Erfahrung des Raums geht, der in den Städten ja immer enger wird, immer mehr unter wirtschaftlichen Druck gerät. Und die Künstler dringen ja selbst mehr in andere Bereiche vor, zur Soundkunst, ins Digitale und Performative.
Ein Kollege hat das Museum Folkwang einmal als Jaguar mit Polo-Motor beschrieben. Haben Sie sich vor Amtsantritt mit der Etatsituation vertraut gemacht?
Natürlich hat man immer mal wieder gelesen und gehört, dass die finanzielle Situation schwierig ist. Meine Erwartungen waren daher nicht besonders hoch, insofern war ich eher positiv überrascht. Aber natürlich haben wir schon mit dem Nachdenken begonnen, wie wir für das Folkwang mehr Einnahmen generieren können. Damit es uns auch wieder möglich sein wird, große Wechselausstellungen zu machen.
Dass Ihr Vertrag zunächst über acht Jahre läuft, hat aufhorchen lassen.
Das war ein Wunsch von beiden Seiten. Ich möchte die Entwicklung des Folkwang Museums in Ruhe formen und nicht nur ein paar Jahre tolle Ausstellungen machen. Ich habe mit den Mitarbeitern 50 Fragen an die Zukunft des Museums entwickelt, die wollen wir in einer mehrtägigen Klausur gemeinsam diskutieren und damit beginnen, zukunftsweisende Antworten zu finden.
Liverpool, Frankfurt, Margarethenhöhe
Nach dem Studium (Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Kunstwissenschaft und Medientheorie) war der in Mainz geborene Peter Gorschlüter (Jahrgang 1974) von 2002 bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an der Kunsthalle Düsseldorf. Von 2008 bis 2010 wirkte er als Chefkurator an der Tate Liverpool. 2010 war er Co-Kurator der Liverpool Biennale.
Am Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt hat er seit 2010 zahlreiche Ausstellungen konzipiert, u. a. mit den Künstlerinnen Rineke Dijkstra, Jewyo Rhii, Fiona Tan und dem Modeschöpfer Kostas Murkudis.
Seit 2012 ist Gorschlüter Mitbegründer und Co-Kurator der Fotografie-Triennale RAY Frankfurt RheinMain.
Der zweifache Familienvater wird mit seiner Familie auf der Essener Margarethenhöhe leben