Essen. Ukrainische Künstler sollten im GOP die Weihnachtsshow spielen. Im Lockdown können sie nun weder arbeiten noch über Weihnachten zurück nach Hause

Sie können formvollendet durch die Lüfte schwingen, Saxophon und Gitarre spielen, sich verbiegen, tanzen. Doch jetzt liegt ihre innovative Kunst auf Eis. 13 Artisten des „Circus-Theater Bingo“ aus Kiew sitzen ohne Deutsch- oder Englischkenntnisse und ohne Gage in Essen fest, weil sie Corona-bedingt nicht mit ihrer Show „Undressed“ auftreten dürfen.

„Hilfen für diese Künstler gibt es weder von ihrem noch von unserem Staat“, sagt Direktorin Nadine Stöckmann. Europas größte Varieté-Gruppe GOP versorgt sie mit Unterkunft, gibt einen Vorschuss auf den Lohn sowie auf die Krankenversicherung. Und das in Zeiten, in denen das Weihnachtsgeschäft hier mit bis zu 30 Weihnachtsfeiern à 300 Zuschauern samt Vorstellung und Essen wegbricht.

Die Artisten müssen ausharren und genügsam sein

Sechs Wochen plus Quarantäne hat es gedauert, bis sie hier gelandet sind und loslegen konnten mit Proben, die ins Nichts führten. Denn die Weltpremiere fiel in den Lockdown und wann wieder gespielt werden darf, ist ungewiss. Die nächsten Wochen müssen sie ausharren und genügsam sein. „Sie können nicht nach Hause, weil die Einreise so lange gedauert hat und die Show noch in andere Häuser wandert“, erklärt Stöckmann. „Sie lassen sich nur das Nötigste auszahlen, weil sie ja nicht wissen, wie es weitergeht.“

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Die Essener Theaterleiterin wurde gefragt, ob sie denn auf der Straße ihre Künste zeigen könnten? „Das hat mich sehr berührt. Ihre Reserven sind stark gesunken oder nicht mehr vorhanden. Aber ich sehe da keine Möglichkeit. Wir können keine Versammlungspunkte schaffen“, bedauert Nadine Stöckmann. Auch sich als Erntehelfer anzubieten oder Einkäufe für Risikopatienten zu erledigen wie im ersten Lockdown kommt jetzt nicht in Frage. „Für ausländische Künstler ist das kompliziert.“

GOP versucht, Familien zu Weihnachten nach Essen zu holen

Die nächste Herausforderung steht schon vor der Tür: das Familienfest Weihnachten. Theoretisch könnten die Artisten nach Hause fliegen, doch die Rückreise ist nicht gesichert. Und da sie spielbereit sein müssen, bleiben sie. „Wir versuchen nun, die Familien herzuholen über die Weihnachtstage und es ihnen so angenehm wie möglich zu machen“, verspricht die Direktorin.

Derweil läuft auch die Sorge um das Theaterpersonal weiter. 90 Prozent der 80 Essener Mitarbeiter, die vom Marketing bis hin zur Gastronomie tätig sind, befinden sich in Kurzarbeit. Hinzu kommen 14 Minijobber auf 450 Euro Basis, deren Gehalt nicht weitergezahlt wird. „Sieben gut eingearbeitete Kräfte sind bereits weg“, so Nadine Stöckmann. Es tut ihr leid. „Um alle halten zu können, geben wir viel Trost und Anerkennung und zahlen den Urlaub aus. Diese Perspektivlosigkeit macht es so schwierig.“

In den Wintermonaten wird ein hartes Programm erwartet

Lichtblicke gibt es für die optimistische Chefin trotzdem. Der Vermieter sei ein absoluter Glücksfall. Er habe dem GOP die Miete für November erlassen und für die Folgemonate auf 50 Prozent reduziert, berichtet Nadine Stöckmann. Und von der Solidarität der Stadt Essen ist sie begeistert: „Die Stadt will uns nicht verlieren.“

Dennoch werde von politischer Seite zu wenig über Kultur gesprochen, stellt sie fest und kritisiert den stückchenweise verordneten leichten Lockdown. „Ich gehe davon aus, dass wir in den Wintermonaten ein hartes Programm vor uns haben und realistisch gesehen vielleicht im März wieder öffnen können.“ Die Weltpremiere von „Undressed“ findet nicht mehr in Essen statt. Aber, wenn alles gut geht, in Bad Oeynhausen.

Dennis Grote: „Die Corona-Krise bringt uns nicht aus dem Tritt“

Trotz Lockdown bleibt GOP-Chef Dennis Grote zuversichtlich: „Bis vor der Krise standen wir sehr stark da. Das kommt uns jetzt zugute.“ Der Geschäftsführer und Mitinhaber, der seinem Vater Hubertus mehr und mehr Arbeit abnimmt, ist stolz, dass die auf sieben Theater angewachsene Unternehmensgruppe GOP Varieté bis zum Frühjahr 2020 ohne Subventionen auskam. Und das sind immerhin fast 30 Jahre, in Essen sind es 24.

Gastronomie macht neben Ticketverkauf 50 Prozent des Umsatzes aus

Zuversichtlich: GOP-Geschäftsführer und Mitinhaber Dennis Grote.
Zuversichtlich: GOP-Geschäftsführer und Mitinhaber Dennis Grote. © GOP | Christian Knieps

Corona war und ist auch für den Unterhaltungsriesen ein Schlag. „Der fein justierten Maschinerie wurden Knüppel zwischen die Beine geworfen“, so Dennis Grote. „Verluste im hohen einstelligen Millionenbereich“ muss er verzeichnen. Die Bühnen und die Gastronomie, die 50 Prozent des Umsatzes ausmacht, sind dicht, die vormals 700.000 Gäste in diesem Jahr nicht annähernd zu erreichen.

Von den 900 Mitarbeitern sind 500 fest angestellt und die meisten in Kurzarbeit. Personalkosten, zum Beispiel für den Kartenvorverkauf, bleiben. Kosten für die Miete bleiben, „auch wenn die Bereitschaft der Vermieter da ist, uns entgegen zu kommen“. Versicherungskosten bleiben. Und 75 weitere Künstler, die neben den 13 im GOP Essen in den anderen Theatern bleiben, werden versorgt. Und nicht zuletzt sind rund 100.000 Euro in die Umsetzung des Sicherheitskonzepts geflossen.

Die Novemberhilfe ist beantragt, aber noch nicht eingetroffen

„Wir können nicht mit der Gießkanne austeilen. Das ist nur bis zu einem gewissen Maß möglich“, bemerkt Dennis Grote, für den „Menschenleben über allem stehen“. Für das Unternehmen wartet er selbst auf Unterstützung. „Die Novemberhilfe ist beantragt, aber noch nicht eingetroffen“, berichtet der 31-Jährige. Wenn alle Hilfen, wie versprochen, ankommen, könnte es das GOP mit Reserven, Krediten und dem Gutschein-Geschäft schaffen, trotz reduzierter Kapazität bis zum Herbst durchzuhalten. „Dann muss der Spuk aber auch vorbei sein. Es muss eine Lösung für die privaten Theater gefunden werden.“

Wie viele Kulturanbieter braucht er Planungssicherheit, um weitermachen zu können. Das bedeutet vier Wochen Vorlauf bis zur Öffnung und Kontinuität. „Wir verkaufen unsere Tickets für September bereits ab März.“ Ansonsten bleibt er zuversichtlich für 2021: „Mit der Impfung wird es ein besseres Jahr. Die Corona-Krise bringt uns nicht aus dem Tritt.“