Essen. Alexander Krichel hat das weltweit erste Konzert im Autokino gegeben. Nun hofft der Pianist auf ein Ende des Lockdowns, um in Essen zu spielen.

Beim ersten Lockdown hat Alexander Krichel schnell reagiert. In Iserlohn gab der Tasten-Star Anfang Mai das weltweit erste Klavier-Konzert in einem Autokino . Dem begeisterten Hupkonzert folgte in den sozialen Medien viel Resonanz auf „Krichels Quarantäne-Tagebuch“. Für ein Konzert in Hongkong hatte sich der Hamburger Konzertpianist zwei Wochen lang in ein Hongkonger Hotelzimmer einschließen lassen und Videotagebuch geführt. Doch nun möchte der junge Flügelstürmer endlich wieder in einem Saal vor richtigem Publikum spielen. Ob es am 8. Dezember beim Konzert in der Essener Philharmonie soweit ist, steht aber noch in den Sternen.

Herr Krichel, sollte es beim November-Lockdown bleiben, wären Sie am 8. Dezember einer der ersten, der in der Essener Philharmonie wieder spielen könnte. Sind Sie zuversichtlich?

Ich bin im Grunde immer zuversichtlich. Ich hatte zuletzt ja auch viel Glück, konnte im Sommer beim Klavierfestival Ruhr auftreten und durfte sogar in Hongkong mit großer Besetzung Rachmaninow spielen. Und jetzt hatte man sich so gefreut, wieder loslegen zu können. Es gab schon Auftrittstermine im Konzerthaus Wien, in der Berliner Philharmonie – Tempel der Musik. Aber alle Konzerte wurden zuletzt auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch ein energetisches. Man hat das Gefühl, dass man gerade so wenig bewegt.

„Auch wenn ich keine Konzerte spielen kann, muss ich irgendetwas tun“

Kennt da auch ein disziplinierter Berufsmusiker manchmal leichte Durchhänger?

Zeitweise. Aber ich kann mich wieder herausziehen. Man hat im Laufe der Zeit ja auch gelernt, Dinge zu akzeptieren. Wenn die Konzertsäle geschlossen bleiben, dann kann ich nichts tun. Dann habe ich nur die Wahl, keine Konzerte zu spielen und durchzuhängen. Oder keine Konzerte zu spielen und trotzdem irgendwas zu tun. Ich habe in den letzten Wochen wieder mit dem Komponieren begonnen. Und ich habe mir vorgenommen, einfach völlig unabhängig von der nächsten Saison Stücke zu lernen, die ich gerne einmal spielen möchte. Man übt ja sonst nur, was man gerade im Programm hat.

Anfang des Monats haben Sie gar nicht gespielt, sondern im Rahmen der Aktion „sangundklanglos“ 20 Minuten am Klavier gesessen und keine Taste berührt, um gegen den Lockdown in der Kultur zu protestieren. Wie hat sich das angefühlt?

Das war schon eine sehr dramatische Erfahrung. Ich wollte den Flügel berühren. Aber ich durfte nicht. Furchtbar. Man möchte doch mit jedem Stück etwas sagen. Irgendwann habe ich selbst gar nicht mehr gewusst, wie ich aus diesen 20 geräuschlosen Minuten wieder rauskommen werde.

„Musik ist für viele Menschen so wichtig wie der Gottesdienst am Sonntag“

Wie soll die Kulturszene mit der Unsicherheit umgehen? Weiter planen, oder ist die Stille momentan die einzige Lösung?

Stille ist nicht die Lösung. Das Publikum sehnt sich nach Klang. Und ich denke, dass das Gros der Veranstalter mit diesem Wunsch bislang auch sehr verantwortungsvoll umgegangen ist und mit großem Mehraufwand Hygienekonzepte entwickelt hat. Obwohl das im Grunde absolut unwirtschaftlich ist, denn so werden ja viel weniger Tickets verkauft. Ich hoffe aber, dass dieser Mehraufwand in Zukunft auch entsprechend gewürdigt wird.

Alexander Krichel, der nahbare Klassik-Star

Alexander Krichel gilt trotz steiler Karriere als bescheidener und stets nahbarer Aufsteiger. Dabei ist der Hamburger, Jahrgang 1989, nicht nur ein begnadeter Musiker, er hat auch eine große Leidenschaft für Naturwissenschaften , war als Jugendlicher Teilnehmer zahlreicher Fremdsprachenwettbewerbe und an einer Uni für hochbegabte Mathematiker zugelassen.

Entschieden hat sich Krichel am Ende für die Musik – und feiert damit große Erfolge. Ausgebildet in Hannover bei Vladimir Krainev und in London am Royal College of Music bei Dmitri Alexeev, wurde der Hamburger 2013 bereits mit seiner Debüt-CD zum „Nachwuchskünstler des Jahres“ beim Echo Klassik gekürt.

In der Essener Philharmonie will Alexander Krichel am 8. Dezember, 20 Uhr, Ludwig van Beethoven Sonate Nr. 17 d-Moll, op. 31 Nr. 2 „Der Sturm“ hören lassen sowie Robert Schumanns „Kreisleriana“, op. 16 und Franz Liszts „Venezia e Napoli“.

Konzerte, Theater, Kinos werden momentan allerdings mit Freizeitstätten wie Spielhallen und Fitnesscenter gleichgesetzt. Sind Sie von der Politik enttäuscht?

Oft wird einfach nicht so richtig verstanden, was Kultur für Menschen bedeutet. Das ist nicht nur ein elitäres Happening, eine Art Meet and Greet. Musik ist für viele so wichtig wie der Gottesdienst am Sonntag. Sie hat für viele die Bedeutung, die für religiöse Menschen der Glaube hat, und das sage ich als absolut religiöser Mensch. Sie spendet Sinn und Trost.

„Kultur ist kein Entertainment, das pauschal unter den Teppich gekehrt werden kann“

Jazz-Musiker Till Brönner hat mit seiner empörten Kommentar in den sozialen Netzwerken für große Aufmerksamkeit gesorgt. Braucht es mehr prominente Stimmen, die auf die Situation der Kulturbranche hinweisen?

Es ist schon wichtig, dass die Leute hören und sehen, was da passiert. Unsere Branche hat keine Lobby, die das verhandelt, das ist vielleicht ein Problem. Wir haben uns bislang einfach darauf verlassen, dass die Leute Kultur brauchen. Es muss schon klar werden, dass das nicht nur Entertainment ist und pauschal unter den Teppich gekehrt werden kann.

Welche Komponisten helfen Ihnen durch die Corona-Zeit?

Ich bin viel bei Beethoven und Rachmaninow , zwei starke Komponisten mit einer ganz eigenen Philosophie. Rachmaninow würde sich momentan wohl in sein Schneckenhaus verkriechen, von dem würde man jetzt gar nichts hören. Aber wenn alle so handelten, dann wird es tatsächlich still. Ich kämpfe dagegen an und versuche, gehört zu werden.

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